Sonntag der Barmherzigkeit; 1. Petrus 1,3-9; Joh 20,19-31
«Selig sind, die nicht sehen und doch glauben» sagt Jesus im Johannes-Evangelium. Gehören Sie, liebe Menschen, zu den Seligen oder zu den ungläubigen Thomassen? Nun, bei mir hat es sich wohl etwas verändert. Mit dem Alter bin ich ruhiger und vorsichtiger geworden. Ich erinnere mich, als ich als junger Mann mit einer Psychologin telefonierte. Sie fragte mich plötzlich: «Sind Sie Theologe?». Etwas verdattert antwortete ich «Ja». Und fragte, wieso sie auf diese Frage komme. Sie meinte, dass Theologen stets nach dem «Warum?» fragen. Sie versuchen den Glauben zu verstehen. Ertappt also.
Als Theologe habe ich Vieles an Glaubens-Wissen gelernt, doch auch gemerkt, dass Glauben und Glaubenswissen nicht dasselbe ist. Glaubens-Wissen ist rational und nüchtern. Der schwärmerische Glauben war und ist nicht meine Sache. Ja, allzu kurze und bestimmte Glaubens-Bekenntnisse stossen mich ab. Die Andersartigkeit Gottes und Sein Geheimnis müssen für mich gewahrt bleiben. Gott ist kein Gegenstand, den man besitzen und wissen kann!
Der Apostel Thomas ist kritisch, aber er verweigert sich dem Glauben nicht. Er sagt nicht vorschnell, «Gott gibt es gar nicht» oder einfach «Jesus ist nicht auferstanden». Aus einer Nicht-Erfahrung kann und will er kein Nicht-Möglich machen. Er überlegt und formuliert, was er bräuchte, damit er Jesu Auferstehung glauben könnte. Interessanterweise will er keinen Heiligenschein, kein Wunder sehen, sondern die Wunden des Gekreuzigten. Nicht etwas Jenseitiges, himmlisches, sondern etwas ganz Irdisches, echt menschliches: «Wenn ich nicht das Mal der Nägel und meine Hand nicht in seine Hände lege, glaube ich nicht», sagt er.
Nicht irgendetwas fantastisches, schwärmerisches, weltfremdes, billiges wird Theologen, Realisten und nüchternen Menschen angeboten. Im Gegenteil, der Blick auf Leid, auf Ungerechtigkeit lässt den Glauben wachsen. Mit dem Blick auf Wunden, Schmerz wird das Leben echt und tiefgründend. Da muss nichts beschönigt werden. Jesus von Nazareth hatte schon in seinem Wirken diesen speziellen Blick. Darum konnte er in seinem Leben Wunden heilen und Schuld vergeben, versöhnen. Es stimmt, Jesu erstes Wunder war das Wandeln von Wasser in Wein. Feiern und glücklich sein konnte Jesus auch. Trotzdem, die Evangelien erzählen nicht primär vom Feiern, sondern von Jesu Blick für das Verwundete, Verletzte, Gestörte, sowie von seinem heilvollem Handeln und Wirken in seiner Umgebung.
Für viele Menschen ist der Glaube vermutlich eine innere Gewissheit, die langsam wächst. Ich erinnere mich an einen Buchtitel, der hiess: Glaube ist eine Pflanze, die wächst. Und dieses Glaubens-Wachsen begleitet mich seit meiner Jugend. Und es gibt Momente, wo ich richtig glücklich bin, festzustellen, dass auch mein Glaube in all den Jahren gewachsen und gediehen ist. Alles Gnade!
Diese Sichtweise lernte ich bei Franz von Assisi. Sein stetes Gehen zu den Aussätzigen vor der Stadt, liess ihn zum Glauben, zum inneren Wandel seines Herzens finden.
Franziskus schreibt in seinem geistlichen Testament:
So hat der Herr mir, dem Bruder Franziskus, gegeben, das Leben der Buße zu beginnen: denn als ich in Sünden war, kam es mir sehr bitter vor, Aussätzige zu sehen. 2Und der Herr selbst hat mich unter sie geführt, und ich habe ihnen Barmherzigkeit erwiesen. 3Und da ich fortging von ihnen, wurde mir das, was mir bitter vorkam, in Süßigkeit der Seele und des Leibes verwandelt. Und danach hielt ich eine Weile inne und verließ die Welt.
Franz von Assisi, Testament
Die Umkehr «in Süßigkeit der Seele und des Leibes» gelingt dem Heiligen durch seine Begegnungen mit den Aussätzigen seiner Zeit. «Barmherzigkeit erweisen» nennt er seine Art des Heilens und Vergebens. Durch sein Tun und Leben wird Franziskus fähig eine begrenzte Weltsicht zu verlassen und gewandelt. Auch uns wünsche ich in dieser Osterzeit diese stete Wandlung in Gott hinein. Dies mit offenen Sinnen für die Not unserer Mitmenschen, unserer Mitwelt, mit tätigen Händen und liebendem Geist für alle Not um uns herum, damit wir die Enge unserer kleinen, begrenzten und ängstlichen Welt verlassen und uns öffnen für das österliche Heil und Leben, für die «Süßigkeit der Seele und des Leibes». Amen.