Erstaunt und verblüfft

Predigt zu Ezechiel 37,1-14; Johannes 11,1-45

Jesus erstaunt und verblüfft: «6 Als Jesus nun hörte, dass Lazarus krank sei, blieb er noch zwei Tage an dem Ort, wo er war», so hörten wir eben im Johannes-Evangelium. Hat er denn nicht mehr Mitgefühl mit dem kranken Lazarus und seinen beiden Schwestern, Maria und Marta? Müsste er nun sein Predigen und Wirken nicht liegenlassen und zu Lazarus aufbrechen und heilen?

Doch auch Gott erstaunt und verblüfft: «und mitten in der Ebene liess er mich nieder, und diese war voller Gebeine», erzählt uns Ezechiel. Das Bild von der über die Ebene zerstreuten menschlichen Gebeinen erinnert an ein ehemaliges Schlachtfeld. Auch wir werden heute an aktuelle Schlachtfelder erinnert. Und wie wünschen wir uns, dass Gott eingreifen, Gerechtigkeit schaffen und Frieden stiften würde. Doch war das auch vor gut 2500 Jahren nicht so. Gott tat nichts. Die Menschen, Gottes erwähltes Volk ist auf offenem Feld gestorben und nicht einmal begraben worden. Die Knochen liegen immer noch auf der Erde herum. Ein erschreckendes Bild von Auflösung, Zerfall und Tod. Und Gott?

Doch jetzt viele Jahre später ergreift Gott im Buch Ezechiel die Initiative und lässt den Propheten handeln. Gott spricht: «Seht, ich lasse Geist in euch kommen, und ihr werdet leben. 6 Und ich gebe euch Sehnen und lasse Fleisch wachsen an euch, und ich überziehe euch mit Haut und lege Geist in euch, und ihr werdet leben, und ihr werdet erkennen, dass ich der HERR bin.» Viele Jahre nach dem Tod auf dem Schlachtfeld gibt Gott Sehnen, Fleisch, Haut und Geist zurück. Die Toten leben wieder. Gott scheint Zeit zu haben. Ohne Stress!

Fazit: Schon im Buch Ezechiel wird die Zerstörung, der Tod nicht verhindert, sondern von Gott in Kauf genommen. So prahlt der assyrische König Sanherib um 700 vor Christus laut einem Schlachtbericht, er habe die Ebene mit den Leichen (feindlicher) Krieger gefüllt wie Gras. Da greift Gott / Gottes Gerechtigkeit nicht ein, viele Jahre später schenkt Gott das Leben wieder. Diese Vision konnte sogar historisch infolge der toleranten Religionspolitik des persischen Königs Kyros dem II., im sechsten Jahrhundert vor Christus historische Wirklichkeit werden. Da haben plötzlich Menschen mitgewirkt.

Wie ist Ezechiel zu verstehen? Wie zu deuten? Gott verhindert Unglück, Unrecht, Tod nicht, aber er erweckt später zum Leben, einem Leben in Gerechtigkeit und Fülle. Gott handelt anders, als wir Menschen wünschen, aber er handelt und schenkt den elend Gestorbenen Leben.

Auch Jesus springt im heutigen Tages-Evangelium nicht nach Betanien. Er lässt Lazarus sterben, so dass der Leichnam dann «stinkt», wie die Bibel erzählt. Lazarus war tot, am Verwesen. Und für uns verständlich sagt Marta zu Jesus: «Herr, wärst du hier gewesen, so wäre mein Bruder nicht gestorben.» Ja, solches am Leben erhalten hätte ich von Gott, respektive Jesus auch erhofft. Da geht es mir ähnlich wie Marta. Jesus handelt anders. ER lässt seinen Freund sterben.

Wieso?

In den beiden besprochenen Texten finde ich drei Antworten fürs Warten lassen: 1) Gottes-Erkenntnis, 2) Verherrlichung Gottes und 3) Glauben.

  1. Gottes-Erkenntnis: «Und ihr werdet erkennen, dass ich der HERR bin, wenn ich eure Gräber öffne und euch, mein Volk, aus euren Gräbern steigen lasse. 14 Und ich werde meinen Geist in euch legen, und ihr werdet leben, und ich werde euch auf euren Boden bringen, und ihr werdet erkennen, dass ich der HERR bin», lesen wir im Buch Ezechiel.
  2. Verherrlichung Gottes: Erst im Angesicht des Todes, des Verfalls, des Schweren kann der leben-spendende Geist Gottes, seine Lebens-Kraft zeigen und verwirklichen. Erst in Konkurrenz zum Bösen, Schlechten kann das Gute gesehen werden, Gottes Wirken sich manifestieren. «Diese Krankheit führt nicht zum Tod, sondern dient der Verherrlichung Gottes; durch sie soll der Sohn Gottes verherrlicht werden», lässt das Johannes-Evangelium Jesus sagen.
  3. Glauben: «Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird in Ewigkeit nicht sterben.» Oder «Habe ich dir nicht gesagt: Wenn du glaubst, wirst du die Herrlichkeit Gottes sehen?» Oder «Ich habe es gesagt, damit sie glauben, dass du mich gesandt hast.»

Liebe Glaubende, was nehme ich mit von diesen beiden Texten? Ich nehme wahr, auf unserer Welt gibt es neben Leben und sonnigen Seiten, auch Krankheit, Krieg, Konflikte, Zerstörung und Tod. Die beiden Bibelstellen zeigen mir einen Gott, der solche Schattenseiten nicht verhindert, später aber wieder mit Leben füllt. Gott, beziehungsweise sein Handeln, seine Motive bleiben mir verborgen – die drei biblischen Begründungen überzeugen mich wenig. Marta’s Vorwurf verstehe ich gut. Viele Fragen bleiben offen. Aber Hoffnung lebt. Gott erstaunt und verblüfft, er ist anders, Gott, nicht Mensch.

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