Predigt vom 8. Mai zu Offb- 7,9.14b-17 und Joh 10,27-30
Liebe Mitfeiernde am Tisch des Wortes Gottes
Ich kann mich noch gut an die 80iger Jahre erinnern. Da war meine Angst vor einem Atomkrieg auch schon präsent. Filme handelten vom Tag danach und Menschen gingen auf die Strasse. Relativ lange waren diese Atombomben in den letzten Jahren fast vergessen, zumindest nicht mehr bedrohlich. Nun ist die Angst wieder zurück. Ein nukleares Kriegs-Szenario weckt in mir Aggressionen und es entstehen innerlich Gottesbilder von einem Gott, der Ordnung schafft und eingreift. Da kann Gott doch nicht nur zusehen; ER, der Allmächtige, der Schöpfer von Himmel und Erde; ER, der Schöpfer von Menschen.
Vor einigen Tagen hat mich bei meiner morgendlichen Meditation folgender Text von Andreas Knapp (in: Tiefer als das Meer, Gedichte zum Glauben, Regensburg, Echter 2018) sehr angesprochen und zum Nachdenken angeregt:
der Herr
wer den Thron deines Herzens besetzt
zu dem du aufschaust
den du anhimmelst
der dich beherrschen darf
den machst du zu deinem HerrnER steigt vom Thron des Himmels herab
begegnet dir auf Augenhöhe
kniet sich nieder auf die Erde
und wäscht dir die Füsse
so herrlich will die Liebe sein
Stimmt. Wen mache ich heute zu meinem Herrn? Die Angst vor einem Atomkrieg, einem Weltkrieg. Mächtige Menschen, die über Armeen und Waffen verfügen, Geld und Einfluss haben. Nein. Solche Menschen sollen und dürfen nicht meine selbstgemachten Herren sein. Darauf kann ich verzichten und von ihnen will ich mich nicht provozieren und bestimmen lassen. Sie haben kein Recht auf meine Angst oder sogar meine Ehrfurcht. Weg damit! Diese Herren sollen nicht mein Herz besetzen. Zu solchen Mächtigen will ich nicht aufschauen oder sie sogar anbeten. Waffen, Atombomben dürfen meine Vorstellungskraft nicht beherrschen mich innerlich aggressiv werden lassen; und ihre Besitzer sind nicht meine Herrn.
Und wie ist nun unser Vater im Himmel wirklich, ER, der uns alle zu Geschwistern macht? In der Lesung und im Tagesevangelium finden sich wunderbare Motive, Themen und Bilder für einen liebenden, aufmerksamen und barmherzigen, mütterlichen Gott. Diese biblischen Bilder zeugen vom Vertrauen auf eine Gottes-Beziehung, die alles und alle Zeiten überdauert.
Das heutige
Tages-Evangelium versichert mir, dass Gott mich kennt und ich von ihm ewiges
Leben erhalten habe. Ich werde niemals zugrunde gehen und niemand kann mich
Gottes Hand entreissen. Auch keine Atom-Bomben. Welch eine Verheissung in die
heutige Kriegs-Angst-Situation hinein. Und weil ich Trost wirklich nötig habe, wiederholt
und betont das Johannes-Evangelium drei Mal: niemals, niemand, niemand.
Sie werden niemals zugrunde gehen
niemand wird sie meiner Hand entreissen
niemand kann sie der Hand meines Vaters entreissen.
Welch eine Botschaft an uns! Das ist ihnen, mir, uns allen zugesagt. Können wir diese Worte annehmen und glauben? Das stete Wiederholen und Betonen in diesem kurzen Text zeigt, dass Menschen immer wieder neu auf diese Verheissung hingewiesen werden müssen. Wir sind von Jesu Hand und von des Vaters Hand gehalten und niemals wird das anders sein. Gegeben ist uns ewiges Leben, sagt das heutige Tages-Evangelium kurz und klar.
Mag sein, dass die Lebens-Vision im heutigen Tages-Evangelium in glücklichen Tagen reicht. Doch in Tagen der Krise, des Leidens, des Krieges braucht es vielleicht mehr. Davon zeugt die Lesung aus der Offenbarung des Johannes, welche für schwierige Zeiten geschrieben ist. «Sie werden keinen Hunger und keinen Durst mehr leiden und weder Sonnenglut noch irgendeine sengende Hitze wird auf ihnen lasten», ist da zu lesen. Die Offenbarung macht klar, dass es eine schwierige Gegenwart gibt, geben kann. Doch sind Hunger und Durst, Leiden und Ängste keine Zustände für die Ewigkeit. Sie werden von Gott überwunden. Aber nicht von einem gewalttätigen Herrn, nicht von einem selbstgemachten Gottesbild.
Johannes sieht eine grosse Schar aus allen Nationen und Stämmen, Völkern und Sprachen zusammenkommen; niemand kann sie zählen (also auch UkraninerInnen, Russen/Russinnen, SchweizerInnen, AmerikanerInnen, Chinesen/Chinesinnen etc.). Und dann sein grossartiges, feines und friedliches Schluss-Bild:
«Denn das Lamm in der Mitte vor dem Thron wird sie weiden und zu den Quellen führen, aus denen das Wasser des Lebens strömt, und Gott wird alle Tränen von ihren Augen abwischen.» So schön. Gott wird alle Tränen von unseren Augen abwischen.
Jesus als das Lamm, welch ein Kontrast zu den kriegerischen Bildern und Texten von heute. Und dieses Lamm weidet und tränkt uns Menschen. Geschenkt wird uns das Leben und nicht der Tod. Gott macht mir Mut und wischt meine Tränen, meine Angst ab. Einen solchen Glauben, ein solches Vertrauen, inneres Wissen, wünsche ich Ihnen, mir, in diesen mühsamen und schwierigen Tagen ganz speziell.
Liebe Mitfeiernde am Tisch des Wortes Gottes
Zum Glück muss ich nicht selbstgebastelten Gottesbilder vertrauen, die aus meiner Angst und Aggression geboren sind. Zum Glück zeigen mir die Bibel, die heutigen Sonntagstexte, einen tröstenden und lebensspendenden Gott, der mich auch schwierige Zeiten in Vertrauen leben lässt. Amen.