Menschsein fordert uns heute ganzheitlich heraus. Soziologen betrachten postmodernes Glaubensleben als eine Pilgerschaft und manche Theologen sprechen von Patchworkreligiosität. Der heutige Mensch muss sich seinen Glauben vermehrt selber basteln. Viele Christen leben ihre Sehnsucht nach Spiritualität nicht mehr ortsgebunden in Pfarreien, sondern unterwegs und zu speziellen Zeiten. Die Gottesbeziehung muss stets neu gefunden werden. Manche führt die Suche ins Kloster, einmal oder wiederholt.
Einer Festung gleich liegt das Kapuzinerkloster von Rapperswil oben am Zürichsee. Auf drei Seiten werden die Mauern von der Uferpromenade und Wasser abgegrenzt. Im Rücken liegt der Lindenhügel mit dem Schloss. Vorne, an der Seeseite, bei der Schanz wurden früher die zürcherischen Kriegsschiffe abgewehrt, ja im See versenkt.
Kloster und nicht Landstrasse
Auch heute noch schaudert es manchem Gast, der eine Woche im Kloster mitleben will, in der von engen Mauern umgebenen Strasse vor der dunklen Front des Klosterzuganges mit dem halbnackten Gekreuzigten auf verwitterter Stadtmauer. «Warum kann man sich nur hierher verirren?», geht manchem Ankömmling durch den Kopf. Es scheint dies eher ein Schauplatz für den Film «Der Name der Rose», denn für spirituelle Höhenerfahrungen, Rückzug und heilsamer Klosteraufenthalt zu sein. Schon mancher Gast hat bei der Ankunft in der Rosenstadt Rapperswil vor dem Kloster an Umkehr gedacht.
Dabei hat ein solches Trotzkloster auch einiges auszuhalten. Manchmal peitschen die Wogen und Gewitter vom See her gegen die Fassaden. Durch die Fenster sieht man nichts vom See, nur ein Sturzbach Wasser. Regelmässig müssen die Fassade neu gestrichen und die Fensterläden behandelt werden. Doch, wer es bis in dieses Trotzkloster geschafft hat, muss die Wogen der Natur wie auch jene des Lebens und der Arbeit vorübergehend weniger fürchten. Einfach und lebensdienlich lässt sich hier eine Woche oder länger bleiben; sofern man den Eingang gefunden und gewagt hat.
«Warum kann man sich nur hierher verirren?»
Am Zahn der Zeit
Letzten Sommer vermeldete Swiss Tourismus, dass vor allem jüngere Menschen gerne ins Kloster gehen. Es sei dies ein gesamtschweizerischer Ferientrend. Selbst SRF 3 liess sich von Swiss Tourismus inspirieren und schickte eine versierte Journalistin, die sonst auf internationale Geschichten spezialisiert ist, ins Kloster der Rosenstadt am Zürichsee.
Die Medien sind interessiert an jungen Gästen und an den Geschichten, die sich dahinter verbergen. Doch viele der Zurückgezogenen winken ab. Sie sind für eine Woche oder mehr den Wellen des Lebens entflohen, suchen nun in der Ruhe zu sich selber und manchmal nach dem DU, dass auch Gott genannt wird. Vor allem aber einmal einen klaren Kopf in einem überhitzten Leben. Dazu braucht es Ruhe und keine Aufmerksamkeit der medialen Öffentlichkeit. Viele Gäste lassen Handy und Computer bewusst zu Hause und das klösterliche Fernsehzimmer wartet vergebens auf Gäste zum Mitleben. Diese pendeln lieber zwischen Natur, Gemeinschaft und Meditation hin und her.
Viele lassen Handy und Computer bewusst zu Hause.
Gemeinschaft kennt Strukturen
«In den Ferien kann ich machen, was ich will. Da schreibt mir kein Chef vor, was ich zu tun habe», hört man gerne am Stammtisch. Wieso zieht man sich in ein Kloster mit fixer und eingeforderter Tagesstruktur – wer diese nicht hält, muss gehen – zurück? Früher wurden Gäste freundlich und bestimmt darauf hingewiesen, dass es Ferien im Kloster nicht gäbe, nur Mitleben. Heute ist man diesbezüglich verstummt – Swiss Tourismus und Journalisten propagieren Klosterferien und auch für Statistiken gilt diese Bezeichnung.
«Eure Strukturen tun mir gut und helfen mir», lassen viele Gäste verlauten, vor allem diejenigen, die regelmässig wiederkommen – interner Fachbegriff ist Wiederholungstäter, aber mit einem Lächeln auf den Stockzähnen gesagt. Auch helfen gesunde Gemeinschaftsstrukturen ungesunde Lebensstrukturen zu durchbrechen. Schon biologisch ist der Menschen beispielsweise nicht geschaffen, jeden Tag zu einer anderen Zeit aufzustehen und abends zu unterschiedlichen Zeiten ins Bett zu gehen.
Vom durchkreuzten Alltag ist schon gar nicht zu sprechen. Viele sind froh, wenn sie zumindest ein strukturgebendes Element des Klosters in ihren Alltag zu Hause einbauen können. Gute Strukturen helfen zu entlasten, zu entstressen und herunterzufahren. Und viele Religionen kennen ja auch einen freien Tag in der Woche als sozusagen Gott gegebene Lebensstruktur – viele träumen davon, wenige leben sie.
Gute Strukturen helfen zu entlasten, zu entstressen und herunterzufahren.
Keine Kuschelgemeinschaft
«Ich staune, dass diese so unterschiedlichen Kapuzinerbrüder und Menzingerschwestern zusammenleben können», ist eine Beobachtung, die des Öfteren von Gästen zum Mitleben formuliert wird. Nein, keine harmonische Gemeinschaft bevölkert das Trotzklösterli auf dem Kapuzinerzipfel in Rapperswil. Da gibt es nicht nur Geschwister mit sehr unterschiedlichen Begabungen, sondern auch mit kantigen Charakteren und unterschiedlichen Lebenseinstellungen. Samthandschuhe gehören nicht zur erdigen Kapuzinerspiritualität.
Trotzdem lebt das Kloster am Zürichsee von vielen menschlichen Beziehungen. Der Wegzug von Geschwistern oder auch deren Versterben hat Auswirkungen. Viele Gäste zum Mitleben kommen auch wegen den Menschen, die die dunkeln Mauern beleben und auf die man sich zu verlassen hofft. Arbeitsstellen und Partnerschaften ändern ja stetig in der Welt – im Kloster erhofft man sich eine Kontrastgesellschaft.
Arbeitsstellen und Partnerschaften ändern ja stetig in der Welt – im Kloster erhofft man sich eine Kontrastgesellschaft.
Ringen mit Sprache
Das Gebetsleben ist in Bewegung. Stets neu muss um die Beziehung zu Gott und einer Sprache mit und zu Gott gesucht werden. Da gibt es kein Rasten, höchstens auch immer wieder gute Impulse aus vergangen Zeiten, Wegstrecken, die Menschen mit Gott versucht haben. Schön ist es dabei immer wieder neu kritische und engagierte Weggefährten und Glaubensschwestern zu haben. Das macht Mut ein Pilger Gottes zu bleiben.
Adrian Müller, ite 2015/3
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