Plädoyer für die Freiheit Gottes

Aus dem Franziskuskalender 2023: Wenn man wahrnimmt, was Menschen über Gott schreiben, beten und sagen, wird das Korsett für den allmächtigen Gott manchmal sehr eng. Er wird in allzu menschliche Vorstellungen eingesperrt.

Im biblischen Buch Hosea ist häufig zu lesen: «Denn Gott bin ich und nicht Mensch.» (frei nach Hos. 11, 9) Wenn man exakt aus dem Hebräischen übersetzen würde, dann wäre richtigerweise Mensch mit «Mann» zu übersetzen: Denn Gott bin ich und nicht Mann!

Aber eben, Männer stellen sich Gott als Mann vor und denken, sie seien wie er. Oder sogar: Gott sei wie wir Menschen, Männer. Darum soll er stark, unbezwingbar, siegreich und vor allem allmächtig sein. Doch, vielleicht ist Gott eben Gott, und so weder menschlich noch männlich. Vielleicht ist er anders, ausserhalb unseres menschlichen Vorstellungshorizontes; eben frei und eigen, geheimnisvoll und uns nicht bekannt.

Die Kritik der Vereinnahmung Gottes durch die Menschen ist nicht neu. Im alten Griechenland war es der Philosoph Xenophanes (ungefähr 570-475 vor Christus), der die menschlichen Gottesvorstellungen von Homer und Hesiod kritisierte und diese pointiert formulierte:

«Wenn die Pferde Götter hätten, sähen sie wie Pferde aus.» Wenn also Männer Götter haben, dann sehen sie wie Männer aus! Diese Vereinnahmung Gottes ist bis heute aktuell und scheint es zu bleiben. Aber eben: «Gott bin ich und kein Mann!»

Ernüchterung

Christen und Christinnen werden hier vielleicht Einspruch erheben, wie Menschen anderer Buchreligionen auch. Uns Menschen wurde offenbart, Gott hat sich gezeigt. In heiligen Büchern wurde ja von auserwählten Menschen beschrieben, wie Gott ist (auch im Hosea-Zitat).

Doch wie steht es um unsere alltäglichen Erfahrungen mit dem allmächtigen, helfenden und rettenden Gott? Wir singen ja laut und überzeugt: «Er hat die ganze Welt in seiner Hand.» Wirklich? Vielleicht spricht die niederländische Mystikerin Etty Hillesum, 1943 in Ausschwitz gestorben, heutiges Lebensgefühl mit ihren Aufzeichnungen im Tagebuch eher an:

«Ja, mein Gott, an den Umständen scheinst auch du nicht viel ändern zu können. Ich fordere keine Rechenschaft von dir. Du wirst uns später zur Rechenschaft ziehen. Und mit fast jedem Herzschlag wird mir klarer, dass du uns nicht helfen kannst, sondern dass wir dir helfen müssen und deinen Wohnsitz in unserem Inneren bis zum Letzten verteidigen müssen.»

Im Schweigen und Nichterfahren die Hoffnung, die Erinnerung an Gott nicht verlieren.

Gegen die Geschwätzigkeit

Der Kirchenlehrer Gregor von Nazianz kritisierte schon im vierten Jahrhundert die «Geschwätzigkeit und das masslose Lehren der Theologen». Dionysios Areopagita ging im fünften Jahrhundert mit menschlichen Zuschreibungen an Gott besonders hart um. Zwar sei Gott der Urheber aller Eigenschaften der Dinge, und daher habe er eine tiefe positive Beziehung zu ihnen, aber er bleibe jenseits des Seins.

Daher müsse man ihm noch viel mehr die Eigenschaften der Dinge absprechen, derart, dass «die Negationen bei den göttlichen Dingen wahr, die positiven Aussagen hingegen der Verborgenheit der unaussprechlichen Geheimnisse unangemessen sind». Menschliches Sein und göttliches Sein sind verschieden und deshalb nicht zu vermischen.

Die Westkirche hielt um 1215 am vierten Laterankonzil fest: «Zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf kann man keine so grosse Ähnlichkeit feststellen, dass zwischen ihnen keine noch grössere Unähnlichkeit festzustellen wäre.»

Ebenso ist es beispielsweise mit der menschlichen Vorstellung von der Allmacht Gottes, die der wahren Allmacht Gottes völlig unähnlich ist. Der allmächtige Gott wird in Jesus von Nazareth von Männern ans Kreuz geschlagen, was wenig mit menschlichen Allmachtsvorstellungen zu tun hat. Menschlich gesehen hat das mit Ohnmacht, Scheitern zu tun.

Liebe den Nicht-Gott

Sollen Menschen aufhören von Gott zu reden und ihn und sein ganz Anderssein vergessen? Dies auf die Hoffnung hin, zumindest nichts falsch zu machen und keinen Irrtümern aufzusitzen.

Einer der berühmtesten Philosophen des 20. Jahrhunderts, Ludwig Wittgenstein, riet: «Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.» Dann wäre die Freiheit Gottes gewährleistet.

Und trotzdem fühlen sich Christinnen und Christen gerufen und gesendet, das Reich Gottes zu leben und daran mitzubauen. Dabei wissen sie, dass es Gott ist, der dieses Reich aufbaut und nicht wir Menschen, wenn sie auch vom Leben Jesu her wüssten, wie sie mitbauen können. Vielleicht kann uns dabei der Mystiker Meister Eckhart eine Orientierung sein: «Du sollst ihn lieben, wie er ist: ein Nicht-Gott, ein Nicht-Geist, eine Nicht-Person, ein Nicht-Bild.»

Von Gott also nichts wissen, aber ihn lieben. Und allfällige Vorstellungen immer wieder beiseiteschieben und übersteigen. Denn Gott ist und bleibt anders – eben frei. Mann – Mensch – lass Gott Gott sein.

Kasten : Einige Gedanken und Zitate finden sich im Abschnitt «Negative Theologie – positiv», S. 129-130, in Johannes Röser, Auf der Spur des unbekannten Gottes, Christsein in moderner Welt, Herder Verlag, Freiburg, Basel, Wien, 2021. Das Buch ist sehr zu empfehlen und deckt einen weiten Horizont menschlichen Gott-Suchens ab.

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