Predigt zu Maria Himmelfahrt, Lk 1,19-56
Liebe Gottes-Jublerinnen, -Jubler
Vor dreissig Jahren, am 8. September 1992, legte ich mit fünf weiteren Novizen im Kapuzinerkloster Solothurn meine einfache Profess ab. Damals wünschten wir Novizen vom Prediger eine Auslegung zum Magnifikat – wie wir es heute im Tages-Evangelium gehört haben. Doch höre, lese und verstehe ich diesen marianischen Lobgesang heute anders als bei meinem Ordenseintritt.
Vor dreissig Jahren war ich voll Tatendrang und wollte die Welt verändern und verbessern. Im Kopf sprudelten die Welt-Veränderer-Predigten und -Taten nur so dahin. Die Kapuziner waren die Gemeinschaft, mit der ich diesen Umsturz tun wollte, und mit den Brüdern am Reich Gottes mitarbeiten konnte. Ich suchte eine Gemeinschaft, die gegen die Ungerechtigkeiten der Welt aufsteht, den Bösen den Garaus macht und die Unterdrückten befreit. Das Magnifikat war für mich ein Befreiungsgesang der Kleinen, die sich gegen die Grossen stark machen. Da wird umgeschichtet, neu verteilt. Die Mächtigen neu unten und die Unterdrückten neu oben. Die Welt wird auf den Kopf gestellt.
Doch steht das wirklich im Magnifikat?
Auch wollten wir Novizen damals, dass Gemeinschaft im Gottesdienst ernstgenommen wird. Wir brachten dies damals ins Hauskapitel und kamen durch. Die Priester forderten in den folgenden Gottesdiensten die Besucher und Besucherinnen dazu auf, während dem Gottesdienst in die vorderen Reihen zu kommen und nicht hinten in der Kirche sitzen zu bleiben. Ob die Menschen daran Freude hatten oder sich eher vergewaltigt vorkamen?
Das war vor dreissig Jahren. Und heute? Vieles anders!
Ehrlicherweise schäme ich mich heute selber etwas, während dem Gottesdienst vorne in der Kirche zu sitzen. Mein Platz ist gefühlsmässig im hinteren Drittel dieser Kirche. Und das nicht, weil Jesus in einem Gleichnis das hinten sitzen gelobt hat und das vorne Sitzen in den Zusammenhang von Selbstgerechtigkeit gestellt hat. Nein, es ist die gesunde Scham, die mir sagt, da hinten ist ein guter Platz und da bist du zu Hause; da fühle ich mich wohl.
Bin ich damit auf dem Holzweg? Nein, damit bin ich ein Mensch unserer Zeit. Der Theologe Kristian Fechtner verbindet für heutige Christen und Christinnen Scham und Religion. Er spricht von einem diskreten Christentum. Und das zeigt sich konkret auch darin, dass viele Menschen lieber hinten in der Kirche sitzen und so etwas Distanz zum Altar haben. Das diskrete Christentum zeigt sich aber auch im Alltag; und es ist immer mehr meine Art von Glauben geworden.
Von Maria lesen wir in Lukas 2,19: «Maria aber bewahrte alle diese Worte und erwog sie in ihrem Herzen». Ja, eine solche Herzens-Religion ist mir in den vergangenen Jahren aufgegangen, wichtig und vertraut geworden. Auf eine laute oder sogar brutale Umsturz-Religion baue ich heute nicht mehr. Im Gegenteil. Sie macht mir Angst. Ihr fehlt es an Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Liebe und Tiefe.
Und wenn ich heute immer noch oft und gerne das Magnifikat bete, dann höre und verstehe ich diesen Lobgesang Mariens nicht mehr umstürzlerisch, sondern vertrauend und prophetisch. Was steht nun in diesem wunderbaren Gebet und was habe ich früher vielleicht hineingelesen?
- Denn der Mächtige hat Grosses getan – nicht ich, Adrian, und nicht ein anderer Mensch hat hier grossartig gehandelt. Gott selbst wirkt und verändert Menschen und Lebens-Situationen! Und zwar:
- Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind – ebenso junge Kapuziner, die die Welt auf den Kopf stellen möchten. Die die Bösen vielleicht sogar leiden sehen möchten. Doch, Gott wirkt anders, diskreter, schöpferischer, lebensbejahender.
- Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Früher dachte ich jeweils, dass anschliessend die Mächtigen unten sind und die Niedrigen oben. Doch steht das nirgends. Heute stelle ich mir vor, dass es da nicht um Bestrafung geht, sondern alle werde als Kinder Gottes auf dieselbe Stufe gestellt. Als Geschwister loben wir gemeinsam Gott und seine Schöpfung. Dafür müssen die einen heruntersteigen und die anderen hinaufsteigen. Dann stehen wir auf derselben Stufe.
- Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen. Auch hier stelle ich mir heute nicht mehr eine Umkehrung der Verhältnisse vor, sondern einen Ausgleich. Hungernde und Reiche sollen Nahrung haben und leben können. Dazu brauchen die Hungernden Gaben, die Reichen haben diese ja schon. Das Getreide ist für alle da. Alle dürfen satt werden. Fair verteilt. Dann gibt es keine Hungernden mehr. Ein friedlicher und fairer Ausgleich der Güter also.
Und genau solche Bewegungen feiern wir an Mariä Himmelfahrt. Hier handelt Gott und wir gedenken, wie Gott Maria bei sich aufgenommen hat. Wir werden eines Tages die nächsten sein, die von Gott aufgenommen werden. Im Moment heisst das Taten der Gerechtigkeit tun. Das Leben allen Menschen, der ganzen Schöpfung fair ermöglichen. So kann ich mich eines Tages ihrer, wie auch meiner eigenen Himmelfahrt freuen. Denn der Mächtige hat Grosses an mir getan und sein Name ist heilig. Das werden wir eines Tages gemeinsam mit Maria und Jesus von Nazareth singen. Denn der Mächtige hat Grosses an uns getan und sein Name ist heilig. Amen.