Nähe zu Gott

ITE 2024/2; Einleitungsartikel: Es gibt heilige Berge …, aber auch heilige Schluchten und Höhlen. Und je nach Lebenserfahrung und -situation fühlt ein Mensch hier oder dort die Nähe zu Gott, zum Absoluten, zur Macht, zum Geheimnis des Lebens, usw. Davon erzählen religiöse Geschichten und Theologen. Humanistische Psychologen erforschen «Gipfelerfahrungen» (peak experiences) und stellen fest, dass vor allem junge Erwachsene davon geprägt werden, aber nicht nur.

«Auf der Alp fühle ich eine ganz besondere Nähe zu Gott», formuliert eine Mitfeiernde an einem Alpgottesdienst. Dabei ist es ihr wichtig, den anstrengenden Weg unter die Füsse genommen, geschwitzt und gekeucht zu haben. Erst so kann sie bei Gott richtig ankommen. Und dann die Weite, die Natur, die Stimmung, … «Oft fehlt mir die Sprache, aber mein Herz singt.»

Berge mit vielen Gesichtern

Ein anderer Gottesdienstteilnehmer erzählt, dass er regelmässig in die Berge beten, vor allem danken gehe. Als Jugendlicher sei er allein mit einem Stück Brot, einer Cervelat und einer Flasche Wasser in die Berge gegangen und habe nach Gott gesucht, geschrien. Fast verzweifelt sei er über Felsen gestiegen und habe sich auch verstiegen. Neue Wege gesucht. Oben auf dem Grat sei er einer Herde Schafe begegnet. Die Hirtenhunde seien knurrend vor die Schafe gestanden und so habe er gefährlich um die Herde herumklettern müssen. Angst und Verzweiflung waren mit ihm – und eine immense Sehnsucht.

Ganz verdattert habe er später sein Brot gegessen und realisiert, dass er keine Streichhölzer fürs Anfeuern dabei hatte. Und eine Cervelat sollte doch gebrätelt werden – das wäre schön. So habe er sich in schlechter Laune an den Abstieg gemacht und fand unerwartet zu einer verlassenen Feuerstelle, die noch leicht glimmte. Kein Mensch weit und breit. Sorgfältig befreite er die Glut, bliess sachte, konnte mit viel Geschick wieder ein Feuer entfachen, die Cervelat grillen, geniessen, Gott loben. Welch ein Fest! Und da erwachte in ihm die innere Gewissheit, Gott ist mit ihm, auch wo es im Leben rau, feindlich und herausfordernd werden kann. Diese Erfahrung begleitet ihn bis ins Alter – und immer wieder geht er in die Berge und dankt Gott für diese Lebens- und Seins-Gewissheit.

Visionen-Suche

Die halbsesshaften Pawnee-Indianer in Nordamerika betrieben Feldbau entlang der Prärie und ergänzten ihre Küche durch saisonale Jagd. Vor allem der Bison wurde gejagt. Wichtig war es diesen Indianern, zum Herzen der Erde zu finden. Heranwachsende Menschen gingen auf Visionen-Suche. Sie lebten allein in der Natur, bis ein Traumgesicht oder eine spezielle Naturerfahrung ihnen Antworten und Gewissheiten schenkte. Ein Lied erzählt vom «Herzen der Erde finden»:

Erst wenn ein Mensch viele Flüsse durchwatet, zahlreiche Berge bestiegen, ungezählte Nächte allein unter den Sternen geschlafen, sich von Kräutern, Samen und Wurzeln ernährt und bei Mondlicht im Fluss gebadet hat, kann er ans Herz der Erde finden und dort ruhen.

Dort werden ihm die inneren Augen aufgehen: Visionen und Träume zeigen ihm die Anhöhe, von der er den Morgenstern singen hören kann. Es ist das sanfte Lied eines Sterns, dessen Kraft so feinfühlig ist für die Harmonie der Welt wie ein Spinnennetz für den Wind.

Diversität in der Begegnung

Franz von Assisi zog sich bei seiner Gottsuche oft in Wälder, in Höhlen, auf Hügel zurück. Und da flehte er Gott um Nähe, Erleuchtung und Weisung an. Er fand immer wieder Antworten auf seine Lebensfragen und auf seine Gottsuche. Mit der Zeit wurde aus dem Waldsuchenden ein wandernder Nachfolger Jesu. Bruder Klaus scheint den Weg konträr gegangen zu sein. Bei seiner Gottsuche machte Klaus sich zuerst auf Wanderschaft und zog sich erst nach prägenden Erfahrungen in den Ranft zurück, um da in der Gegenwart Gottes zu verweilen.

Auch heutige Zeitgenossen verweilen gerne im Wald oder in den Bergen, um da zuerst einmal Kraft und Energie für ihr Leben zu schöpfen. Und manchmal finden sie dort ihre Nähe zu Gott, eine Lebensgewissheit, die trägt, Mut macht und Freude bereitet. Und manchmal ist es einfach eine tiefe Ahnung oder ein tragendes Vertrauen ins Leben. Oft fehlen dabei die Worte, um solche Erfahrungen zu benennen und wirklich zu verstehen. Auch sind die Erzählungen vielfältig und so unterschiedlich, wie die Menschen selber sind.

Gipfelerlebnisse

Der US-amerikanische Psychologe Abraham H. Maslow führte den Begriff «Peak Experiences» in die humanistische Psychologie ein. Seine Untersuchungen zeigen, dass die meisten (oder gar alle?) Menschen Gipfelerlebnisse in ihrem Leben machen: Momente tiefer Verbundenheit, von unbedingter Zugehörigkeit, der Aufhebung allen Getrenntseins, des Einsseins mit der Welt, tiefsten Glücks. Diese Erfahrungen sind vielfältig wie die Menschen, die sie erleben. Sie können therapeutisch wirksam werden, den freien Willen und Selbstbestimmtheit fördern.

Von Maslow ist vor allem die Bedürfnispyramide bekannt:
1. Psychologische Bedürfnisse
2. Sicherheitsbedürfnisse
3. Soziale Bedürfnisse
4. Individualbedürfnisse
5. Selbstverwirklichung.

Die oben thematisierten Gipfelerlebnisse können unter Selbstverwirklichung (Stufe 5) eingeordnet werden. Diese Stufe 5 hat im Verlauf der Jahre unterschiedliche Bezeichnungen erhalten: In seiner späteren Forschung assoziierte Abraham H. Maslow die Stufe mit dem Bedürfnis nach Selbstüberschreitung, nach Transzendenz.

Psychologische Erforschung

Ich möchte aus einem Vortrag von ihm (Vgl. Doubraw 2021) zitieren: «Als ich die Psychologie der Gesundheit zu erforschen begann, nahm ich die besten, gesündesten Menschen, die besten Exemplare der Menschheit, die ich finden konnte, und studierte sie, um zu sehen, was sie auszeichne. Sie waren sehr anders, in gewisser Weise verwirrend anders als der Durchschnitt.» Maslow fand heraus, «dass diese Menschen dazu tendierten, von mystischen Erfahrungen zu berichten, von Augenblicken grosser Ehrfurcht, Augenblicken des intensivsten Glücks oder sogar der Verzückung, Ekstase oder Glückseligkeit». Und weiter: «Diese Augenblicke waren das reine, das positive Glück. Alle Zweifel, alle Ängste, alle Hemmungen, alle Spannungen, alle Schwächen wurden zurückgelassen.»

«Gipfelerlebnisse können als wahrhaft religiöse Erfahrungen im … universellsten und humanistischsten Sinne des Wortes gelten.»

Maslow war überzeugt: «Sie (Gipfelerlebnisse – Red.) können wissenschaftlich untersucht werden. (Ich habe begonnen, dies zu tun.) Sie befinden sich innerhalb der Reichweite des menschlichen Wissens, sind keine ewigen Geheimnisse. Sie befinden sich in der Welt, nicht ausserhalb der Welt. Nicht bloss Priester machen sie, sondern die ganze Menschheit.» … «Gipfelerlebnisse können als wahrhaft religiöse Erfahrungen im besten und tiefsten, universellsten und humanistischsten Sinne des Wortes gelten.»

Oft unbewusste Erfahrung

Die nächste grosse Lektion, die Maslow gelernt hatte, war, «dass Gipfelerlebnisse weitaus häufiger vorkommen, als ich jemals erwartet hatte: Sie waren nicht auf gesunde Menschen beschränkt. Diese Gipfelerlebnisse hatten auch durchschnittliche und sogar psychisch kranke Menschen. In der Tat vermute ich jetzt, dass sie bei praktisch allen auftreten, allerdings unerkannt oder nicht als das genommen, was sie sind».

Der Psychologie war überrascht: «Praktisch jeder berichtet von Gipfelerlebnissen, wenn er auf sie angesprochen und befragt und in der richtigen Weise ermutigt wird.» … «Gipfelerlebnisse sprudeln aus vielen, vielen Quellen und jede Art Mensch kann sie haben. Meine Liste von Quellen wird immer länger, je mehr ich mich mit diesen Forschungen beschäftige.»

Literaturangabe: Erhard Doubraw (Hrsg.), Verbunden trotz Abstand, Von Gipfelerlebnissen und mystischen Erfahrungen. Beiträge von Abraham H. Maslow und David Steindl-Rast, Books on Demand, 2021.

Friedenbildend Krieg führen

Artikel aus ITE 2023/3; Ein gewonnener Krieg macht keinen Frieden

Frieden ist in steter Entwicklung und oft eher ein Wunsch für die Zukunft, denn Realität in der Gegenwart. Die Schweiz ist ein wunderbares Modell für Friedenspolitik. 2023 feiern wir 175 Jahre Schweizer Bundesverfassung und 75 Jahre AHV. Und immer noch wird am friedlichen Zusammenleben, auch am sozialen Frieden gearbeitet. Leben Schweizer*innen heute im Krieg oder im Frieden?

Als ich 2022 von Rapperswil ins Kapuzinerkloster Schwyz versetzt wurde, betrat ich einen neuen Kulturraum. Und natürlich besuchte ich das Eidgenössische Bundesbriefmuseum vor Ort. Die erste grosse Überraschung: Da gibt es nicht nur den einen berühmten Bundesbrief von 1291, sondern ganz viele solcher Briefe und Verträge aus dem Mittelalter. Am meisten imponiert hat mir der Vertrag von Uri, Schwyz und Unterwalden mit Bern, von 1353. Die Ur-Eidgenossen bekamen Angst vor dem aggressiven und sich expandierenden Bern. So bemühten sich Uri, Schwyz und Unterwalden um ein Bündnis mit dem unberechenbaren Nachbarn im Westen. Die stämmigen Innerschweizer fühlten sich mit einem Vertrag sicherer vor Bern und hatten erst noch einen guten Partner gegen Habsburg. Die drei Kantone versprachen im Gegenzug Soldaten, damit den Bernern an der Westfront die Söldner nicht ausgehen. In der Westschweiz zeugen heute noch viele Zwingburgen – vor allem am Neuenburger- und Genfersee – von diesem Ausbreitungsdrang der Berner.

Kriege in der Schweiz

Die zweite, noch grössere Überraschung für mich: Der letzte, mit Waffen ausgetragene, Bürgerkrieg auf Schweizer Boden fand 1847 statt – der Sonderbundskrieg. Vor 176 Jahren also. Und war es damit wirklich fertig? Im Jura-Konflikt gab es in unterschiedlichen Gegenden Menschen, die an andere Orte fliehen mussten, weil sie zur falschen Pro-Gruppe gehörten, Bern oder Jura. Migrant*innen im eigenen Land also. Ob dieser Konflikt jetzt befriedet ist? Oder wird das einst imperiale Bern weitere Gebiete abtreten müssen, die es dank Söldnern aus der Innerschweiz einst erobern konnte?

War die Schweiz seit 1847 wirklich ein befriedetes Land? Wie ist der Generalstreik von 1918 einzuordnen? Wie steht es mit unserem Frieden zu anderen Ländern, international? Gut achtzigjährige Schweizer*innen erinnern sich noch an Krieg, Kriegswirtschaft und Anbauschlacht. Und heute? Wie steht es mit unserem Verhältnis zu Russland? Ein harmonischer Friede oder eher ein Wirtschaftskrieg?

Konflikte und Lösungen bis 1848

Wie kam es eigentlich zum letzten (offiziellen) Bürgerkrieg der Schweiz? Der Historiker Georges Andrey fasst die komplexe und konfuse Vorgeschichte in der «Geschichte der Schweiz und der Schweizer» von 1986, Seite 621, in sehr dichter Form zusammen:

«Der Weg zum handlungsfähigen Bundesstaat führte durch Krisen und Spannungen verschiedenster Art, durch verdeckte Konflikte und offene Auseinandersetzungen, die nur hin und wieder durch Annäherungen und Akte der Versöhnlichkeit überbrückt wurden. Vor allem die Eidgenössischen Schützenfeste gaben jeweils Anlass zu Bekundungen von brüderlicher Solidarität und gemeinsamem Patriotismus. Krieg und Frieden zwischen den Kantonen waren der Ausdruck einer mühevollen Suche, eines langen Marsches von der alten Eidgenossenschaft zum modernen Bundesstaat. Konflikte und Spannungen kamen den Zeitgenossen stärker zum Bewusstsein als die Ansätze zu friedlicher Konfliktlösung. Auf institutioneller Ebene gab es aber beides, Konkordate und Konventionen auf der einen, Abspaltungen und Sonderbündnisse auf der anderen Seite, die das eidgenössische Zusammenleben zwischen 1803 und 1848 positiv und negativ beeinflussten.»

Der Sonderbundskrieg

Der Schweizer Bürgerkrieg von 1847 ist komplexer, als man sich denken könnte. Es geht nicht um katholische gegen reformiert-liberale Menschen. Denn auch katholische Kantone wie Solothurn, St. Gallen und Tessin kämpften mit der reformiert-liberalen Mehrheit. Interessanterweise sind die Anführer beider Seiten konservativ und reformiert. Beide Generäle waren weder katholisch noch liberal. Interessanterweise hat dieser Konflikt – langfristig gesehen – keine tiefen Wunden hinterlassen und ist heute fast vergessen.

Der Historiker Benedikt Meyer schreibt dazu: «‹Nous devons sortir non seulement victorieux, mais aussi sans reproche›*, hatte General Dufour seine Soldaten ermahnt. Und tatsächlich gab es fast keine Plünderungen, und die Verluste waren mit 93 Toten und rund 500 Verwundeten für einen Bürgerkrieg moderat. Dufour war nicht nur ein begnadeter Kartograf und Stratege, er gehörte später auch zu den Gründern des Roten Kreuzes. Nach dem Krieg erhielt die Schweiz 1848 ihre erste Verfassung, eine Hauptstadt und eine übergeordnete Regierung.» (Vgl. https://blog.nationalmuseum.ch/2019/08/der-sonderbundskrieg/)

Friedensarbeit: Pace e bene

Siegen, aber keine Vorwürfe machen, war das Motto während des Sonderbundkrieges. Auch wurden menschliche Übergriffe und Plünderungen unterlassen – eine Forderung, die schon Niklaus von Flüe an die Soldaten stellte. Die besiegten Kantone sollten nicht auf die Schlachtbank geführt, sondern möglichst integriert und in ihrem Stolz gestützt werden. Und wohl sehr wichtig; die neue Verfassung im amerikanischen Stil. Konflikte sollen nicht mehr mit Waffen, sondern durch eine Rechtskultur friedlich geregelt werden. Die erste Verfassung schien so gut gewesen zu sein, dass es in den vergangenen 175 Jahren nur zwei grössere Verfassungsreformen brauchte. Vielleicht kann man sagen, dass zum Frieden eine geregelte Konflikt- und Gerechtigkeitskultur gehört.

Doch gehört zum Frieden (pace) auch das Gute (bene). Was nützt einem hungernden alten Menschen die Freiheit, wenn daraus Tod wird. Gerade deshalb finde ich es schön und sinnvoll, dass wir dieses Jahr auch 75 Jahre AHV feiern. Denn ohne die nötigen Lebensgrundlagen, die sich im Verlaufe der Zeit verändern, bringt der schönste Frieden nichts. Wenn man heutige Armutsfaktoren betrachtet, dann sind beispielsweise alleinerziehende und alte Menschen besonders gefährdet. Der Geiz der Reichen stützt in solchen Situationen keinen sozialen Frieden.

Frieden für die Zukunft

Es mag sein, dass der letzte Bürger-Krieg in der Schweiz vor 176 Jahren stattfand. Doch sollten wir Schweizer*innen auch künftig am eigenen wie auch am internationalen Frieden arbeiten. Mit Recht und sozialer Verantwortung scheint es in der Vergangenheit im Bundesstaat gut gelaufen sein. Und da braucht es stets neue Justierungen und Verbesserungen. Und macht einander keine Vorwürfe, würde General Dufour mahnen.

* Überstzung: Wir müssen daraus nicht nur siegreich, sondern auch unbescholten hervorgehen.

Weihnachten lebt

Urner Wochenblatt | Samstag, 24. Dezember 2022

Weihnachten ist ein christliches Fest, aber nicht nur. Es lebt von Gegensätzen wie Betriebsamkeit und Stille sowie Dunkel und Licht. Das ist gut so und gehört sich so. Dieses dynamische Hin-und-her Schwingen prägen des Menschen Leben und Menschwerden, auch Gottes Menschwerdung. Frohe Weihnachten!

Es gab ein Jahr, da genoss ich scheinbar bis zum 20. Dezember einen besinnlichen Advent. Ich begab mich in keine Läden, an keine Weihnachtsmärkte und besuchte nur wenige und stille Liturgien. Adventliche Texte begleiteten mich. Trotzdem, es wollte gefühlsmässig nicht Advent sein und schon gar nicht Weihnachten werden. Es fehlte der vorweihnächtliche Trubel, das pulsierende Leben. Darum machte ich an jenem 20. Dezember einen Strategiewechsel.

Frieden feiern – Gerechtigkeit

Grundsatzartikel in ITE 2022/5

Franziskanisches Handeln kennt drei Dimensionen: Einerseits gut hinschauen und dann mit Elan handeln. Nötig dafür sind spirituelle Grundlagen, die dem Handeln Orientierung geben. Dieser Artikel vermittelt auf erzählerische Weise franziskanische Grundlagen fürs konkrete Handeln, das in den nachfolgenden Artikeln im Zentrum steht.

Kalt ist es draussen, es liegt matschiger Schnee auf dem Boden. Ein hellgelb erleuchteter Weg führt gerade zum nahen Hotel – und ein steiler dunkler Weg, mit Kerzen ausgeleuchtet, hinunter in den Ranft. Eine Gruppe Menschen macht sich auf den Weg in die tiefe Schlucht. In der Kapelle unten bei Bruder Klaus wollen sie für den Frieden beten. Jeder Schritt muss bedächtig gesetzt werden, es ist rutschig. Dieser Weg ist gelebte Friedensmeditation: Zu rasch entgleitet manchmal der Fuss, der Friede und wir Menschen haben das Nachsehen.

Auf dem dunklen Weg in die Schlucht hinunter halten die Menschen immer wieder an und gedenken schwieriger Situationen, Menschen, denen das weihnächtliche Licht zu wünschen ist. Unten angekommen, wendet man sich mit der Bitte um Frieden an Gott und feiert Gottes Friedensvisionen, wie sie beispielsweise im Psalm 85 aufleuchten: Es küssen sich Gerechtigkeit und Friede. Vielleicht trägt man konkrete Erfahrungen mit sich? Oft bleiben diese Visionen jedoch ein Wunsch für die Zukunft – und da gibt es noch Einiges zu tun! Auch für Gott. Darum: Komm Heiliger Geist …

Eine Friedensgeschichte

Diese Geschichte möchte ich frei nacherzählen:

Franz von Assisi keucht den Bergweg hoch. Durch die wunderbaren Kastanienwälder erreicht er das kleine Klösterlein Montecasale. Ruhig und beschaulich ist die Landschaft. Ideal für das Leben in Abgeschiedenheit und Gebet. Doch wehe dem Ankömmling. An dem abgelegenen Ort erwarten Brüder Franziskus in grosser Aufregung! «Franz, das kannst du dir nicht vorstellen», zischt ein erster Bruder, «da waren wir am Montag in der nahen Stadt arbeiten und trugen Brot und Früchte in unsere Einsiedelei hinauf. Am Mittwoch, während des Morgengebets, haben uns Räuber die ganze Vorratskammer geplündert und wir starteten den Tag mit Hunger.» «Lieber Franziskus», bittet ein anderer, «ich will weg von hier. In der Stadt unten sagen sich die Bürger, wir seien völlig verfressen. Seit Wochen bestehlen uns die Räuber. Wir müssen stets von neuem zu den Menschen gehen und um Nachschub fragen. Das ist peinlich, das halte ich nicht aus!» Kaum hat der zweite geendet, findet der dritte Bruder: «Weg müssen sie, diese Diebe. Einfach weg. Ich bin hierhergekommen, meinen Frieden zu finden und in Stille bei Gott zu sein. Aber das ist Schnee von gestern.»

Franziskus hatte sich seinen Aufenthalt in der Einsiedelei etwas beschaulicher vorgestellt. Doch wird von ihm eine Antwort erwartet und er will diese auch geben. Seine Mitbrüder, aber auch die Brüder Räuber, tun ihm leid. Nach stillem Beten und Nachdenken ruft Franz seine Mitbrüder zu sich und rät ihnen zu folgendem Vorgehen: «Liebe Brüder, wenn ihr das nächste Mal von der Stadt in die Einsiedelei kommt, dann nehmt die Hälfte der Esswaren für euch. Mit der anderen Hälfte geht ihr in den Wald, breitet in der Lichtung oben die Gaben auf dem Boden sorgfältig aus, zieht euch zurück und ruft den Räubern: Liebe Leute, ein Geschenk für euch›. Ab dem dritten Mal bleibt ihr in der Nähe der Lichtung stehen, ab dem fünften Mal bedient ihr selber die Räuber. Und dann sehen wir weiter. Gebt mir Bescheid.»

Die Brüder schlucken schwer, als Franziskus aufbricht. Aber man kann ja einen Heiligen nicht um Hilfe fragen und dann nicht nach seinen Ratschlägen handeln. Und so tun die Brüder in den kommenden Wochen, wie Franz es ihnen geraten hat. Beim ersten Versuch zittern die Brüder wie Espenlaub, oder waren es vielleicht die Räuber, die innerlich verängstigt zittern? Je öfter man die Räuber trifft, desto mutiger und kecker wird das Auftreten der Brüder. Mit der Zeit kennt man sich und beginnt zu scherzen. Die Brüder realisierten: Die Räuber waren aus der Stadt vertrieben worden, geächtet und fanden im Wald wenig Essen und keine Arbeit. Sie lebten als Vertriebene und hinter jedem von ihnen verbarg sich eine leidvolle Lebensgeschichte.

Die Legende endet damit, dass einige Räuber menschenfreundliche Franziskaner wurden, die anderen anständige Bürger der Stadt. Stadt und Umgebung erlebten wirtschaftlichen Aufschwung und niemand musste mehr Angst haben, in den Wald zu gehen. Selbst kleine Kinder konnten im Wald Pilze sammeln gehen und riefen sie nach den Räubern, kamen Brüder.

Bilder und Deutungen

Brasilianische Mitbrüder deuten diese Franziskuslegende wie folgt: Menschen, die das Nötige fürs Leben haben, müssen nicht gefürchtet werden. Vor allem gerecht integriert müssen sie sein. Wie Jesus oder Franziskus sollen die Christinnen und Christen sich besonders für Aussenseiter einsetzen und so dürfen sie manchmal die Erfahrung von Montecasale machen, dass Räuber gar nicht zu fürchten sind. Im Gegenteil. Gottes Geist wirkt auch in ihnen Grosses.

Ein anderes Bild des Franz von Assisi, das auch Papst Franziskus aufgegriffen hat, ist jenes der Geschwisterlichkeit: Christen und Christinnen, ja alle Menschen, haben einen gemeinsamen Vater, eine gemeinsame Mutter im Himmel. Das macht Menschen unter sich, aber auch mit Tieren und Pflanzen zu Brüdern und Schwestern, zu Geschwistern. Und das verbindet familiär. Stimmt, auch Geschwister gehen nicht immer friedlich miteinander um. Aber die Vorstellung der Geschwisterlichkeit stellt uns auf die gleiche Stufe. Gut, auf Erden fehlt uns manchmal der Vater oder die Mutter, die die Gaben der Gerechtigkeit und des Versöhnens haben. Dann sollen die älteren und vor allem die weiseren Geschwister für Gerechtigkeit und Frieden sorgen.

Ausblick

Heute ist Gerechtigkeits- und Friedensarbeit komplex und anspruchsvoll. Diese ITE-Ausgabe erzählt von unterschiedlichen franziskanisch Engagierten. Der Schweizer Kapuziner Adrian Holderegger arbeitet bei der UNO als «Ambassador for Peace». «Franciscans International» engagiert sich seit mehr als dreissig Jahren als NGO bei den Vereinten Nationen. Unser Westschweizer Mitbruder und Missiologe Bernard Maillard erzählt von seinen Erfahrungen mit ACAT (Action Chrétienne pour l’Abolition de la Torture) in ausländischen Gefängnissen. Ach ja, kennen sie die «Roten Kapuziner» der Westschweiz? Beat Baumgartner weiss mehr …

Plädoyer für die Freiheit Gottes

Aus dem Franziskuskalender 2023: Wenn man wahrnimmt, was Menschen über Gott schreiben, beten und sagen, wird das Korsett für den allmächtigen Gott manchmal sehr eng. Er wird in allzu menschliche Vorstellungen eingesperrt.

Im biblischen Buch Hosea ist häufig zu lesen: «Denn Gott bin ich und nicht Mensch.» (frei nach Hos. 11, 9) Wenn man exakt aus dem Hebräischen übersetzen würde, dann wäre richtigerweise Mensch mit «Mann» zu übersetzen: Denn Gott bin ich und nicht Mann!

Aber eben, Männer stellen sich Gott als Mann vor und denken, sie seien wie er. Oder sogar: Gott sei wie wir Menschen, Männer. Darum soll er stark, unbezwingbar, siegreich und vor allem allmächtig sein. Doch, vielleicht ist Gott eben Gott, und so weder menschlich noch männlich. Vielleicht ist er anders, ausserhalb unseres menschlichen Vorstellungshorizontes; eben frei und eigen, geheimnisvoll und uns nicht bekannt.

Die Kritik der Vereinnahmung Gottes durch die Menschen ist nicht neu. Im alten Griechenland war es der Philosoph Xenophanes (ungefähr 570-475 vor Christus), der die menschlichen Gottesvorstellungen von Homer und Hesiod kritisierte und diese pointiert formulierte:

«Wenn die Pferde Götter hätten, sähen sie wie Pferde aus.» Wenn also Männer Götter haben, dann sehen sie wie Männer aus! Diese Vereinnahmung Gottes ist bis heute aktuell und scheint es zu bleiben. Aber eben: «Gott bin ich und kein Mann!»

Ernüchterung

Christen und Christinnen werden hier vielleicht Einspruch erheben, wie Menschen anderer Buchreligionen auch. Uns Menschen wurde offenbart, Gott hat sich gezeigt. In heiligen Büchern wurde ja von auserwählten Menschen beschrieben, wie Gott ist (auch im Hosea-Zitat).

Doch wie steht es um unsere alltäglichen Erfahrungen mit dem allmächtigen, helfenden und rettenden Gott? Wir singen ja laut und überzeugt: «Er hat die ganze Welt in seiner Hand.» Wirklich? Vielleicht spricht die niederländische Mystikerin Etty Hillesum, 1943 in Ausschwitz gestorben, heutiges Lebensgefühl mit ihren Aufzeichnungen im Tagebuch eher an:

«Ja, mein Gott, an den Umständen scheinst auch du nicht viel ändern zu können. Ich fordere keine Rechenschaft von dir. Du wirst uns später zur Rechenschaft ziehen. Und mit fast jedem Herzschlag wird mir klarer, dass du uns nicht helfen kannst, sondern dass wir dir helfen müssen und deinen Wohnsitz in unserem Inneren bis zum Letzten verteidigen müssen.»

Im Schweigen und Nichterfahren die Hoffnung, die Erinnerung an Gott nicht verlieren.

Gegen die Geschwätzigkeit

Der Kirchenlehrer Gregor von Nazianz kritisierte schon im vierten Jahrhundert die «Geschwätzigkeit und das masslose Lehren der Theologen». Dionysios Areopagita ging im fünften Jahrhundert mit menschlichen Zuschreibungen an Gott besonders hart um. Zwar sei Gott der Urheber aller Eigenschaften der Dinge, und daher habe er eine tiefe positive Beziehung zu ihnen, aber er bleibe jenseits des Seins.

Daher müsse man ihm noch viel mehr die Eigenschaften der Dinge absprechen, derart, dass «die Negationen bei den göttlichen Dingen wahr, die positiven Aussagen hingegen der Verborgenheit der unaussprechlichen Geheimnisse unangemessen sind». Menschliches Sein und göttliches Sein sind verschieden und deshalb nicht zu vermischen.

Die Westkirche hielt um 1215 am vierten Laterankonzil fest: «Zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf kann man keine so grosse Ähnlichkeit feststellen, dass zwischen ihnen keine noch grössere Unähnlichkeit festzustellen wäre.»

Ebenso ist es beispielsweise mit der menschlichen Vorstellung von der Allmacht Gottes, die der wahren Allmacht Gottes völlig unähnlich ist. Der allmächtige Gott wird in Jesus von Nazareth von Männern ans Kreuz geschlagen, was wenig mit menschlichen Allmachtsvorstellungen zu tun hat. Menschlich gesehen hat das mit Ohnmacht, Scheitern zu tun.

Liebe den Nicht-Gott

Sollen Menschen aufhören von Gott zu reden und ihn und sein ganz Anderssein vergessen? Dies auf die Hoffnung hin, zumindest nichts falsch zu machen und keinen Irrtümern aufzusitzen.

Einer der berühmtesten Philosophen des 20. Jahrhunderts, Ludwig Wittgenstein, riet: «Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.» Dann wäre die Freiheit Gottes gewährleistet.

Und trotzdem fühlen sich Christinnen und Christen gerufen und gesendet, das Reich Gottes zu leben und daran mitzubauen. Dabei wissen sie, dass es Gott ist, der dieses Reich aufbaut und nicht wir Menschen, wenn sie auch vom Leben Jesu her wüssten, wie sie mitbauen können. Vielleicht kann uns dabei der Mystiker Meister Eckhart eine Orientierung sein: «Du sollst ihn lieben, wie er ist: ein Nicht-Gott, ein Nicht-Geist, eine Nicht-Person, ein Nicht-Bild.»

Von Gott also nichts wissen, aber ihn lieben. Und allfällige Vorstellungen immer wieder beiseiteschieben und übersteigen. Denn Gott ist und bleibt anders – eben frei. Mann – Mensch – lass Gott Gott sein.

Kasten : Einige Gedanken und Zitate finden sich im Abschnitt «Negative Theologie – positiv», S. 129-130, in Johannes Röser, Auf der Spur des unbekannten Gottes, Christsein in moderner Welt, Herder Verlag, Freiburg, Basel, Wien, 2021. Das Buch ist sehr zu empfehlen und deckt einen weiten Horizont menschlichen Gott-Suchens ab.

Warten und Erwarten

ITE 2022.2 Warten ist stets an einen konkreten Zeitabschnitt und bestimmten Ort gebunden. Einerseits sollen solche Warteräume in der modernen Welt verschwinden oder überdeckt werden, andererseits wird gerade das Warten wieder als neue Kraftquelle entdeckt. Dann kann sich das Warten vom Erwarten entkoppeln.

Der schmächtige Bruder Josef Hangartner selig war bei den Menschen sehr beliebt – und dies trotz des Umstandes, dass er seine Meinung gut und gewandt vertreten konnte. In jüngeren Jahren war er in Zürich ein geduldiger und überzeugter Hausmissionar. Dabei war der nette Bruder nicht nur auf der Kanzel bekannt für seine eindeutigen Ansichten, sondern später auch mit seinen Leserbriefen in den Redaktionen. Und bei dieser Geschichte hier geht es um den Warteraum im neugebauten, besser, im Burgenstil rückgebauten Bahnhof Rapperswil.

Vor dem Rückbau des Bahnhofs gab es im Hauptgebäude einen gemütlichen und bequem eingerichteten Wartesaal. Wem das lebendige Kloster am See zu unruhig wurde, der konnte sich in diesen Warteraum der Bahn zurückziehen und herunterfahren – gedacht und genutzt wurde dieser Raum von Menschen, die auf einen Anschluss warten mussten. Und da dies (früher) des Öfteren vorkam, gab sich die SBB Mühe, diesen Ort auch mit Lebensqualität auszustatten. Alte Bahnhöfe kennen manchmal heute noch berühmte und künstlerisch gestaltete Wartesäle. Vor allem die Decken mittelgrosser Bahnhöfe wurden von schönen Bildern bekannter Künstler geziert.

Vergangene Kultur des Wartens

Nach dem Umbau des Bahnhofs Rapperswil wurde in der zentralen Halle ein Kaffi eingerichtet. Als Bruder Josef eines Tages hinsass, um einen Gast zu erwarten, kam die Kellnerin und fragte freundlich, was er sich wünsche: «Ich möchte hier im Wartesaal auf einen Freund warten und habe im Kloster gut gegessen», war Josefs klärende Antwort. Er hatte also keinen Wunsch offen. Die freundliche Bedienung zeigte dem alten Mann die Schiebetüre, die im neuen Gebäude automatisch auf und zu geht. So stand Bruder Josef bald wieder draussen vor der Türe und fror im Winter an der Kälte, wartete auf seinen Freund – und genau da entstand in seinem Kopf ein Leserbrief; der dann zu Hause nur noch mit der Speicherschreibmaschine in die Tasten gehämmert werden musste.

Josef wurde nett darauf hingewiesen, dass es neu auf den Perrons, ganz nahe bei den Zügen, Wartekabinen gäbe, die im Winter sogar geheizt seien.

Doch mit der Kultur des Wartens und Geniessens konnte der Kapuziner diese funktionalen Kabinen nicht mehr in Verbindung bringen. Wenn er im schönen Raum des ehemaligen Wartesaales sein wollte, dann war er gezwungen zu konsumieren. Oder beim Warten eben auf engen Gitterbänken, hinter Plexiglas-Scheiben ausgestellt, auf dem Perron zu verweilen. Und wenn es kalt ist, dann stehen die Wartenden dicht gedrängt und hoffen nur noch, dass der Zug bald kommt. Hier wird das Warten funktional reduziert und mühsam.

Ein Ende des Wartens

2016 war im Blick zu lesen «SBB schliesst Luxus-Lounges in Zürich und Genf. Weil man an den Bahnhöfen in Zürich und Genf kaum mehr auf Anschlusszüge warten muss, schliesst die SBB ihre 1.-Klass-Lounges per Ende 2016». Begründet hat die SBB diese Entwicklung mit den stets kürzer werdenden Anschlusszeiten und den besser werdenden Verpflegungsmöglichkeiten in und um die Bahnhöfe. Deshalb seien diese Lounges von den Reisenden nicht mehr gefragt. Und folgerichtig werden moderne Bahnhöfe immer mehr zu Verpflegungs- und Einkaufszentren, Konsumtempeln und sind nicht mehr Orte des Verweilens und Wartens. Und oft staunt man, dass es am Bahnhof überhaupt noch Züge gibt. Warten wird dann mit Konsum und Shoppingzeit gleichgesetzt und manchmal künstlich verlängert.

Ist Warten etwas, was abgeschafft gehört? Ist Warten etwas Neues, das erst an den Bahnhöfen erfunden worden ist? Warten besteht aus einer Zeitspanne an einem bestimmten Ort in Erwartung von Etwas, beispielsweise einem Zug. Im Zusammenhang mit dem Reisen geht es einerseits darum, Wartezeiten zu reduzieren und am liebsten zu eliminieren. Andererseits lässt sich in den Bahnhöfen gut beobachten, wie diese für Menschen und Menschengruppen zu beliebten Treffpunkten geworden sind. Orte, wo sich einander bekannte oder unbekannte Menschen treffen und unterhalten können.

Die Menschen warten, seitdem es Menschen gibt.

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass Menschen vermutlich warten, seitdem es Menschen gibt. Der Jäger wartete auf das zu erlegende Tier und kannte den richtigen Zeitpunkt und Ort dazu. Sammler und Bauern mussten warten, bis die Pflanzen gewachsen und reif zum Essen sind. Dazu mussten auch sie schon zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sein. In der Wüste gibt es keine Äpfel zu ernten. Hirten wandern heute noch mit ihren Tieren zur richtigen Jahreszeit an den Weideort und warten, bis die Tiere das Gras gefressen haben. In Schweizer Bergtälern gibt es eine klar definierte Bergwirtschaft mit vorgegebenen Wartezeiten. Vor allem die Walser waren in der Schweiz geschickte Berghirten, die genau wussten, wann das Vieh wo sein muss. Und eben, wie lange man warten muss, um höher oder tiefer zu ziehen.

Das Gebet als Warten und Aushalten

Stimmungsvoll flackern die Kerzen in der Antoniusgrotte in Rapperswil. Ein kleiner dunkler Raum mit einem Ambiente, das zum Verweilen einlädt. Ein Vater tritt mit seinen beiden Kindern ein. Diese stolpern mit glänzenden Augen zum Kerzenständer. «Eine Kerze für unsere Omi», sagen sie ganz ernst. Omi ist im Spital und die Familie hofft, dass sie gesund wird. Beim Anzünden denkt der Mann an die schwierige Situation am Arbeitsplatz. Hoffentlich muss Elmar die Firma nicht verlassen. Schweigend schauen sie in die flackernden Kerzen. Etwas abseits im Dunklen sitzt eine Frau innerlich unruhig in schwere Gedanken versunken. Ihr Mann hatte einen Herzinfarkt und sie hofft, dass das gemeinsame Leben noch lange glücklich weitergeht. «Karl ist ein guter Vater und Ehemann», geht ihr durch den Sinn. Im Moment handeln die Ärzte, und sie ist hier in der Stille am Warten. Erwartet einen gemeinsamen Lebensabend, der hoffentlich wunderbar wird.

Warten selbst hat eine Qualität, die gepflegt und genossen werden darf.

Das Leben kennt spezielle Warteräume und auch diese sind in Veränderung. Vor allem im Mittelalter war das irdische Leben der Ort und die Zeit des Wartens auf das ewige Leben an einem anderen Ort, in einer anderen Zeit – eben die Ewigkeit. Theologinnen und Theologen betonen sehr, dass Ewigkeit nichts mit irdischer Zeit zu tun hat. Auch heute noch gibt es Menschen mit solchen Jenseitsvorstellungen.

Andere Stimmen lassen das «Nachher» offen und betonen das gute Leben im Jetzt. So oder so gehört Warten zum Leben. Vielleicht kann mit der Beschleunigung und der Planung des Lebens «Wartezeit» verkürzt werden. Oder vielleicht ist von Bruder Josef zu lernen, dass Warten selbst auch eine Qualität hat, die gepflegt und genossen werden darf.

Eine Spiritualität des Wartens

Pflücke die alltäglichen Wartezeiten als Geschenk und fülle sie mit deiner, vielleicht auch mit Gottes Gegenwart. Schliesse auf dem Perron die Augen und atme tief durch. Komme an der Bushaltestelle zuerst einmal bei dir an und verweile. Sehne dich nach diesen Dichtemomenten des Glücks und des Alltags. So kann man es von spirituellen Lehrern und Lehrerinnen hören. Nimm dir die Zeit an jedem Ort, in jedem Moment, der sich bietet, zu warten, vielleicht auch zu erwarten, dass Gott kommt, dass das Leben Tiefe und Weite erhält, dass du da bist und lebst. Doch schon das Warten selber hat seinen Sinn und seine Wirkung. Denn das Meditieren soll ja, so zeigen auch wissenschaftliche Untersuchungen, gesund sein.

100 Jahre ITE

ite 1/22: Vor einem Jahrhundert publizierten die Kapuziner ihren ersten Missionsboten. Dieser wurde später in ITE umgetauft. «Tu Gutes und sprich davon.» war der Grundsatz. Dabei lernten die Brüder immer mehr, dass es auch kritische und vielfältige Blicke auf die Welt, die Kirche und das eigene Tun braucht. Im Verzeichnis der Schweizer Kapuziner finden sich 2022 fünf «Publikationen der Provinz»: Helvetia Franciscana, ITE, frère en marche, Franziskuskalender und Missionskalender. Mag sein, dass es auf der Kanzel etwas ruhiger geworden ist, doch sind die Brüder medial vielfältig präsent. ITE 2022.1 hält Rückschau und macht eine Bestandesaufnahme der Gegenwart. Die Brüder und die Redaktion sind motiviert in die Zukunft zu schreiben und fotografieren. Viel Vergnügen!

Gratis-Probenummern bei: Missionsprokura Schweizer Kapuziner, Postfach 1017, 4601 Olten. Telefon: 062 212 77 70. Oder www.ite-dasmagazin.ch

Editorial ITE 2021/5

Offene, freudige Kinderaugen, das ist ein Bild für Weihnachten. Beim Wandern eine Eselin zu sehen, erinnert mich an Weihnachten. Aber auch eine schöne bereichernde Überraschung im Alltag verbinde ich mit Weihnachten. Und erleben wir dies in unserem Alltag, dann empfinden wir vielleicht einen heiligen Schauer, ein innerliches Jauchzen, dankbar und glücklich.
«… jeder Tag ein wenig Weihnachten», so lautet der Untertitel dieser ITE-Ausgabe. Auch Mutter Teresa hat sich von Weihnachten bewegen lassen, wenn sie sagt: «Jeder Tag ist Weihnachten auf der Erde, jedes Mal, wenn einer dem anderen seine Liebe schenkt, wenn Herzen Glück empfinden, ist Weihnachten, dann steigt Gott wieder vom Himmel herab und bringt das Licht.» Liebe Leserin, lieber Leser, wie würde Ihr «Weihnachtssatz» aussehen? Oder würden Sie lieber zu einem Bild greifen?
Weihnachten spielt mit Stimmungen und greift das Licht in der Dunkelheit auf, den grünen Tannenbaum im kahlen Laubwald, das schutzlose Kind in der kalten Welt. Es sind dies Grundstimmungen, die alle Menschen prägen und Christen mit dem Menschwerden Gottes in Verbindung bringen, dem hilflosen Kind in der ärmlichen Futterkrippe, das der ganzen Welt Hoffnung bringt und in den Erzählungen Heerscharen von Engeln vom Himmel zur Erde kommen lässt. Und dann stehen da die Hirten und über ihnen frohlocken die Engel. Licht, Liebe, Gerechtigkeit und Frieden sollen werden und uns erfüllen.
«… jeder Tag ein wenig Weihnachten», war die Ursprungsidee unserer Redaktion für diese Weihnachtsnummer. Nicht vergessen haben wir dabei jedoch auch «Gott wurde Mensch», einer von uns und solidarisch mit uns. Dabei wird er von Maria und Josef ernährt. Er ist von zwei Menschen abhängig und auf Fürsorge und Liebe angewiesen. Wenn der eine oder andere Text Sie weihnächtlich verzaubert, Licht, Freude sowie Hoffnung in Ihren Alltag bringt – selbst wenn dieser nicht nur lichtvoll ist –, dann ist Weihnachten geworden. Frohe Weihnachten und Gottes menschliche Nähe, dies wünsche ich Ihnen in den kommenden Wochen.

Seid fröhlich in der Hoffnung

Der Missionskalender 2022 der Schweizer Kapuziner ist erschienen …

Der praktische Wandkalender mit Angabe der Tagesheiligen für die Feier von Namenstagen, mit wunderbaren Bildern und Bibelzitaten sowie viel Platz für Ihre Termine ist wieder da. «Seid fröhlich in der Hoffnung», steht im Römerbrief 12,12. Und dieser Satz ist das Motto für die Bilder und Texte im 2022.

Lachende Gesichter stecken an und stellen auf. Und oft geschieht es dann, dass es mir selbst wohl im Herzen wird und die Menschen mir zumindest ein Lächeln entlocken. Hoffentlich kann Ihnen auch dieser Missionskalender der Schweizer Kapuziner im kommenden Jahr stets neu ein Lächeln entlocken. Lassen Sie sich von der Freude und der Hoffnung verzaubern.

Gratis-Missionskalender bei: Missionsprokura Schweizer Kapuziner | Postfach 1017 | 4601 Olten | Tel: 062 212 77 70 | Weiter

Edito zu ITE 2021/3

Liebe Leserinnen und Leser

«Macht euch die Erde untertan». Diesen «biblischen» Spruch haben Sie wohl auch schon oft gehört und sich vielleicht darüber ebenso wie ich geärgert. In der letzten Zeit hallt mir noch ein Zitat von Leonardo Boff nach: «Wenn wir uns nicht ändern, werden wir aussterben wie die Dinosaurier.»

Erdgeschichtler zeigen, dass die Auslöschung von Tier- und Pflanzenarten zum natürlichen Prozess der Evolution gehört. Im Verlaufe ihrer Geschichte hat die Erde fünfzehn grosse Vernichtungskatastrophen durchgemacht. Die letzte von ihnen hat den Dinosauriern das Überleben gekostet. Was zum Aussterben der Dinosaurier geführt hat, ist umstritten, bei uns Menschen ist wohl klar, was zu unserer Auslöschung führen könnte.

Selbst die neue Einheitsübersetzung von 2017 übersetzt Genesis 1,28 mit «Seid fruchtbar und mehret euch, füllt die Erde und unterwerft sie euch und herrscht über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die auf der Erde kriechen!» Man könnte wirklich meinen, die Bibel ist ökologisch unsensibel und unterstützt wirtschaftlichen Raubbau. Als dieser Text allerdings geschrieben wurde, gab es noch keinen Kapitalismus, keine Unternehmen, keine global tätigen Firmen und Banken, auch keine Massenvernichtungswaffen, die die Welt mehrmals in die Luft sprengen könnten. Es gab Viehhirten und vielleicht ein paar Könige – die Bibel erzählt in ihren frühen Büchern eher von Nomaden, denn von sesshaften Menschen. Für diese wenigen Menschen gab es unbeschränkt Platz auf Erden, und die Natur konnte sich vom menschlichen Leben und Handeln immer wieder problemlos erholen.

Im hebräischen Originalzitat aus Genesis 1,28 hat das hebräische Verb kabasch die Bedeutung als Kulturland in Besitz nehmen. Das Verb radah meint königlich auftreten. Ein König hat Verantwortung für sein Reich und ist Gott gegenüber verantwortlich für sein Tun. Von dieser Verantwortung handelt ITE 2021/3. Unsere Vision wäre, dass aus unserem Leben und Wirtschaften ein wunderbares Miteinander entstände, dass Leben in Vielfalt und Fülle für Menschen, Tiere und Pflanzen möglich wird; geordnet und abgestimmt, so dass sich Wirtschaft und Natur bildhaft gesprochen den Handschlag der Nachhaltigkeit für das Leben geben.