Pfarreiforum 07/15, S. 12
Müde und mit grossem Druck im Bauch schleppt sich Jakob durch die Wüste. Er ist auf dem Weg zu seinem Bruder Esau und hat ein schlechtes Gewissen. Obwohl mit sich selber beschäftigt, kann er die Verantwortung für seine Frauen und Kinder sowie die Tiere nicht abgeben. Er ist und bleibt gefordert.
Die bevorstehende Begegnung mit seinem Bruder Esau löst bei Jakob keine Vorfreude, sondern vor allem ein schlechtes Gewissen aus. Hat er dem älteren Bruder doch durch Täuschung des eigenen Vaters das Erstgeburtsrecht sowie den Segen geklaut. Jakob musste nach dieser Tat fliehen und in der Fremde leben.
Rückzug und Hinsehen
Der Alltag ist manchmal brutal und verhindert in seiner Geschäftigkeit ein genaues Hinsehen auf seine eigene Lebenswirklichkeit. Äussere und vor allem innere Unordnung lösen Stress aus und verhindern Lösungen. Es ist einsichtig, Jakob kann seine Jugendsünde gegenüber seinem Vater wie auch dem Bruder nicht mehr rückgängig machen. Diesbezüglich ist die Vergangenheit grausam. Aus der eigenen Lebensgeschichte kann er nicht aussteigen.
Trotzdem gibt es eine Zukunft. Und diese fängt bei sich selber an. Eines Nachts zieht sich Jakob am Jabbok zurück und stellt sich seiner eigenen Geschichte und Angst. Es ist alles andere als ein romantisches Ausruhen unter funkelnden Sternen. Innere Stürme brausen, kommen hoch. Jakob bleibt nicht alleine: «Als nur noch er allein zurückgeblieben war, rang mit ihm ein Mann, bis die Morgenröte aufstieg» (Gen 32,25). Die Nacht, wenn Verpflichtungen wegfallen und die Sinne zur Ruhe kommen, ist ein guter Moment, um bei sich selber anzukommen und Gott ankommen zu lassen.
Aushalten und Beharren
Das Buch Genesis beschreibt einen langen nächtlichen Kampf von Jakob mit dem Mann. Es ist dies keine friedliche und gemütliche Begegnung. Jakobs Hüftgelenk ist am nächsten Morgen ausgerenkt. Das geistliche Leben zeigt häufig, dass die Beschäftigung mit eigenen dunklen Urgründen Willen, Kraft und vor allem viel Offenheit verlangt.
Der Mann, der mit Jakob streitet, gibt seine Identität nicht preis. Gott kann man nicht in den Griff bekommen, er ist und bleibt anders, ein Geheimnis. Jakob selber ist am folgenden Morgen ein veränderter Mensch. Der Mann gibt ihm einen neuen Namen «Gottesstreiter» (Israel) und segnet Jakob. Das geschehene Unrecht ist nicht getilgt, aber Jakob scheint mit seiner eigenen Geschichte und mit Gott versöhnt zu sein.
Das Risiko bleibt
Die Versöhnung mit sich selber und der Segen Gottes sind eine wichtige Voraussetzung für die Begegnung mit dem Anderen. Aber Vergebung kann man sich nicht selber geben. Jakob ordnet seine Frauen, Mägde und Kinder ängstlich. Dann stellt er sich vorne hin und wirft sich auf die Erde. Er ist der um Vergebung Bittende Für Jakob bleibt das Risiko. «Esau lief ihm entgegen, umarmte ihn und fiel ihm um den Hals; er küsste ihn und sie weinten» (Gen 33,4). Jakob hat Glück und trifft einen Bruder, der nicht nachträgt, selber genug zum Leben hat und eine gemeinsame Zukunft anbietet: «Brechen wir auf und ziehen wir weiter. Ich will an deiner Seite ziehen» (Gen 12). Versöhnung bedeutet hier nicht ausruhen in der Gegenwart, sondern ist auf Zukunft angelegt, nämlich auf eine gemeinsame.
Adrian Müller, Kapuziner in Rapperswil
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