Töchter und Söhne Gottes

Predigt zu Phil 3,17-4,1 und Lk 9,28b-36
Der Soziologe Armin Nassehi beschreibt in seinem Buch «Unbehagen» eine überforderte Gesellschaft. Seine Studierenden stellen sich die Frage, warum wir, obwohl wir so viele Möglichkeiten und Wissen hätten, unsere Probleme der Welt und des Lebens nicht lösten. Wir kennen viele Zusammenhänge über die Klima-Erwärmung und trotzdem erreichen wir wenig. Als Soziologen lernen seine Studierenden vieles über gesellschaftliche Zusammenhänge, und sehen die Gesellschaften stolpern immer wieder. Im jetzigen Moment steht uns die Ukraine sehr nahe. Wir möchten in Frieden leben, und wir erleben Krieg und erhöhen die Verteidigungsausgaben, kürzen im Gegenzug Sozialausgaben. Papst Franziskus sagt meines Erachtens zu Recht, dass es in einem Krieg immer nur Verlierer und keine Gewinner gäbe. Hört endlich auf!

Sigmund Freud hat 1930 eine Schrift herausgegeben mit dem Titel «Das Unbehagen in der Kultur». Etwas salopp kann man seine These folgender-massen zusammenfassen. Der Mensch braucht Feinde, um seinen Aggressionstrieb zu leben. Je grösser die Gruppe wird, desto schwieriger ist es, den Aggressionstrieb direkt auszuleben – denn die Feinde verschwinden in der Ferne. Sozialer Zusammenhalt muss nach Freud mit Abgrenzung von anderen erkauft werden. Keine Liebe ohne Hass also. Steter Kampf.

Brauchen wir Christen und Christinnen auch Abgrenzung? Wohl bis zum zweiten Vatikanischen Konzil kannten wir Katholiken auch eine echte Abgrenzung zur Gesellschaft. «Ausserhalb der Kirche kein Heil», war ein Schlagwort der Abgrenzung. Die Juden waren oft die Anti-Christen, später oft die Muslime. Katholiken und Katholikinnen lebten in der Schweiz in einem katholischen Milieu, das sich klar vom reformierten und liberalen Milieu isolierte: Katholische Vereine, katholische Laden, katholische Schulen, usw.

Auch der als Lesung gehörte Philipperbrief grenzt klar ein und klar aus. Da gibt es die Feinde des Kreuzes Christi. Ihr Ende sei Verderben, ihr Gott der Bauch und ihre Ehre bestände in der Schande; Irdisches haben sie im Sinn. Die Anhänger und Anhängerinnen des Paulus aber, hätten ihre Heimat im Himmel und ihr armseliger Leib würde eines Tages in einen verherrlichten Leib gewandelt. Haben Paulus und Sigmund Freud recht? Ohne Feinde kein menschliches Leben auf Erden? Liebe nur für die Eigenen?

Ganz real sind die Konflikte, die wir tagtäglich erleben. Teilweise, wie beispiels-weise Kriege, sind sie eindeutig menschgemacht. Klimawandel hat gewiss mit unserem Handeln zu tun. Im Moment würde ich mal vermuten, dass Corona nicht vom Menschen gemacht ist – Gewissheit habe ich da nicht. Doch gibt es Naturkatastrophen, die meines Erachtens wenig bis nichts mit uns Menschen zu tun haben. Die Natur kann brutal sein.

Im heutigen Tagesevangelium hören wir, wie Jesus mit Petrus, Johannes und Jakobus beten geht. Interessanterweise schlafen die drei Freunde während Jesus mit Mose und Elija redet. Es hätte mich ja interessiert, was Mose und Elija über das Ende Jesu in Jerusalem Jesus gesagt haben. Später, am Ölberg wird es wieder so sein, die drei Jünger schlafen, während Jesus mit Gott um sein Leben ringt: «Abba, Vater, alles ist dir möglich; nimm diesen Kelch von mir; doch nicht, was ich will, sondern was du willst!» (Mk 14,36) Gott will den Kelch?!

Selbst am Ölberg hat Jesus um sein Leben gerungen. In solchen Situationen schlafen Jesu die engsten Freunde selig. Im heutigen Tagesevangelium finde ich es bezeichnend, dass Petrus – sobald er wieder wach ist und das für Jesus wohl ernüchternde Gespräch abgeschlossen ist – Hütten bauen will. Ja, wir möchten doch alle, auch als Kirche, Sicherheiten und Gewissheiten. Am liebsten ein fröhliches Fest, Gesang und Tanz, Freude und Lobpreis. Doch trotz einem liebenden, barmherzigen und allmächtigen Gott ist die Welt auch anders.

Liebe Töchter und Söhne Gottes, trotz Sigmund Freund und trotz Paulus glaube ich nicht, dass wir zum Leben Feinde brauchen und nur auserwählte Menschen gewandelt werden. Ich glaube ans Ja Gottes zu allen Menschen, alle sind wir seine Töchter und Söhne. Drei Punkte sind mir wichtig:

  • Die Natur ist Natur und als Menschen müssen und können wir lernen mit ihr zu leben, uns anzupassen, dass sowohl die Natur als auch wir Menschen Zukunft haben. Dabei wird die Natur unser Leben überleben, wenn wir es als Menschheit nicht schaffen. Nicht nur die Dinosaurier sind auf der Strecke geblieben. Sie können uns zu denken geben.
  • Ob wir Menschen hier auf Erden zum friedlichen Zusammenleben finden, das weiss ich nicht, das hoffe ich jedoch sehr und ich beginne jeden Tag neu damit, am Frieden zu bauen. Das Unbehagen an einer überforderten Gesellschaft teile ich; ja, im Angesicht vom Krieg in der Ukraine, von der aktuellen Hungersnot am Horn von Afrika, in Madagaskar, von wo einer meiner Schwager stammt, auch die Überschwemmungen in Australien usw. belasten mich sehr.
  • Wie können wir Christen und Christinnen an einen guten, barmherzigen, liebenden und allmächtigen Gott glauben, wenn wir die Härte der Natur und die Überforderung der Menschen sehen? Zu dieser Frage gibt es viele Bücher, ja Bibliotheken; doch meines Erachtens keine wirklich überzeugenden Antworten. Jesus zeigt uns im Evangelium, dass er zu Gottes Willen ja sagt, auch wenn es um eine für ihn düstere Zukunft geht. Als Verlierer und vom Tod Bedrohter weiss und hört er: «Dieser ist mein auserwählter Sohn». Zu uns wird gesagt: «auf ihn sollt ihr hören». Jesu Begegnung mit Mose und Elija sowie Gottes Ja lässt ihn und uns hoffen. Und auch wir dürfen uns sagen lassen, dass wir Töchter und Söhne Gottes sind. Amen.

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