Predigt vom 20. August 2023, Röm 11,13-15.29-32, Mt 15,21-26
«Frau … Was du willst, soll geschehen.» (Mt 15,28) haben wir im Sonntags-Evangelium gehört. Normalerweise beten wir im Vaterunser «Dein Wille geschehe». Jesu Aussage scheint mir direkt etwas verkehrte Welt zu sein. «Frau … Was du willst, soll geschehen.» Und gleichzeitig erinnere ich mich an jüdische Freunde, die während meinem Theologie-Studium ihren Glauben und vor allem ihre Gebete mit mir geteilt haben. Da begegnete ich einer Sprache, die mit Gott ringt. Nicht christlich fromm, brav und zahm. Und in den Psalmen begegne ich im Tagzeitengebet mit den Brüdern immer wieder solchem Ringen mit Gott. Die Psalmisten kennen keine Sprache einer christlich, kindlichen, gottergebenen Frömmigkeit.
Vielleicht will Gott, dass wir über unseren Schatten springen und mit ihm ringen, unsere Anliegen zur Sprache bringen. Ich denke an Jakob am Jabbok im Buch Genesis (32,25): «Als er allein zurückgeblieben war, rang mit ihm ein Mann, bis die Morgenröte aufstieg.» Oder auch an die Offenbarung des Johannes (3,16): «Daher, weil du lau bist, weder heiss noch kalt, will ich dich aus meinem Mund ausspeien.» Es gab Zeiten, da war mir die Geschichte mit Jakobs Ringen am Jabbok sehr wichtig und hat meinen Glauben genährt. Doch heute bitte lieber ruhig und nicht so anspruchsvoll. Selbst das Kreuz, ein lebloses Symbol, holt mich nicht aus den Socken; vor allem wenn ich dahinter immer schon den Auferstandenen sehe. Oder all die verzückten Heiligen. Bin ich etwas lau und bequem geworden? Ein bedürftiges Kind?
Wenn ich das heutige Tages-Evangelium (Mt 15,21-28) nehme. Da fühle ich mich eher wie die Jünger. Es kommt eine fremde Frau und will was. «Ach mühsam. Gib doch Ruhe. Bitte.» stelle ich mir vor. Ein schreiender Mensch, der den Frieden stört – und Gott schweigt. «Jesus gibt ihr keine Antwort. Da traten die Jünger zu Jesus und baten: Befrei sie von ihrer Sorge, denn sie schreit hinter uns her.» (Mt 15,23) Das kommt mir bekannt vor. Wie oft erlebe ich Gott als schweigend und nicht handelnd. Menschen schreien. Not und elend gibt es auf der Welt. Und Gott schweigt. Lieber Gott, tu doch etwas. Dein Schweigen hilft den Leidenden nicht weiter. Und wir, deine Jünger und Jüngerinnen leben doch so schön, bequem und friedlich. Aber das Geschrei der Leidenden, der Fremden, der Unterdrückten nervt. Mach doch, lieber Gott, dass sie Ruhe geben. Lass uns gemütlich unsern Glauben leben!
Interessanterweise kommen die Jünger im Tages-Evangelium nach ihrer Ruhe-Intervention nicht mehr vor. Es geht in der Erzählung um den Konflikt zwischen der Frau und Jesus; in unserer Vorstellung auch zwischen einem Menschen und Gott. Die Frau ist hartnäckig und weiss, was sie will. Ihre Tochter soll geheilt werden und da lässt sie sich auch von Jesus nicht abwimmeln und zurückweisen. Sie insistiert und argumentiert. Lässt sich auf Jesus ein. Jesus versucht in zwei Anläufen den Forderungen der Frau auszuweichen.
«Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt.» (Mt 15,24) Und:
«Es ist nicht recht, das Brot den Kindern wegzunehmen und den Hunden vorzuwerfen.» (Mt 15,26)
Harte, unschöne Worte, finde ich. Jesus von Nazareth hat sich vermutlich zeitlebens nur zum Volk Israel gesandt gefühlt. Er hatte nicht alle Völker oder alle Menschen auf dem Bildschirm. Zuerst soll das Volk Israel bekehrt werden und erst nachfolgend kommt die Völkerwallfahrt nach Jerusalem. Paulus von Tarsus und spätere Generationen von Juden-Christen haben diesbezüglich eine andere Richtung eingeschlagen. Jahrzehnte nach dem Tod von Jesus lösten sich das Christentum aus dem Judentum und wurde eine eigene Welt-Religion. Aber eine, die auch für Heiden-Christen wie wir Platz hatte.
Für mich als Schweizer hat der historische Jesus eine echt harte Botschaft:
«Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt.» (Mt 15,24) Also nicht zu den Helvetiern. Und:
«Es ist nicht recht, das Brot den Kindern wegzunehmen und den Hunden vorzuwerfen.» (Mt 15,26) Ist ein Eidgenosse, eine Eidgenossin ein Hund? Nicht auch ein Geschöpf Gottes!
Da nehme ich mir die kanaanäische Frau gerne als Vorbild! Sie will nicht etwas für sich, sondern für ihre Tochter. Und Jesus könnte helfen. Das glaubt sie standhaft. Und da akzeptiert sie keine ethnischen Grenzen, auch kein Nein von Jesus himself. Gottes Heil ist für alle Menschen da fordert die fremde Frau.
«Doch die Frau kam, fiel vor ihm nieder und sagte: Herr, hilf mir!» (Mt 15,25)
«Da entgegnete sie: Ja, du hast recht, Herr! Aber selbst die Hunde bekommen von den Brotresten, die vom Tisch ihrer Herren fallen.» (Mt 15,27)
Liebe Christen und Christinnen, Schweizer und Schweizerinnen
Vier Dinge nehme ich mir aus dem heutigen Tages-Evangelium in meinen Alltag:
- Mit Gott kann man ringen und argumentieren. Dabei zeigt uns Jesus von Nazareth, dass auch er – wohl auch Gott – über seinen Schatten springen kann. Es scheint einiges gar nicht so klar zu sein und Geschichte meint auch Entwicklung. Ich kann und soll also aus meiner Komfort-Zone herauskommen und mich für meine Nächsten einsetzen. Dabei hoffe ich, dass Gott mir, uns beisteht.
- Jesus von Nazareth will nicht wie die Jünger einfach Ruhe und billigen Frieden. Er lässt sich herausfordern und stellt sich der Frau, dem Menschen, der sich ihm in den Weg stellt. Dabei kann er über seinen Schatten springen und seine Meinung ändern.
- Im Ringen mit Gott braucht es mehrere Anläufe und vor allem auch Köpfchen, Aufmerksamkeit und gute Argumente. Die Frau verlässt sich nicht auf Tränen oder Schreien, sondern auf den gesunden Menschenverstand, auf Wissen und Argumente. Nicht kindlich, aber erwachsen begegnet die Kanaanäerin Jesus, dem Israeliten.
- Glaube ist nicht diffus, sondern er hat Ziele, engagiert sich, fordert ein. Und da kann die Welt und der Himmel mit Gottes Hilfe auf den Kopf gestellt werden: «Frau, dein Glaube ist gross. Was du willst, soll geschehen. Und von dieser Stunde an war ihre Tochter geheilt.» (Mt 15,28) Amen.
Fürbitten
Gott, du hast der kananäischen Frau Mut und offene Augen gegeben. Im Gedenken an sie bitten wir dich:
- Gott, gib uns offene Augen wie der kananäischen Frau für unsere Nächsten.
- Gott, lass uns wie Jesus auf engagierte Menschen hören und dabei auch ab und zu über unsere Komfortzone herauskommen.
- Gott, lass uns Not wahrnehmen und zur Sprache bringen.
- Gott, gib uns offene Sinne auch für Menschen anderer Religionen.
In der kananäischen Frau ist deine Menschenfreundlichkeit herausgefordert worden. So lass uns durch ihr Beispiel mit dir die Welt gestalten.