Werde töricht, um weise zu sein

Predigt Fasnacht 2023; 1 Kor 3,16-23, Mt 5,38-48

In der heutigen Lesung von Paulus hörten wir: «Denn die Weisheit dieser Welt ist Torheit vor Gott.» (1 Kor 3,19). Meine Weisheit, meine Adrian-Weisheit ist Torheit vor Gott. Das ist nicht gerade eine Erkenntnis, die mir schmeichelt. Und ich lese viele Bücher und Zeitungen. Ob papiernen oder digital ist mir egal. Ich höre und sehe Podcasts. Ich möchte das Leben, die Welt verstehen, gut und richtig handeln, aufrichtig beten können «Dein Wille geschehe, dein Reich komme». Und in den Ohren höre ich Paulus sagen: werde töricht, um weise zu werden (1 Kor 3,18). Eine Ermutigung ist mir Paulus nicht gerade. Doch auch Jesus von Nazareth, wie wir ihn im Tagesevangelium hörten, bringt mit seiner Bergpredigt schwere Kost: «Leistet dem, der euch Böses antut, keinen Widerstand, …» Mt 5,39.

Es ist mir übrigens klar, dass Gottes Weisheit ganz anders beschaffen sein muss als meine menschliche Weisheit, respektive Torheit. Und wie hat Paulus gesagt? «Meint einer unter euch, weise zu sein in dieser Weltzeit, so werde er töricht, um weise zu werden.» 1 Kor 3,18 Das tönt in meinen Ohren nach Fasnacht: werde töricht, um weise zu sein

Ist Widerspruch, Einspruch, Offenheit für die Zukunft vielleicht Gottes Programm? Sigfried Kleymann sagt: «Karneval ist ein Fest der Distanz zum Alltag. Vieles ist schräg und anders als gewohnt. In die verrückte Perspektive der Karnevalstage passt das Evangelium vom heutigen Sonntag. Ein Gott, der die Konventionen von Freund und Feind, Gut und Böse durchbricht und überraschend anders handelt.» Ja, auch die Fasnacht bricht mit Konventionen des Alltags, wie die heutigen Bibeltexte auch!

Vielleicht helfen mir, uns auch Paulus und Jesus etwas Distanz von unserem Alltag zu gewinnen – wie es die verspielte und farbige Fasnacht tun kann. Und vielleicht hilft mir, uns diese Distanz zur Gegenwart besser in die Zukunft zu gehen, das Jetzt, die Gegenwart nicht absolut zu verstehen, sondern als Entwicklung in der Heils-Geschichte. Geschichtstheologisch gibt es Entwicklungsschritte und Gottes Weisheit formuliert uns vielleicht unser Ziel, eben die Verwirklichung des Reich Gottes. Etwas kurz zusammengefasst könnte man eine Konfliktlösungs-Geschichte der Menschheit folgendermassen erzählen:

  1. Bei Konflikt einfach mal dreinschlagen und sich seine Gerechtigkeit holen, sowie auch noch die Wut loslassen, rächen. Dies wäre ein Mensch ohne Kultur, noch völlig abhängig und gesteuert von seinen Trieben.
  2. Auge um Auge, Zahn um Zahn. So könnte eine weitere Gewaltspirale verhindert werden. Es ist dies schon ein erster kultureller Schritt in die richtige Richtung. Gewalt nicht explodieren lassen. Einer Spirale der Gewalt absagen. Für Jesus ist diese Phase schon überwunden.
  3. Schauen, dass der Gewalttäter gebremst wird und nicht mehr zerstörerisch und verletzend handeln kann. Vielleicht ginge es da schon um erste Strukturen, die Gerechtigkeit schaffen und Gewalt verhindern. Da werden Dritte ins Boot geholt. Es soll nicht mehr vergolten und bestraft werden. Nicht mehr Auge um Auge, sondern Gewalttat an der Wurzel fassen.
  4. Da geht es wohl um Recht und Gerechtigkeit, Organe, die diese einfordern und stützen, weiterentwickeln können. Das heisst aber auch Ungerechtigkeiten abbauen, die Würde, Menschen- wie auch Sozialrechte fördern und umsetzen. Menschliche Kultur muss sich weiterbewegen. Aufbau einer tragfähigen, kreativen Zivilgesellschaft. Wohlergehen für alle. Da sind wir vermutlich drin.
  5. Aufbauend auf 4 vielleicht die Einsicht, wie sie von den Weltreligionen mehr und mehr formuliert werden: Alle Menschen sind Geschwister und haben einen gemeinsamen Gott – wie auch immer genannt und erfahren. Da geht es auch um gegenseitige Verantwortung, beispielsweise der Reichen für die Armen, die Starken für die Schwachen; auch international gedacht. Es geht auch um internationale Solidarität. Konfliktabbau und Friedensarbeit; lebendige Zivilgesellschaft.
  6. …..
  7. Vision/Reich Gottes/Hoffnung/… Und vielleicht über mehrere weitere Stufen kommen wir zum Reich Gottes. Da sind die Forderungen der Bergpredigt, die verrückte Perspektive der Weisheit Gottes Alltag, Gegenwart. Alle sind grosszügig und freigebig, liebend und barmherzig, wissen um die Nöte der Nächsten und können diese auffangen. Dem Bösen muss keinen Widerstand mehr geleistet werden. Böses kann integriert und verhindert werden. Alles nur ein Traum?

Doch ist das noch nicht mein, unser Alltag. Wir erleben ganz konkret Ungerechtigkeit, die angegangen werden muss. Hungernden Menschen zu sagen, sie sollen ihre zweite Wange hinhalten, geht nicht. Missbrauchten Kindern zu sagen, halte hin, geht nicht. Unterdrückten Menschen zu sagen … usw. Den Menschen in Myanmar, in Syrien oder in der Ukraine zu sagen … Übrigens hat auch Jesus vieles kritisiert und zurückgewiesen. Dämonen hat er nicht gewaltlos ausgetrieben, sondern mit Gottes Kraft. Jesus hat geheilt, versöhnt und vergeben.

Aber eben, wie die Fasnacht hat auch Jesus ab und zu vom Alltag Abschied genommen, um auf das Leben, die Freude, die Liebe Gottes, das Reich Gottes hinzuweisen. Seine Botschaft ist und war ja das Reich Gottes, dessen Dasein und Kommen, jetzt und noch nicht.

Liebe Christen, liebe Christinnen

Ich weiss, die Texte von Paulus und von Jesus habe ich jetzt nicht geklärt und auch nicht mit unserem gelebten Alltag harmonisiert. Ich glaube, dass wir ihren Stachel, ihre Aufforderung und Ermutigung spüren sollten, solange das Reich Gottes noch nicht unser Alltag ist. Die Texte sind mir Vision, ein Versprechen für die Zukunft. Gleichzeitig verstehe ich mich, uns in einer von Gott gewollten Entwicklung in die richtige Richtung. Da sind wir eingeladen stets neu aufzubrechen und mitzuarbeiten, am Reich Gottes. Im Kleinen wie im Grossen, an diesem gigantischen göttlichen Projekt mitzumachen. Dazu wünsche ich uns viel Freude, gute Ideen und immer wieder den Stachel von Gottes Weisheit, die oft von menschlicher Torheit erzählt.