Andere Bilder / Kommunikation

ITE 2023/1 war zu zehn Jahre Papst Franziskus. Edito und das ganze Heft können hier heruntergeladen werden. Der Grundsatzartikel von damals ist auch heute noch lesenswert und erhellend:

Nomen est omen: Papstnamen sind Programme. Benedikt XVI. – Joseph Ratzinger war von 2005 bis zum 11. Februar 2013 im Amt – ist der 16. Papst mit dem Namen Benedikt und bezieht sich auf einen mittelalterlichen Mönchsvater und Ordensgründer. Und Papst Franziskus, gewählt am 13. März 2013, ist der erste Papst, der sich auf Franz von Assisi beruft. Als Argentinier ist er der erste gebürtige Nichteuropäer seit dem 8. Jahrhundert, nämlich Lateinamerikaner. Vor seiner Wahl arbeitete der Erzbischof von Buenos Aires als Seelsorger und nicht als Berufstheologe oder an der Kurie.

Als Jugendlicher las ich von Joseph Ratzinger die Einführung ins Christentum. Vor allem eine Bildbeschreibung daraus ist mir geblieben und hat mein Leben damals beeinflusst. Ratzinger schreibt von der «Bedrohung der Ungewissheit» und von der «Brüchigkeit des Ganzen». Auf Seite 37 liest man über «die einzige Alternative»: «Paul Claudel hat in der Eröffnungsszene des ‹Seidenen Schuhs› diese Situation des Glaubenden in eine grosse und überzeugende Bildvision gebannt. Ein Jesuitenmissionar, Bruder des Helden Rodrigo, Weltmann, irrender und ungewisser Abenteurer zwischen Gott und Welt, wird als Schiffbrüchiger dargestellt. Sein Schiff wurde von Seeräubern versenkt, er selbst an einen Balken des gesunkenen Schiffs gebunden und so treibt er nun an diesem Stück Holz im tosenden Wasser des Ozeans.»

Dieses Bild hat mich als Jugendlicher so sehr beschäftigt, dass ich es malte und es lange im Zimmer aufhängte. Es war dies ein Lebens- und Glaubensbild, das mich in meiner Jugend begleitete, bis mir die franziskanisch-kapuzinische Lebensweise ein anderes Lebensgefühl vermitteln konnte. Ich denke, dass man diese Veränderung des Lebensgefühls auch bei den beiden Päpsten finden kann. Denn Franz von Assisi – und nicht mehr Benedikt von Nursia – steht für Jorge Mario Bergoglio Pate.

Maria, die Knotenlöserin
Interessanterweise fand ich später von Jorge Mario Bergoglio ein anderes Bild, dass mich bis heute begleitet und das mehr Hoffnung ausdrückt. Auch dieses Bild fand ich in einem Buch, jedoch nicht in einer theologischen Abhandlung, sondern in einem langen Interview: Papst Franziskus. Mein Leben, mein Weg. El Jesuita. Die Gespräche mit Jorge Mario Bergoglio von Sergio Rubin und Francesca Ambrogetti. Die Erstveröffentlichung in Spanisch war 2010 und erfolgte somit noch vor der Papstwahl.

Jorge Maria Bergoglio, der auch in Deutschland studiert hatte, bekam von einer deutschen Frau eine Postkarte mit dem Bild Maria Knotenlöserin aus der Jesuitenkirche St. Peter am Perlach zugeschickt. Bergoglio, der in Deutschland nicht nur einfache Zeiten erlebte, war fasziniert und sehr angetan von diesem Bild. Er nahm das Motiv mit nach Buenos Aires zurück und verbreitete es. Seine Priesteramtskandidaten schickte er mit diesem Bild in die Armenviertel von Buenos Aires. In der Kirche San José del Talar (Buenos Aires, Argentinien) hängt heute sogar eine Kopie des Bildes von St. Peter am Perlach, das an jedem Achten des Monats viele Pilger anzieht. Heute ist Maria Knotenlöserin «ein Bild, dessen Verehrung zu einem ausgesprochen populären Phänomen der Volksfrömmigkeit in Buenos Aires geworden ist» (S. 23). Auch im Gästehaus des Vatikans, Casa Santa Maria, wo Papst Franziskus eingezogen ist – statt im Palast zu residieren – sowie auf der 50-Euro-Goldmünze der Vatikanstadt von 2017 findet sich eine Darstellung der Knotenlöserin. Nun, Knoten gab es in der Regierungszeit von Franziskus bis heute einige zu lösen. Ob er dies gemacht hat und wie er es tat, darüber will diese ITE-Ausgabe einige Aspekte aufgreifen und beantworten.

Zuhören und antworten
Joseph Ratzinger hat viele theologische Bücher geschrieben, gelehrt und mit seiner Lehre Politik gemacht. Jorge Mario Bergoglio hat bei seinem Amtsantritt auf das Buch eines anderen Theologen verwiesen: Barmherzigkeit. Grundbegriff des Evangeliums – Schlüssel christlichen Lebens von Walter Kardinal Kasper. Auch wenn es Leute gibt, die über die Theologie von Papst Franziskus die Nase rümpfen, dann sehe ich in seinen Interviews und Begegnungen einen Menschen, der sowohl ein theologisch wie auch ein kulturell vielfältiges Wissen hat. Dieses wird jedoch zumeist dialogisch umgesetzt. Hinzu kommt, dass der jetzige Papst nicht nur mit Theologen diskutiert – vgl. den Schülerkreis von Joseph Ratzinger –, sondern auch Journalisten und vor allem Menschen am Rande der Gesellschaft zuhörend beachtet.

2022 kam das Interview-Buch Papst Franziskus. Ich trage euch im Herzen. Meine Antworten auf die Fragen der Armen dieser Welt. in die Buchhandlungen. Da hört einer zu und gibt nicht Antworten auf Fragen, die niemand gestellt hat oder niemanden interessiert. Die Worte von Papst Franziskus sind allgemeinverständlich, auch für die Ungebildeten dieser Welt.

Sibylle de Malet, Pierre Durieux und Loïc Luisetto haben die Inhalte des Buches koordiniert: «So machten wir uns daran, Fragen von armen Menschen aus der ganzen Welt zu sammeln. Dabei wurden wir unterstützt von befreundeten karitativen Vereinigungen auf fünf Kontinenten. Innerhalb weniger Wochen erhielten wir mehr als tausend Fragen von Kindern aus den Elendsvierteln Brasiliens, von Frauen aus dem indischen Flachland, von jungen Menschen aus der iranischen Wüste, von amerikanischen Obdachlosen, von Prostituierten aus Asien, von madagassischen Familien … und einige anonymisiert, da diese Menschen als Christen fürchten, in ihrem Land verfolgt zu werden» (S.8). Im Folgenden einige Perlen dieses Buches, das ursprünglich auf Französisch erschienen ist:

Felipe aus González Catán, Argentinien
Als Sie von Jesus den Ruf erhielten, Papst zu werden, was kam Ihnen da als Erstes in den Sinn?
Was genau ich in diesem Moment dachte, daran kann ich mich nicht mehr erinnern. In so einem Augenblick denkt man an gar nichts … (S. 22)

Rodrigo aus Huechuraba, Chile
Papst Franziskus, wohin geht eigentlich das Geld des Vatikans?
Von diesem Geld werden Schulden bezahlt. Und Gott ist wirklich gut, richtig gut. Denn ist eine Gemeinde oder eine religiöse Einrichtung nicht arm – obwohl sie es sein sollte – und verwaltet ihr Geld schlecht, dann schickt er ihr in der Regel einen schlechten Wirtschafter, sodass es zu Katastrophen und schliesslich zum Bankrott kommt. Das Geld des Vatikans – oder vielmehr das Geld, das der Vatikan haben sollte – ist für gute Werke und für Mittel zur Verkündigung des Evangeliums gedacht. Das geschieht auch mit einem Teil des Geldes. Doch derzeit kann man in den Zeitungen lesen, dass ein Prozess gegen dreizehn Personen des Vatikans bevorsteht, denen Betrug und finanzielle Delikte vorgeworfen werden. Und es ist nicht das erste Mal, dass so etwas vorkommt. Dass Männer der Kirche – Priester, Bischöfe, Kardinäle – in Luxuslimousinen durch die Gegend fahren, statt beispielhaft in Armut zu leben, tut mir weh. Sie geben ein extrem negatives Zeugnis ab. Und obschon viele Menschen im Vatikan – Kardinäle wie Bischöfe – arm sind, dominiert doch das Bild vom Prunk und Pomp. Der Vatikan braucht hier eine kontinuierliche Bekehrung, um sich nicht in den Fängen des Reichtums und der Macht zu verstricken. (S.36)

Jesús
Warum fällt es uns Menschen so schwer, liebevoll zu sein, und warum ist das seit jeher so?
Theologen würden antworten, das liegt an der Erbsünde. Wir haben einfach einen grundlegenden Fehler: unseren Egoismus. Mithilfe des Heiligen Geistes, der in uns wohnt, bemühen wir uns zwar darum, diesen Fehler zu heilen, aber wir haben alle diese Tendenz zum Bösen in uns. Wäre es anders, würde ich morgen die ganze Welt heiligsprechen. (lacht) (S.40)

Cyrus aus Qom, Iran
Manche Gemeinschaften, die sich auf die Bibel stützen, lehnen Homosexuelle ab. Wie denken Sie darüber?
Die Bibel muss gut gelesen und interpretiert werden. Gott liebt jeden Mann und jede Frau unabhängig von seiner bzw. ihrer sexuellen Orientierung. Und ich habe schon mehrfach gesagt: Wer bin ich, dass ich eine Person aufgrund ihrer sexuellen Orientierung verurteile?
Vor ein paar Tagen haben wir eine Impfkampagne gegen das Coronavirus organisiert für Menschen, die auf der Strasse leben, und für die Armen von Rom. Das waren drei intensive Tage. Jede Person wurde sehr respektvoll behandelt. Dann trafen zwei Busse ein, in denen sich transsexuelle Personen befanden. Einige Leute, die vor Ort waren, warnten dann den Kardinal, der sich um die Kampagne kümmerte – übrigens ein Kardinal, den ihr niemals in roten Gewändern, sondern immer mit Hose und Jacke sehen werdet – mit den Worten: «Vorsicht! Da kommen Transsexuelle …!» – «Impft sie!», rief der Kardinal sofort. Und er fügte hinzu: «Nur eine Sache noch: Fragt sie nicht, ob sie Mann oder Frau sind, um sie nicht zu kränken.» Alle haben ihren Platz im Haus Gottes. Alle.
Jedes Mal, wenn ich mit einer solchen Situation konfrontiert werde, muss ich an Jesus denken und an seinen Willen, uns alle zu retten. Das bringt mich dazu, in jeder Person eine Schwester oder einen Bruder zu sehen – so einfach ist das.
Es irritiert mich, wenn man die Probleme der Menschen derart hervorhebt. Man tut ihnen damit Unrecht, und sie leiden darunter. Wir müssen ihnen gegenüber sehr, sehr respektvoll sein, und wir müssen untereinander respektvoll sein. (S. 74)

Erfahrung: Sehen und Glauben

Osterpredigt vom 20. April 2025; 1 Kor 5,b-8; Joh 20,1-9(-18)

Halleluja, liebe Menschen Sehen und Glauben
Halleluja, Gott, ja, Leben ist anders.
Halleluja, Maria von Mágdala sieht keinen Stein vor dem Grab.
Halleluja, der andere Jünger sieht Leinenbinden und keinen Leichnam im Grab.
Halleluja, Simon Petrus sieht an besonderer Stelle das Schweisstuch zusammengebunden liegen.
Halleluja, der andere Jünger sah und glaubte 2X. Halleluja.
Nein, der andere Jünger weiss nicht, er glaubt.
Nein, die beiden Jünger gehen mal nach Hause. Maria bleibt.
«9 Denn sie hatten noch nicht die Schrift verstanden, dass er von den Toten auferstehen müsse.» (Joh 20)
Halleluja, Maria von Mágdala weint und sieht Engel, sieht Jesus.
Halleluja, Gott, ja, Leben ist anders. Jesus lebt. Halleluja.
Und darin liegt die Herausforderung und das Staunen von Ostern. Der Rahmen des Normalen, des Alltäglichen darf anders gesehen werden. Der Tod ist kein Ende, unsere Realität ist nicht begrenzt. Der Tote lebt. Vielleicht braucht es Schweigen, Gefühle, einen neuen Zugang zur Wirklichkeit. Vielleicht ein Stammeln und Staunen. Ein neuer, anderer Zugang zum Leben, zum Sterben und dann anders, neu Leben, Sehen und Glauben.
Liebe Menschen
Sehen und Glauben. Eine wunderbare, berührende, froh-machende Geschichte aus dem Neuen Testament. Meine Worte sind begrenzt, die Erfahrungen von Maria, Petrus und dem anderen Jünger entgrenzen meinen Vorstellungshintergrund und es bleiben auch mir, Sehen und Glauben. Halleluja, Jesus lebt.
Vor drei Wochen war ich am Vorderrhein am Wandern. Und da stand ich plötzlich vor einer Eselherde und ich staunte. Wir sind hier doch nicht in Italien? Die Esel kamen neugierig auf mich zu und ich schloss sie sofort in mein Herz. Ich sah und glaubte einen ganz besonderen Moment zu erleben. Und ein wunderbares Foto ziert seither meinen Schreibtisch / Desktop – es erinnert mich an einen eigenartigen und besonderen Moment. Eine einzigartige Begegnung mit Eseln. Erklären kann und will diese Erfahrung nicht. Ein Foto spricht für sich selbst, speichert Erinnerung. Es braucht keine Erklärungen oder Rechtfertigungen – wie es auch im Leben immer wieder Gewissheiten gibt, die nicht erklärt werden müssen und auch nicht erklärt werden können. Sehen und Glauben sind hier religiöse Erfahrungen. Sie gelten aus Erfahrung.
Und ähnlich geht es mir mit den Erfahrungen von Maria, Petrus und dem anderen Jünger. Sehen und Glauben. Punkt. Ja, Theolog:innen können noch einiges sagen dazu. Trotzdem, der Höhepunkt der Erzählung liegt im Sehen und Glauben des anderen Jüngers.
Und dieses Sehen und Glauben hat Folgen. Im ersten Korintherbrief (5,7) lesen wir: „Schafft den alten Sauerteig weg, damit ihr neuer Teig seid!» Eingefordert wird Aufrichtigkeit und Wahrheit statt Bosheit und Schlechtigkeit. Das «Sehen und Glauben» von Oster-Erfahrungen hat Folgen für das Leben, für den Alltag – trotz Stammeln und Staunen, Weinen und Vermissen, Nichtwissen.
Ostererfahrungen wollen nicht zerredet, sondern «gesehen und geglaubt» werden. Vielleicht können sie meine Erfahrung mit den Eseln nach-erahnen, vielleicht auch die Grab-Erfahrungen von Maria, von Petrus und vom anderen Jünger. Gewiss haben auch Sie, liebe Oster-Erfahrungs-Menschen, ähnliche Erlebnisse, Gewissheiten, Gipfelerlebnisse, die gesehen und geglaubt werden können, Sie begleiten und bewegen. So oder so bleiben wir bei der Aufrichtigkeit und der Wahrheit, der nachösterlichen Realität. Amen.

Früchte bringen

Predigt vom 23. März 2025; Lk 13,1-9; 1 Kor 1-12

Wir erleben Tragisches in unserem Leben und sehen diese Tage noch viel Schlimmeres in der Welt geschehen. Es gäbe viele Stichworte und Reizworte. Das ist nicht neu – auch wenn wir manchmal den Eindruck haben, in einer ganz speziellen geschichtlichen Phase zu leben. Leid und Tod kannten die Menschen um Jesus von Nazareth, wie auch um Paulus von Tarsus herum, auch. Und wie die Zuhörer und Zuhörerinnen Jesu, so sind es auch nicht wir, die gegenwärtig am meisten Unrecht und Leid selbst erfahren. Wenn ich in die Welt schaue, dann komme ich mir sehr privilegiert vor. Aber: Wie kann ich mit erfahrenem und gesehenem Bösen umgehen? Wie sind sinnlose und belastende Erfahrungen zu deuten?
Das Sonntagsevangelium stellt zuerst einmal fest, dass die Leute, die Ziel des Bösen sind, nicht grössere Sünder sind als wir, und dass wir nicht verschont werden, weil wir bessere Menschen sind oder weil wir Christen und Christinnen sind. Das Böse ist eine eigene und freie Grösse und wirkt, wo es will und wie es will. Die leidtragenden Menschen sind nicht per se schlechtere oder ungläubigere Menschen. Sowohl Jesus von Nazareth wie auch Paulus von Tarsus laden uns jedoch ein, im Angesicht des Bösen, des Verderbens den Blick auf uns selbst zu richten und unser eigenes Tun kritisch zu überdenken. Nach einer gründlichen Selbst-Betrachtung und Selbst-Einschätzung sollen wir einen guten Lebensweg wählen und entsprechend handeln, Früchte bringen.
Und Jesus erzählte ihnen dieses Gleichnis: Ein Mann hatte in seinem Weinberg einen Feigenbaum gepflanzt; und als der Mann kam und nachsah, ob der Feigenbaum Früchte trug, fand er keine. Da sagte der Mann zu seinem Winzer: Siehe, jetzt komme ich schon drei Jahre und sehe nach, ob dieser Feigenbaum Früchte trägt, und finde nichts. Hau ihn um! Was soll der Feigenbaum weiter dem Boden seine Kraft nehmen? Der Winzer erwiderte: Herr, lass ihn dieses Jahr noch stehen; ich will den Boden um ihn herum aufgraben und düngen. Vielleicht trägt er in Zukunft Früchte; wenn nicht, dann lass ihn umhauen! (Lk 13,6-9)
Das Gleichnis richtet seinen Blick nicht nach aussen, auf die Ungerechtigkeit und Bosheit in der Welt. Betrachtet werden ein konkreter Feigenbaum und seine fehlende Frucht im Garten eines Mannes.
Der Mann stellt fest, dass der Feigenbaum auf fruchtbarem Boden steht. Eigentlich will er diesen ertragslosen Baum umhauen. Doch tritt noch ein zweiter Mensch, ein Winzer, auf: Herr, lass den Feigenbaum dieses Jahr noch stehen; ich will den Boden um ihn herum aufgraben und düngen.
Mir raten die Predigt eines Paulus von Tarsus und vor allem das Gleichnis vom Feigenbaum eines Jesus von Nazareth, mich mit Blick auf Ungerechtigkeit und Bosheit in der Welt nicht lähmen zu lassen und zu verzweifeln. Fragwürdiges gibt es in Gottes Welt und ist für mich, für uns nicht wirklich erklärbar oder begründbar. Auch gute Menschen kommen unter die Räder, werden getötet oder müssen leiden. Und da kann ich mich auch nicht rühmen, nur weil ich davon verschont wurde. Das Böse kann auch mich völlig unbegründet treffen. Es steht ausserhalb meiner eigenen Verfügbarkeit. Aber es gibt einen Bereich meiner Einfluss-Sphäre; und darin soll ich Früchte bringen. Da darf ich sogar vertrauen, dass mir jemand den Boden bereitet, mir beisteht, zu mir schaut, mir aber auch Zeit gibt – vergleiche den Winzer im Gleichnis. Das ist für mich eine stärkende und hoffnungsvolle Verheissung.
Ich bin für meine Früchte, mein Handeln selbst verantwortlich. Und die Fastenzeit als eine Zeit der Wahl und Neu-Ausrichtung lädt mich ein, den Blick vom allzu fernen, vielleicht blockierenden Begebenheiten zu lösen und mich mit meinem eigenen Leben und meiner Einfluss-Sphäre auseinanderzusetzen. Verantwortlich bin ich zuerst einmal für meine Taten, meine Früchte, mein Handeln und Sein. Bei einem Feigenbaum erwarten wir Feigen, bei einem Apfelbaum Äpfel, und bei Adrian Müller …? Und bei Ihnen …? Ja, mir kommen einige Bereiche in den Sinn. Nicht nur Schlechtes. Da gibt es Früchte in meinem, in unserem Leben – und die sind wichtig.
Ob der Feigenbaum im kommenden Jahr Frucht gebracht hat, das erzählt uns das Gleichnis nicht. Die Erzählung hat einen offenen Schluss und lädt uns ein, unser eigenes Leben zu betrachten, nach unserem eigenen Boden, Umfeld zu schauen und darin fruchtbar zu werden. Ach ja, kennen Sie den mutmachenden Satz: «Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.» Dieser Mut-Satz wird fälschlicherweise Martin Luther zugewiesen, geht aber auf den Propheten Mohammed (570-632) zurück. Der Winzer des Gleichnisses lädt uns immer wieder neu ein, Früchte zu bringen.

Diese Predigt wurde auch im Spital Schwyz gehalten. Einleitung zu Beginn:

Liebe Brüder und Schwestern, wenn ich das heutige Evangelium ernst nehme, dann gibt es mir einige Hinweise für meinen Umgang mit Krankheit und Leiden. Und diese stelle ich gerne an den Beginn dieses Gottesdienstes.
• Grundsätzlich wissen wir nicht, warum wir Böses und Krankheit erleben. Jesus warnt davor, dem Kranken, Sterbenden die Schuld dafür zu geben.
• Über Krankheit sollen wir nicht abstrakt und weltfremd diskutieren, sondern differenziert und sehr fallbezogen.
• Heilung geschieht in langsamen Schritten und kann manchmal Jahre dauern, wenn es überhaupt zur Heilung kommt. Der Ausgang unserer Bemühungen kann offen sein.
• Es gibt Menschen mit Fachwissen, die uns beistehen, die uns helfen können und sich für unsere Heilung einsetzen. Auch da wo andere schon den Kopf in den Sand stecken.

Biblische Überraschungen

Wussten Sie, dass nach dem Lukas-Evangelium Johannes der Täufer im Gefängnis landete, bevor er am Jordan Jesus taufen konnte. Oder auch, dass das Gleichnis vom anvertrauten Geld absolut nichts mit menschlichen Talenten und Gaben zu tun hat – der vermeintliche Versager ist eigentlich der Held der Geschichte. Ab dem 16. März 2025 gebe ich der Rätsel Lösungen – sofern man das so nennen darf – bei der Zürcher Telebibel. Viel Vergnügen und gute Nerven also.

Ein vollkommen neues Feuer

Aus ITE 2025/1; Feuer: geliebt – gedeutet – gefürchtet

Die Liturgie der Osternacht lebt vom Entzünden des Osterfeuers, das wiederum als Start für weitere Handlungen dient. Interessanterweise wurde früher an einigen Orten das Feuer durch das Schlagen von Steinen entfacht. Damit sollte deutlich gemacht werden, dass mit dem Osterfeuer etwas ganz Neues entsteht. Da wird nicht nur – wie beim Olympischen Feuer – das brennende und lebendige Licht weitergetragen und weitergegeben. Nein, beim Steinschlagen entsteht ein neuer Funke und ein neues Feuer. Es ist dies ein Zeichen der Auferstehung, eines wahrlich neuen Anfangs. Es ist dies nicht bloss Übergang oder das neu entfachen einer Glut.


Die Jahreszeiten sind ein Symbol des Werdens, Vergehens und wieder neu Werdens.


In unseren Breitengraden kennen wir vier – auf einander folgende – Jahreszeiten. Auf das Absterben des Herbstes und den Tod des Winters kommt bei vielen Pflanzen das Neu-Werden des Frühlings. Es ist ein Bild des Kommens und Gehens. Selbst Menschen erleben manchmal einen weiteren, zweiten Frühling und handeln entsprechend. Die Jahreszeiten sind ein Symbol des Werdens, Vergehens und wieder neu Werdens.


Mit der Auferstehung feiern Christen und Christinnen ein echtes und einmaliges Neu-Werden in Jesus Christus: Sterben, Tod und Auferstehung.

Es geht nicht um das Gleiche im Alten, sondern um eine echte Neu-Schöpfung, um ein neues Werden. Ostern zeigt nicht die Fruchtbarkeit des Frühlings nach dem Winter, sondern das neue göttliche Leben nach dem Tod. Zuerst einmal für den verstorbenen Jesus von Nazareth, dann aber auch für alle Menschen, für die ganze Schöpfung, Erde und Himmel. Darin liegt die Hoffnung für uns Christen und Christinnen.


Weg von Draussen nach Drinnen
Normalerweise wird das Osterfeuer draussen, vor der Kirche, angezündet. Es ist dies ein sinnlicher und stiller Moment, wie er in der Liturgie eher selten vorkommt. Man steht im Kreis um das Feuer, an der Kälte sowie in der Dunkelheit, und sieht die ersten Funken springen. Die Gläubigen warten, bis das Feuer richtig brennt. Dieser Vorgang kann kaum beschleunigt werden – und wer dies mit Petroleum versuchte, würde sich selbst disqualifizieren. Die Gemeinschaft schweigt und hört dem Knistern der Holzscheite zu. Dunkelheit und Kälte können sich ausbreiten – das gilt auch für das Feuer. Licht und Wärme breiten sich nun aus.
Wenn alles Holz brennt und lodert – das Osterfeuer soll die dunkle Nacht erleuchten! –, wird das Feuer gesegnet und die Osterkerze daran entzündet. An der brennenden Kerze entzünden die Mitfeiernden ihre eigenen Kerzen. Anschliessend wird die Osterkerze mit dem Ruf «Licht Christi» in die möglichst dunkle Kirche getragen. Was nützt eine Kirche, wenn sie nicht vom Licht Gottes erhellt wird?! Die brennende Osterkerze symbolisiert Christus als Licht für die Menschen und die Welt.


Vom Frühlings- zum Osterfeuer
Das Christentum ist nicht im religionsfreien Raum entstanden. Und es ist nicht nur das Judentum, welches das Christentum und seine Feiern geprägt hat. Im Judentum sind mehrarmige Leuchter von grosser Bedeutung. Der siebenarmige Leuchter ist eines seiner wichtigsten religiösen Symbole. Für das achttägige Lichterfest wird ein acht- oder neunarmiger Leuchter verwendet. Im Christentum ist die Osterkerze in Rom seit dem fünften Jahrhundert nachgewiesen.
Christliche Missionare nahmen den germanischen Brauch des Frühlingsfeuers auf und integrierten das Osterfeuer in die christliche Liturgie.
Zu Ehren Wodans, des Hauptgottes in der nordischen und kontinentalgermanischen Mythologie, wurden Frühlingsfeuer entzündet. Wodan ist der bestbezeugte Gott bei den germanischen Stämmen und Völkern der Wanderungszeit. Christliche Missionare nahmen vermutlich diesen Brauch auf und integrierten im achten Jahrhundert das Osterfeuer in die christliche Liturgie. Seit dem zehnten Jahrhundert kennt man Segensgebete für das Osterfeuer.

Im Dickicht des Lebens

Predigt zu den Seligpreisungen, Lk 6,17-26

Das heutige Tagesevangelium erinnert mich an Moses. Er stieg auf den Berg und brachte dem Volk die zehn Gebote Gottes; also eine Orientierungsrichtlinie für gutes und gottgefälliges Leben.
Auch Jesus war auf dem Berg in der Gottesbegegnung und kommt mit den zwölf Jüngern in die Ebene. Eine grosse Schar Jünger und viele Menschen versammelten sich um ihn. Jesus trifft sich also in den Niederungen des Alltags mit den Leuten, so würde ich meinen.
Moses brachte zwei Tafeln mit Geboten. Es sind dies Worte und ist zuerst einmal theorielastig. Den Lesenden mit den zehn Geboten gesagt, was sie zu tun werden und was sie zu unterlassen haben.
Jesus von Nazareth ist praktischer veranlagt. Er hat Kraft und bringt Heilung; Heilung von körperlichen und psychischen Krankheiten. Und darin sehe ich auch die erste Aufgabe in unserem Leben der Jesus-Nachfolge. Unsere Kräfte sollen wir für unsere Nächsten einzusetzen, damit sie körperlich und psychisch heil werden, oder zumindest in ihrem Leiden begleitet werden und einigermassen gut leben können. Das gilt für die vielen Menschen aus ganz Judäa und Jerusalem, dem Küstengebiet von Tyrus und Sidon. Auch Schwyz.
Uns für die vielen Menschen in Schwyz und Umgebung heilsam einzusetzen. Darin sehe ich unseren Auftrag als Jünger und Jüngerinnen. Als Ortskirche sind wir hier engagiert. Ich möchte hier primär einmal an die Kirso, die Kirchliche Sozialberatung Innerschwyz erinnern. «Die KIRSO ist eine professionelle Anlauf- und Beratungsstelle für Personen aus der Region Innerschwyz. Menschen in schwierigen Lebenslagen finden hier Beratung, Unterstützung und Begleitung, unabhängig von Religion und ethnischer Zugehörigkeit.» kann man auf der Homepage www.kirso.ch lesen. Und ich weiss, Franz Schuler und Judith Rüegg leisten gute und verantwortungsvolle Arbeit.
Die Antonius-Gelder, die dem Kapuzinerkloster abgegeben werden, gehen an die Kirso, für die Menschen in schwierigen Lebenslagen. Auch unterstützt das Kloster die Arbeitsstelle finanziell und ideell. Bald ist die GV des Vereins «Diakonie Innerschwyz» und ich bin gespannt, wie die soziale Situation in der Innerschwyz aussieht.
Doch Jesus geht noch einen Schritt weiter. Er wendet sich im Lukasevangelium in vier Seligpreisungen und vier Wehe-Rufen an seine Jünger und Jüngerinnen. Seligpreisungen: armutsbetroffen und hungernd bin ich nicht, selten weinend und auch nicht gehasst. Gut, manchmal ist es nicht nur einfach, römisch-katholisch zu sein. Menschen wenden sich ab von der Kirche, die Austrittszahlen sind hoch. Doch haben wir als Kirche, als Jünger und Jüngerinnen in der Vergangenheit wie auch in der Gegenwart einige Fehler gemacht. Da habe ich mich, wir uns als (römisch-katholische) Kirche zu verbessern und allen Menschen Kraft der Heilung zu werden.
Die Weh-Rufe decken wohl eher meinen heutigen Alltag ab. Ja, ich bin reich – gut nicht steinreich – ; ich bin satt – und manchmal übersatt. Nein, ich habe nicht den ganzen Tag zu lachen, auch wenn ich mich als glücklichen Menschen erfahre. Ab und zu darf ich auch ein Lob ernten und das macht mir Freude. Die Option für die Armen ist nicht unbedingt eine Option für Adrian. Nun, ich hoffe nicht gänzlich auf der Strecke zu bleiben.
Jesus macht mich also mit seinen Seligpreisungen und Wehrufen betroffen. Da kann ich mich gewiss nicht gemütlich zurücklehnen und alles ist gut. Ich sehe sie eher als eine Herausforderung, meine Kräfte wahrzunehmen, heilsam einzusetzen und mich aber als Christ immer wieder kritisch zu orientieren und zu hinterfragen:
Bin ich auch für alle Menschen heilsam, körperlich und psychisch?
Bin ich mir bewusst, dass Jesus mit den Seligpreisungen und Weh-Rufen die Welt auf den Kopf stellt. Nicht die Reichen und Satten, die Menschen auf der Sonnenseite und die umgarnten Grossen bekommen seine Aufmerksamkeit und sein Lob. Jesus stellt für uns Jünger und Jüngerinnen Menschen am Rand ins Zentrum. Und warum das? Das Reich Gottes kennt andere Massstäbe als Kapuziner zuerst oder Switzerland first oder Geld regiert die Welt oder der Mensch ist des Menschen Wolf. Nein, heilsam und solidarisch werden wir heute und in Zukunft ins Reich Gottes einziehen – und das wird unsere Freude sein. Die Güte, der Erfolg einer Gemeinschaft, einer Gesellschaft zeigt sich im Umgang mit den Armen, Hungrigen, Traurigen und den Menschen am Rand. Amen.

War bei mir der Geist dabei?

Predigt zu Taufe des Herrn; Apg 10,34-38; Lk 3,15-16.21-22

Eine erste Erfahrung: Letzten November reiste ich ins Kapuziner-Kloster Meran in die Ferien. Im Bus ab Mals setzte sich eine Jesus begeisterte Frau neben mich. Sie besucht wöchentlich eine Christengemeinde und kam schnell auf ihre Geisttaufe zu sprechen. Sie weiss genau, wann und wo sie vom Heiligen Geist getauft wurde, und seither ist sie Christin. Natürlich wollte sie auch von mir wissen, wann und wo ich vom Heiligen Geist getauft worden sei. Darauf habe ich leider keine genaue Antwort. Ich wurde als Säugling getauft und kann mich nicht an meine Taufe erinnern. Meine Eltern tauften mich – und ich bin ihnen heute dankbar für diese Entscheidung. Mit Worten, Wasser und Taufhandlung wurde ich getauft. Natürlich würde ich vermuten, dass der Heilige Geist auch dabei war.
Eine zweite Erfahrung: Letze Woche hörte ich einen Podcast über eine Online-Kirche. Alles geschieht bei ihr online, im Internet. Da gibt es Pfarrer und Pfarrerinnen, die betreiben Seelsorge wie auch die Sakramente im Netz. Auf der Homepage kann man Porträts dieser Pfarrer:innen sehen und einen dazugehörenden Avatar. Auch der Täufling muss sich im virtuellen Raum einen Avatar aussuchen und nach entsprechender Online-Taufkatechese gibt es eine Online-Taufe. Der Journalist fragte natürlich, ob eine solche Taufe theologisch überhaupt möglich sei? «Natürlich,» war die Antwort. «Der Heilige Geist kann wirken, wo er will, auch in einem Online-Room; auch im World Wide Web!» Er weht, wo er will.
Im heutigen Tagesevangelium sagt Johannes der Täufer: «Ich taufe euch mit Wasser. Es kommt aber einer, der stärker ist als ich, … Er wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen.» Und später erzählt dieses Tagesevangelium wie der Heilige Geist auf Jesus herabkam. Jesus bekam nach dem Lukasevangelium eine Wassertaufe, den Heiligen Geist und ein Wort Gottes zugesagt: «Du bist mein geliebter Sohn.» Interessanterweise spricht Petrus in der heutigen Tageslesung der Apostelgeschichte, nicht von Jesu Taufe, sondern: «wie Gott Jesus von Nazaret gesalbt hat mit dem Heiligen Geist und mit Kraft, …»
Für viele christliche Kirchen und Christ:innen heute ist klar, dass man durch die Taufe Christ wird. Ein kleiner Blick in die Religionen: Im Islam wird man ein Gläubiger, indem man die erste Sure (Al-Fatiha – Die Eröffnende) betet und das Gesagte auch entsprechend bekennt. Grundsätzlich wird ein Kind einer jüdischen Mutter jüdisch. Es gibt Möglichkeiten der Konversion zum Judentum.
Aber wie steht es nun mit der Taufe und deren gegenseitigen Anerkennung unter den unterschiedlichen Konfessionen? Wichtig ist mir persönlich die gegenseitige Anerkennung der Taufe von mehreren Kirchen. Zu nennen sind vor allem die Lima-Erklärung (Peru) von 1982 oder die Magdeburger-Erklärung von 2007. In der Magdeburger-Erklärung steht:
Jesus Christus ist unser Heil. Durch ihn hat Gott die Gottesferne des Sünders überwunden (Römer 5,10), um uns zu Söhnen und Töchtern Gottes zu machen. Als Teilhabe am Geheimnis von Christi Tod und Auferstehung bedeutet die Taufe Neugeburt in Jesus Christus. Wer dieses Sakrament empfängt und im Glauben Gottes Liebe bejaht, wird mit Christus und zugleich mit seinem Volk aller Zeiten und Orte vereint. Als ein Zeichen der Einheit aller Christen verbindet die Taufe mit Jesus Christus, dem Fundament dieser Einheit. Trotz Unterschieden im Verständnis von Kirche besteht zwischen uns ein Grundeinverständnis über die Taufe.
Deshalb erkennen wir jede nach dem Auftrag Jesu im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes mit der Zeichenhandlung des Untertauchens im Wasser bzw. des Übergießens mit Wasser vollzogene Taufe an und freuen uns über jeden Menschen, der getauft wird. Diese wechselseitige Anerkennung der Taufe ist Ausdruck des in Jesus Christus gründenden Bandes der Einheit (Epheser 4,4–6). Die so vollzogene Taufe ist einmalig und unwiederholbar.

Dem Text dieser Vereinbarung stimmten zu:
• Römisch-katholische Kirche im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz
• Evangelische Kirche in Deutschland
• Orthodoxe Kirche in Deutschland
• Evangelisch-methodistische Kirche
• Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche
• Armenisch-Apostolische Orthodoxe Kirche in Deutschland
• Katholisches Bistum der Alt-Katholiken in Deutschland
• Äthiopisch-Orthodoxe Kirche in Deutschland
• Evangelisch-altreformierte Kirche in Niedersachsen
• Evangelische Brüder-Unität – Herrnhuter Brüdergemeinde
• Arbeitsgemeinschaft Anglikanisch-Episkopaler Gemeinden in Deutschland
Liebe getaufte Christen und Christinnen, das war nun die kirchen-theologische Sicht auf Taufe und Christsein. Ich selber will niemandem das Christsein absprechen. Und so, wenn mir jemand sagt, er oder sie sei Christ:in, dann ist dem für mich so.
Die Taufe – auch meine eigene Taufe als Säugling – halte ich hoch und sehe darin vor allem die Aufnahme in die Gemeinschaft der römisch-katholische Kirche, verbunden mit anderen Kirchen. Für mein Christsein, vielleicht besser für meine Jesusnachfolge bemühe ich mich jeden Tag wieder neu.
Meine eigene Taufe sagt mir vor allem, dass Gott und meine Familie ja gesagt haben zu mir. Und das ist schön. Und als gefirmter Christ ist mir dabei wichtig, meinen Glauben verantwortungsbewusst zu leben und stets offen für neue göttliche Initiativen zu bleiben.

Brüderlichkeit ohne Grenzen

Edito zu ITE 2024/5

Das Mittelbild von ITE zeigt diesmal Kapuziner auf einem Baugerüst. Ja, eine Brüdergemeinschaft ist eine stete Baustelle. Einerseits muss immer wieder renoviert und saniert werden. Doch manchmal braucht es mehr. Dann muss abgerissen oder aufgebaut werden. Das ist auch der Lauf der menschlichen Geschichte. Jeder und jede von uns kennt unterschiedliche Lebensalter und am Ende den Tod – für Christen und Christinnen die Hoffnung auf die ungetrübte Gegenwart Gottes.
Auch die Schweizer Kapuziner haben sich seit Beginn stets verändert und sich neuen Situationen angepasst. Dabei war es oft kein Spass, sondern äusserlicher Zwang, der diese Entgrenzung einforderte. Bruder Niklaus Kuster zeichnet diese fünfhundertjährige Kapuziner-Geschichte der steten Aufbrüche und Veränderungen nach. Die beiden in der Schweiz geborenen Kapuziner Paul Hinder und Mauro Jöhri schildern ihre Erfahrungen mit dem Weltorden der minderen Brüder Kapuziner und der Weltkirche – neben der geschichtlichen auch eine geografische Entgrenzung. Der aus Indien stammende Guardian vom Kloster Wesemlin in Luzern, Bruder George Francis Xavier erzählt von kulturübergreifenden Erfahrungen im In- und im Ausland für jüngere Brüder. Tobias Rauser zeigt uns, was im deutschsprachigen Norden der Schweiz bei den Kapuzinern am Entstehen ist und vielleicht auch bald die Schweizer Kapuzinerprovinz beeinflussen könnte.
Doch die grössten Veränderungen des Chefredaktors in den kommenden Monaten sind noch ganz andere: Wohlverdiente Gestalter unseres Magazins sind pensioniert und wechseln in einen neuen Lebensabschnitt. Ich denke an unseren Redaktionsassistenten Stefan Rüde und unseren Grafiker Stefan Zumsteg. Für sie, die stets professionell und ruhig im Hintergrund gewirkt haben, ist dies die letzte ITE-Nummer, die sie gestaltet haben. Ende August wurde zudem unsere Redaktionsassistentin der Westschweiz, Nadine Crausaz, pensioniert. Die drei werden im Kaleidoskop würdig verabschiedet. ITE wird im 2025 in einer anderen Druckerei gedruckt und neue Personen werden das Magazin gestalten. Doch möchte ich hier Stefan Rüde, Stefan Zumsteg und Nadine Crausaz ganz herzlich danken für ihre oft mit Herzblut und Begeisterung getane Arbeit. Chapeau!!! Es war schön. Danke.

Gebären und gewahr werden; bewahren und erwägen

Predigt vom 25. Dezember 2024; Lukas 2,15-20

Das eine ist es «Ja» zu sagen, das andere dazu zustehen, es geschehen zu lassen, auch wenn es anders kommt, als frau oder man es vielleicht gedacht und erwartet hat. Solche Erfahrungen prägen das Leben, sei dies als zwischenmenschliche Erfahrung, sei dies als eine Erfahrung des Glaubens-Lebens. Die meisten unter uns haben schon vor Jahren, ja Jahrzehnten zu Menschen «Ja» gesagt, zu Aufgaben und Verpflichtungen «Ja» gesagt. Und immer wieder neu «Ja». Vielleicht hat sich das eine oder andere dieser «Ja» erfüllt, andere vielleicht verlaufen und wiederum andere fordern uns immer noch heraus, belasten uns.
Ein Kapuziner sagt zu einer Gemeinschaft «Ja», zu unterschiedlichen Aufgaben und vor allem zu Menschen. Auch sie, liebe Mitmenschen an der Krippe haben in ihrem Leben zu einigem «Ja» gesagt. Dabei weiss der Mensch zu Beginn oft, vielleicht meistens gar nicht, zu was sie oder er wirklich ja gesagt hat. «Wenn ich alles gewusst hätte, dann …» kann man manchmal hören. Manchmal geht das einem auch still durch den Sinn.
Die junge Frau Maria, eher noch Mädchen (?), hat Gott auch «Ja» gesagt. Gut, eine Klärungsfrage wurde ihr erlaubt, Zacharias wurde eine solche verübelt. Das «Ja» von Maria bedeutete neun Monate Schwangerschaft und dann eine Geburt unter erschwerten äusserlichen Bedingungen. In den vergangenen Tagen ging es in einem Roman, den ich hörte, um Geburts-Erfahrungen von einer Frau samt postnatalen Depression. Diese ist auch in der Schweiz heute keine Seltenheit: «Zwischen 15 und 20% der Frauen (je nach Studie) – demnach bis zu 16’000 pro Jahr – stürzt dieses sogenannt freudige Ereignis in die Krise: Sie erleiden eine postpartale Depression (umgangssprachlich auch oft als postnatale Depression bezeichnet oder als Wochenbettdepression bekannt).» https://postpartale-depression.ch/de/
Ach ja: «Auch Väter können daran erkranken, ca. 10% sind nach der Geburt ihrer Kinder von einer Depression betroffen.» In einem Interview mit einer Geburtshelferin las ich über Komplikationen bei der Geburt. Diese sind nicht zu unterschätzen. Dank einem Kaiserschnitt habe ich selber meine Geburt überlebt. In der freien Natur wäre ich vielleicht tot, vielleicht gar nicht zur Welt gekommen. Meine Nabelschnur hatte ich in meinem Bewegungsdrang um mich geschlungen. Gut, Menschen, die mich als kleinen Knopf kannten, staunen heute, wie ruhig und bedächtig ich geworden bin.
Maria, zu was allem hast du ja gesagt. Das heutige Tagesevangelium erzählt, wie Engel bei den Hirten waren und wieder gegangen sind. Die Hirten eilten darauf zu Maria und Josef und erzählten ihnen, was ihnen von den Engeln verkündet worden ist. «Maria aber bewahrte alle diese Worte und erwog sie in ihrem Herzen.» Nein, die junge Frau macht kein grosses Aufhebens: «Maria aber bewahrte alle diese Worte und erwog sie in ihrem Herzen.» Vermutlich hat sie das noch einige Male gemacht, während den 33 Jahren, die sie Jesus von Nazareth im Leben begleitet hat. Auch nach dessen Tod hat sie vermutlich noch viele Worte bewahrt und im Herzen bewogen.
Liebe Mitmenschen an der Krippe, auch wir haben in unserem Leben einige Worte mitbekommen, sie hoffentlich auch bewahrt und erwogen. Worte unserer persönlichen Geschichte mit Menschen und hoffentlich auch mit Gott. Hoffentlich durften wir immer wieder Staunen über das, was das Leben uns geschenkt hat. Vielleicht begleiteten uns ab und zu auch Depressionen und Verzweiflung. Und von Maria kennen wir einige Situationen, da sie wegen ihrem Sohn Jesus gelitten hat. Über allem steht jedoch der lebenspendende Gott und SEIN «JA» zum Geheimnis Leben. Und trotzdem, auch Maria hatte in ungewisser Situation «Ja» gesagt.
Und was mir dieses Jahr wichtig geworden ist an Weihnachten, fand ich im Text «Und Weihnachten geschieht!» von Andrea Schwarz: «Weihnachten kann man nicht machen – Weihnachten geschieht und wird und ist. Weihnachten – das ist das Geschenk Gottes an uns Menschen. Und Weihnachten ist und war und wird sein – egal, ob alle Fenster geputzt sind, wir alle Geschenke haben, die Weihnachtspost erledigt ist, es in den Geschäften keinen Lachs mehr gibt. … – Weihnachten geschieht.» (Aus: Eigentlich ist Weihnachten ganz anders. Hoffnungstexte).
Jahr für Jahr stehen, beten, meditieren wir mit Maria und Josef, den Hirten vor dem Kind in der Krippe. Wir lassen geschehen und erinnern uns an die Botschaft der Engel an die Hirten und deren Worte an Maria und Josef. Es ist dies auch eine Botschaft an uns und wir dürfen staunen, Kraft gewinnen für unser Leben, für unsere «Ja» zum Leben, zu Menschen und zu Gott. Und vielleicht begleitet uns in diesen Tagen der Vierschritt: Gebären und gewahr werden; bewahren und erwägen. Amen