Sulamith Ehrensperger, 3sat.de
Als Klostervorsteher gibt Adrian Müller dem Kapuzinerkloster Rapperswil gegen Aussen ein Gesicht. Sein Herz gehört diesem Ort direkt am Zürichsee. In den Tiefen des Sees hat der Kapuziner sein persönliches religiöses Symbol gefunden: einen Pfluganker, den er beim Schnorcheln vor dem Kloster aus dem Wasser gezogen hat.
Geheimnisvoll steht der von der Zeit gezeichnete Anker auf Bruder Adrians Schreibtisch. Vermutlich hat ihn ein Schiff bei einem Sturm verloren. „Ich wünschte mir schon lange zuvor einen Anker, weil mich maritime Zeichen faszinierten“, erinnert sich Bruder Adrian.
Vor sechs Jahren machte er sich für eine Reportage auf zum Schnorcheln. Für einen Artikel auf der Webseite des Klosters wollte er wissen, wie der Zürichsee unterhalb seiner schillernden Oberfläche aussieht. 70 Meter von den Klostermauern entfernt entdeckte er den Pfluganker: „Seither begleitet er mich und symbolisiert für mich das Verankert sein in Gott“.
Ein Leben lang auf Wanderschaft
Als Kapuziner ist Adrian Müller seit insgesamt zwölf Jahren im Kloster Rapperswil verankert. Das ist ungewöhnlich, denn Kapuzinerbrüder sind in ihrem Leben auf Wanderschaft – wie einst Franziskus von Assisi. „,Es gibt kein Haus, indem ich so lange zu Hause war, wie hier im Kloster Rapperswil“, erzählt der Klostervorsteher, “auch während meiner Kindheit in Basel und Bern sind wir oft umgezogen“.
Dass er bei den Kapuzinern landen würde, hatte er nicht geplant. In seiner Jugend wurde er katholisch erzogen. Mit 15 Jahren begann Adrian Müller sich mit der Frage nach dem Sinn des Lebens zu beschäftigen. „Ich hörte einen Philosophen, der sagte, dass das soziale Zusammenleben, das wir zu leben versuchen, in den Klöstern schon längst gelebt würde“.
Einmal im Jahr das Konto auf Null setzen
Nachdem Bruder Adrian über 20 verschiedene Klostergemeinschaften kennenlernte, entschied er sich vor 24 Jahren für ein Noviziat bei den Kapuzinern. „Früher arbeitete ich als Sachbearbeiter bei der Post mit Geld, doch wollte ich einem Orden angehören, der keinen Besitz hat.“
Die Brüder des Klosters Rapperswil setzen ihre Konten einmal im Jahr auf Null, sie spenden und haben auch sonst keinen Besitz. Prägend für die Kapuziner ist Franz von Assisi, der bewusst ein armes Leben gewählt hatte. Jeder Bruder erhält ein Zimmer, indem gerade einmal ein Bett und ein Tisch Platz haben. Taschengeld für ihren Alltag beziehen sie bei Bruder Adrian, der als „Guardian“ für diese Aufgabe verantwortlich ist.
Früher Sumpfgebiet, heute Traumlage
Das Kapuzinerkloster liegt seit 1602 am Fusse des Schlosshügels am Rande der Stadt Rapperswil. Diese Lage ausserhalb der Stadtmauern ist typisch für viele Kapuzinerklöster. Sie wurden meist am Rande von Besiedlungen gebaut. Darin widerspiegelt sich die Haltung der Kapuziner: die Nähe zu den Menschen, zugleich auch eine Distanz zum öffentlichen Leben.
Noch vor 400 Jahren wünschten sich die damaligen Kapuziner den Klosterbau auf der anderen Seite der Stadt. „Doch die Stadt wehrte sich gegen den geplanten Ort, weil die reformierten Bauern sonst am katholischen Kloster vorbei zum Markt mussten. Weil schon damals Geschäft vor Spiritualität ging, entschied die Stadt zugunsten des Marktes. Das Kloster wurde am See gebaut.“ Damals noch Sumpfgebiet, waren die Brüder Sturm, Wetter, Mücken und Krankheiten ausgesetzt.
„Parallelen zur Meditation“
Die direkte Lage am See ist heute eine Luxussituation. „Zurecht werden wir um diesen traumhaften Ort beneidet“, sagt Bruder Adrian und blickt durchs Bürofenster auf den in der Morgensonne schimmernden See. Er erinnert ihn an seinen Onkel, der auf Meeresschiffen um die Welt kam.
Auch Bruder Adrian packte damals die Sehnsucht nach der grossen weiten Welt. „Heute bedeutet mir hier am See zu wohnen, auch Weite und Freiheit. Ich sehe sogar Parallelen zwischen See und Meditation. Beim Meditieren suchen wir auch eine Weite, bevor wir in uns zurückkehren“.
„Wellnesskloster“ direkt am See
Wohl kein anderes Kloster hat seine Türen derart weit geöffnet. Bruder Adrian verleiht der Kirche eine reformfreudige Stimme. Die Aufgaben des Klosters hätten sich geändert, meint er: „Durch die Seelsorge sind wir herausgefordert, mit der Zeit zu gehen“. Die neun Kapuzinerbrüder und zwei Menzingerschwestern nehmen pro Jahr rund 200 Gäste auf.
Ihre Gäste sind Männer und Frauen, die sich in ihrem Leben beruflich oder familiär neu orientieren möchten. Sie nehmen am täglichen Leben der Kapuziner teil, an den Gebeten, Gottesdiensten und Mahlzeiten. Die meisten Gäste kommen für kurze Zeit, rund 15 Prozent sind aus dem Ausland. Viele kehren als „Stammgäste“ immer wieder ins Kloster am See zurück. Auch immer mehr junge Menschen machen „Klosterferien“. „Wir sind eben ein Wellnesskloster mit der wohl schönsten Badi direkt am See“, meint Bruder Adrian mit einem Lachen, „die Gäste kommen her, um ihre Batterien aufzuladen – auch mit Spiritualität“.
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