Geduld und Geburt

Vom 16. bis 31. Dezember bin ich wieder mit der Zürcher Telebibel unterwegs. Gott zeigt sich im Advent als geduldig und in der Weihnachtszeit als menschlich. Er kommt und lässt warten bis der neue Himmel und die neue Erde kommen. Auf https://telebibel.ch/zuerich kann man hineinhören. Viel Licht und Freude wünsche ich.

Welch eine Zeit

Predigt vom 10. Dezember 2023; Mk 1,1-8; 2 Petr 3,8-14

Am Mittwoch, 6. Dezember, war ich als Schmutzli unterwegs. Dabei wurde mir bewusst, dass Kinder heute in einer anderen Welt leben als ich. Gelobt wurden die meisten Kinder wegen ihrer Kreativität und Fähigkeit bei Problemen Lösungen zu finden. Im Tadel wurden sie oft zur Selbstständigkeit ermahnt: Ankleiden, Zähne putzen, Instrumente üben. Der Gehorsam Eltern oder Autoritäten gegenüber kam nicht vor. Das hatte ich vor dreissig Jahren als Samichlaus noch anders erlebt!

Letzten Sonntag war die Sternstunde Philosophie des Schweiz Fernsehens mit der Physikerin Sabine Hossenfelder. Sie hat die wunderbare Gabe komplexe Zusammenhänge sehr verständlich zu erklären und zu veranschaulichen. Sie hat deutlich gemacht, dass seit Einstein «Zeit» für Physiker nicht mehr linear, geradlinig ist und dass es für Physikerinnen keine Gegenwart gibt. Was wir im Alltag als Gegenwart verstehen ist für Physiker schon Vergangenheit. Und im Blick in den wunderbaren Sternenhimmel sehen wir teilweise das Licht von Sternen, die schon längst erloschen sind.

Nun, nicht nur für Wissenschafterinnen, sondern auch für Glaubende ist die «Zeit» ein spannendes Phänomen und hat unterschiedliche Aspekte. Dies wird im Advent besonders deutlich. Die griechische Sprache kennt drei Begriffe für «Zeit». «Chronos» ist die Zeit, wie wir sie auf unseren Uhren sehen. Es ist die Zeit, die Sekunden, Minuten und Stunden aneinanderreiht. Sie wird gezählt und gemessen. Der Begriff «Äon» bezeichnet eine «Lebenszeit» oder auch ein «Zeitalter» sowie die «Ewigkeit». Das Chlausen letzten Mittwoch hatte mit der Erfahrung eines solchen kreativen, selbstständigen und lösungsorientierten Zeitalter zu tun.

Die griechische Sprache kennt auch den Begriff «Kairos», der für Glaubende von grosser Bedeutung ist. «Kairos» meint einen geeigneten oder günstigen Zeitpunkt für eine Handlung, auch einen Gottesmoment. Die kurzen und dunklen Tage des Advents sind geeignet für die Wirkung von Kerzen. Darum Adventskränze und Weihnachtsbäume. Auch Fondue, Raclette und Glühwein sind geeignet für kalte Tage. Für uns Christinnen und Christen hat der «Kairos» vor allem mit Gottes wirken in unserem Leben und unserer Geschichte zu tun.

Der 2. Petrusbrief kennt für Gott ein eigenes Zeitempfinden. Beim ihm sind «ein Tag wie tausend Jahre und tausend Jahre wie ein Tag» (3,8). Es sind dies Realitäten und Erfahrungswerte, die für uns Menschen weder verständlich noch nachvollziehbar sind. Gott-Zeit ist nicht menschenlogisch oder Menschenerfahrung. Interessanterweise verbindet der Autor des 2. Petrus-Briefes diese Gott-Zeit mit Geduld. Gott ist geduldig mit uns Menschen, «weil er nicht will, dass jemand zugrunde geht, …» (3,9). Wie gerne hätte ich, wenn Gott heute eingreifen würde und Kriege und Konflikte beheben sowie Gerechtigkeit und Frieden schaffen würde. Doch Gott ist geduldig. Er gibt uns Menschen Zeit zur Umkehr, zur Versöhnung untereinander, mit der Welt und mit Gott. Welch ein Gedanke!

Das meint jedoch nicht, dass Gott untätig und weltfremd ist. Der 2. Petrusbrief verspricht uns «einen neuen Himmel und eine neue Erde, in denen die Gerechtigkeit wohnt» (3,13). Auch einen neuen Himmel! Im heutigen Tagesevangelium macht der Evangelist Markus deutlich, dass Gott immer wieder für uns Menschen Initiative ergreift und Menschen beruft. So zum Beispiel Johannes der Täufer in der Wüste, der den Menschen Umkehr und Taufe verkündigt. Der Asket bleibt nicht allein. Menschen kommen zu ihm und lassen sich taufen.

Johannes gehört zum «Kairos Gottes», der die Erde, die Menschen ihrer Bestimmung zuführen will. Er ist auch Ausdruck von Gottes Geduld mit uns Menschen. Gott hat Zeit und lässt uns umkehren, neu und anders werden. Johannes der Täufer verweist auf einen noch wichtigeren Kairos Gottes: «Ich habe euch nur mit Wasser getauft, er aber wird euch mit dem Heiligen Geist taufen» (Mk 1,8). Welch eine Verheissung, welch eine Geduld, Zuwendung Gottes! Und so können auch wir im Advent diese Geduld lernen und üben. Der neue Himmel und die neue Erde werden kommen und immer wieder gibt es spezielle Menschen und Momente im Weg dorthin. Und wenn wir achtsam sind, dann dürfen auch wir immer wieder solche Momente erleben und neu werden.

Vor zwei Wochen genoss ich Wanderferien vom Kloster Olten aus. Ich musste schnell packen und dachte wegen dem angekündigten Regen gar nicht an kalte Ohren und eine Mütze, nur an Schirme – und das in Mehrzahl. Als wir am ersten Tag fürs Wandern aufbrachen und auf den Bus warteten merkte ich schnell, was ich vergessen hatte, eine Mütze. Dumm dachte ich bei mir und versuchte mich nicht über mich zu ärgern. Denn es war kalt, eiskalt. Als dann der Bus vorfuhr und wir uns setzen wollten, lag da auf dem Sitz eine einsame Kappe. Zuerst zögerte ich, doch dann nahm ich sie als ein Zeichen Gottes, und zog die Kappe an, welche mir in den folgenden Tagen warme Ohren ermöglichte. Auch ein Zeichen an mich?

Ich weiss, man sollte solche Situationen nicht überinterpretieren, doch sah und sehe ich darin ein Zeichen der Zuwendung Gottes, das mir warme Ohren ermöglichte. Es war dies ein Gottesmoment, ein Kairos in meinem Kronos. Ja, ich mag umkehren zu Gott, wie Johannes der Täufer predigte und vertraue auf den neuen Himmel und die neue Erde, wie es der 2 Petrusbrief verheisst. Welch eine Zeit, welch ein Kairos heute. Daran erinnert mich dieses Jahr der Advent ganz besonders.