Taktwechsel

«ProMusikante – die etwas andere Musikschule für Erwachsene», lese ich auf der Homepage. Da fühle ich mich als Nachbar und Kapuziner sehr angesprochen. Nicht primär Leistung und Perfektion steht im Zentrum, sondern die Freude am gemeinsamen Musizieren und Tun. Auch sind nicht begabte und verheissungsvolle Jungtalente am Anfang ihrer Karriere gesucht, sondern ältere Menschen – 50plus steht im Untertitel – die positiv ausgedrückt auf ein schönes und erfülltes Leben zurückschauen können.

Auch Franz von Assisi und seine Geschwister – Orientierungspunkte für die Kapuziner – wollten einen Taktwechsel. In der Welt des 13. Jahrhunderts, da viele oben hinauswollten und sich deshalb «Maiores» (frei übersetzt Mehrbessere) nannten, wollten die Brüder und Schwestern «Minores», bei den Aussätzigen und bei den Menschen am Rande der damaligen Gesellschaft sein. Darum ist die offizielle Ordensbezeichnung «Ordo Fratrum Minorum Capuccinorum», dh. Orden der minderen Brüder Kapuziner.

Studiert man die lange Ordensgeschichte der Kapuziner seit 1530 – also in der Reformationszeit als innerkatholische Erneuerung entstanden – so waren die Brüder oft in der Pflege engagiert. Viele Kapuzinerheilige sind Pförtner oder Bettelbrüder gewesen. Nahe bei den Menschen und auch bei den Bedürftigen ihrer Zeit. Volksnah lebten sie und nicht in den Machtzentren der Welt oder der Kirche. Und immer wieder gab es Taktwechsel. Neue Bedürfnisse ergaben stets wieder neue und andere Aufgabenfelder.

Für die Schweizer Brüder war es vor gut hundert Jahren die Aufgabe der Schule, die einen grossen Taktwechsel bewirkte. In den ärmeren katholischen Landgebieten gab es viele Kinder und wenig Bildung. Für die Kantone Appenzell und Nidwalden führten die braunen Brüder die Gymnasien. Während der Woche unterrichteten sie und am Wochenende predigten sie in den umliegenden Pfarreien. Dieser Taktwechsel machte die Kapuziner bei den Bauernjungen attraktiv. Einer bekam den Hof und die anderen wurden Knechte oder gingen zu den Brüdern studieren. Und als dann die Schweizer Kapuziner in Tansania, Indonesien, Madagaskar usw. Missionen übernahmen, da gab es kein Halten mehr. Wer Abenteurer werden wollte, fand die Herausforderung bei den braunen Brüdern.

Die Gymnasien sind heute den Kantonen abgegeben und die Missionen lebendige und selbständige Ordensgebiete. Angesagt waren und sind Taktwechsel. Seit bald dreissig Jahren hat nun das Kapuzinerkloster Rapperswil den Auftrag Gäste aufzunehmen und neue Gebetsformen zu entwickeln. Viele Gebetsformen sind verändert oder neu entstanden. Da gilt es heute vor allem zu wahren, was dabei schon an Gutem entstanden ist. Bei den Gästen zum Mitleben gab und gibt es stets wieder Veränderungen. Doch ging und geht es dabei häufig um Taktwechsel.

Junge Erwachsene kommen um innezuhalten und sich Gedanken zu Beruf und Liebe zu machen. Im mittleren Erwachsenenalter geht es vielleicht eher um die Frage nach einem erfüllenden Beruf und wie weiter mit der Familie. Die 50plus kommen häufig zum einmal runterzufahren und sich wieder einmal zu überlegen, was das Leben so wirklich soll. Wäre da ein freiwilliger Taktwechsel angesagt? Und immer mehr 60plus, bei denen die Pensionierung ansteht oder vielleicht gerade geschehen ist – oft kein freiwilliger Taktwechsel! – kommen und versuchen zu erspüren, wie nun die neue Lebenssituation positiv und lebensbejahend angegangen werden kann.

Was macht einen Taktwechsel aus? Da gibt es gewiss unterschiedliche gute Ratschläge. Und ich denke, dass der Taktwechsel in der Musik dazu ein gutes Bild abgibt. Während eines Musik-Stückes muss ein Taktwechsel geplant sein, wenn er in der Gruppe gelingen soll. Da kann nicht jeder den Takt wechseln, wann es ihm gerade passt. Das funktioniert nicht mal an der Fasnacht bei einer Guggen. Diese haben ja stets einen gut sichtbaren Dirigenten. Normalerweise hat es dazwischen ein kleines Absetzen und dann neu beginnen. Das macht einen Taktwechsel einfacher und so auch rhythmischer.

Der neue Takt baut meistens irgendwie auf dem vorherigen auf, will dem Stück jedoch eine neue Note, eine neue Farbe geben – und wenn ich an die Zeitschrift vom Haus der Musik und proMusicante denke, dann geht es um einen Wohlklang. Für die Brüder und Schwestern wurde in den letzten Jahren wichtig, dass der Taktwechsel für die Gäste heilsam sein soll. Sie sollen mit neuem Mut und Motivation ins Leben gehen.

Ich denke, dass das Haus der Musik, proMusicante wie auch das Kloster Rapperswil heute Orte des Taktwechsels sind. Menschen kommen aus einer getakteten Welt, spüren neuen Takten nach und erleben dessen Wirkung auf sich. Und es ist für die Musizierenden wie auch die Mitlebenden zu hoffen, dass sie nun fröhlich und mutig neue und lebendige Takte ins Leben mitbringen. Und wenn ich mir die Musizierenden vergegenwärtige, welche da ein und ausgehen, dann kommen sie mir beim Herauskommen erleichterter und fröhlicher vor. Da scheint ein Taktwechsel stattgefunden zu haben. Schön. Danke. Liebe Nachbarn. Pace e bene
Br. Adrian

 

Artikel für die Zeitschrift „wohlklang“ von proMusicante…die etwas andere Musikschule für Erwachsene

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