Edito zu ITE 2024/4 Indonesien– Ein franziskanischer Rückblick
Als mir vor dreissig Jahren Br. Adjut Mathis (2023 gestorben) erstmals von seiner indonesischen Pfarrei und den vielen Gläubigen erzählte, da staunte ich. Vielleicht zwei Mal im Jahr konnte er die vielen Dörfer seiner Pfarrei besuchen. Und dazu war er stets weite Strecken auf dem Weg. Berühmt ist eine Foto des Missionars: Adjut sitzt lässig auf einem Töff, am Rücken trägt er eine Holzbränte und daran ist ein Velo festgezurrt. Solange die Strassen es erlaubten, fuhr Adjut mit dem Töff. Dann ging es zu Fuss oder mit dem Velo weiter.
Ähnliches höre ich im Moment von Br. Jakob Willi, der heute mit mir im Kloster Schwyz lebt. Sein Hauptverkehrsmittel war in Indonesien das Schiff. 2005 gehörten 226 Dörfer zu seiner Pfarrei. Sowohl bei Br. Adjut als auch bei Br. Jakob waren einheimische Katecheten, die vor Ort lebten und wirkten von sehr grosser Bedeutung.
Solche Seelsorge-Situationen scheinen eine Wirklichkeit für die Zukunft in Europa zu werden. In www.katholisch.de war am 6. Mai 2024 der Artikel «Anonym, aber notwendig: Über Sinn und Unsinn von Grosspfarreien» publiziert. Im Bistum Freiburg (DE) arbeitet man an einer Pfarreienreform, «die die Zahl der Einheiten dramatisch verringern soll: von 1000 Einzelpfarreien in 200 Seelsorgeeinheiten auf nur noch 36 Pfarreien ab 2026 – mit zum Teil über 100’000 Katholiken pro Pfarrei».
Ähnliche Fragen beschäftigen die Diözesen und die Landeskirchen in der Schweiz. Es fehlen Theologen und Theologinnen sowie Priester für die Seelsorge. Als Lösung erhofft man sich viele engagierte Freiwillige, die die Kirche in die Zukunft tragen. Vielleicht hilft uns der Blick nach Indonesien, Lösungen für schweizerische Pfarreien und Kirchenprobleme zu finden?
Als ich Br. Jakob nach seinen positiven Missionserfahrungen in Indonesien fragte, meinte er schmunzelnd, dass einer seiner grössten Erfolge als Missionar der Druck von Kirchengesangbüchern war. Viele wollten ein solches Buch – selbst wenn sie nicht lesen konnten – ergänzte er lachend. Überraschende und kreative Sichtweisen wünsche ich uns mit Blick auf die indonesische Kirche in dieser ITE-Ausgabe und dann eben solche Lösungen für die Schweiz.
Predigt vom 3. November 2024, Mk12,28-34; Dtn 6,2-6
«Und es trat zu Jesus einer der Schriftgelehrten, der zugehört hatte, wie Jesus und die Sadduzäer miteinander stritten. Als der Schriftgelehrte sah, dass Jesus den Sadduzäern gut geantwortet hatte, fragte er Jesus: Welches ist das höchste Gebot von allen?» So beginnt der Evangelist Markus das heutige Sonntagsevangelium bei Mk 12,28. Der Schriftgelehrte zeichnet sich durch Zuhören und Aufmerksamkeit aus. Das Streiten der anderen schreckt ihn nicht ab. Im Gegenteil. Darin liegt das gemeinsame Suchen. Gutes, offenes, ja verstehendes Zuhören ist dem Evangelist Markus ein Anliegen. Mehrmals kommt das in seinem Evangelium vor. Beispielsweise der Satz «Wer Ohren hat zu hören, der höre!» (Mk 4,9 und 4,23)
Das gute aufmerksame Hören ist in der jüdischen Spiritualität verankert. In der heutigen Lesung hörten wir das bekannte und wichtige «Schema IsraEL»: «Höre Israel» (Dtn 6,4). Oder einen Satz früher die Aufforderung von Gott an sein Volk: «Deshalb sollst du hören» (Dtn 6,3). Hören meint Aufmerksamkeit, Achtsamkeit und entsprechendes Handeln. Hören kann verändern. Wer hinhört weiss anschliessend oft mehr als vorher. Hören ist eine Haltung des Interessens, des Lernens und vor allem der Liebe.
Im heutigen Tagesevangelium kommt ein Schriftgelehrter zu Jesus, der hingehört hat und darum etwas von Jesus hören, wissen will. Dies weil er in Jesus von Nazareth Vertrauen und Achtung gefunden hat. Der Schriftgelehrte hat Fragen; er ist offen und empfänglich!
Bei solchen biblischen Texten müssen wir Christen und Christinnen aufpassen. Oft haben wir das Gefühl, dass Pharisäer, Sadduzäer und Schriftgelehrte Jesus nur Fangfragen gestellt haben, um ihn bloss zu stellen und ihn zu bekämpfen. Im heutigen Evangelium kommt der Schriftgelehrte zu Jesus, weil er diesen echt hören will und ihn etwas herumtreibt. Der Schriftgelehrte sucht Dialog und hört hin.
«Welches Gebot ist das erste von allen?» (Mk 8,28) ist die kurze und klare Frage. Der Schriftgelehrte weiss um die jüdischen 613 Gebote und Verbote der Tora. Er kennt die Schrift und gewiss auch das Schema IsraEL. Und der Schriftgelehrte will tiefer gehen und mehr verstehen. Er will seinen Glauben vertiefen. Er ist bereit hinzuhören. Jesus antwortet pointiert.
Der hörende und verstehende Schriftgelehrte denkt mit und weiter. Es geht nicht primär um Brandopfer und andere Opfer, sondern um die Gottes-, Nächsten wie Selbstliebe. Diese Antwort des Fragestellers und Weiterdenkers wird von Jesus kommentiert: «Du bist nicht fern vom Reich Gottes. Und keiner wagte mehr Jesus eine Frage zu stellen» (Mk 12,34).
Mir persönlich gefällt diese Erzählung aus dem Markusevangelium. Da finden zwei Hörende zum Dialog, ergänzen sich und finden zueinander und zu Gott. Sie haben sich gegenseitig bereichert und ihren Glauben genährt. Und auch die Umgebung spürt das und spielt mit. Wenn alles gesagt ist, dann ist Ruhe angesagt und diese wird nicht zerredet und gestört. Manchmal landet man beim gemeinsamen Schweigen vor Gott, auch eine Art Hören auf Gott hin. Da braucht es keine Worte mehr, sondern nur noch ein gemeinsames Hören und Verweilen bei Gott. Der menschlichen Worte waren genug, jetzt darf man gemeinsam auf Gott hören und handeln.
In den letzten Wochen fand der Abschluss eines langen und für viele Menschen intensiven Hörens und Austauschens der Weltkirche statt. Eine synodale Kirche hat auf Gott und auf ihre Getauften gehört. Die in Chur lehrende Theologin Eva Maria Faber meint: Auf der Weltsynode wurde über vieles diskutiert. Der Reformbedarf in der Kirche ist erkannt und wurde offen angesprochen. Umso mehr ist die Kirche in der Schweiz nun gefordert, die «weichen» Formulierungen des Synodendokuments in den konkreten kirchlichen Alltag auszubuchstabieren. Vgl. Redaktion kath.ch vom 28.10.2024.
Die Weltkirche hat nun auf das Leben der Ortskirchen und das Wirken des Geistes gehört und weitergedacht. Nun sind wir, die Kirche von Schwyz, dran auf die Weltkirche und unsere Lebensrealität zu hören und weiterzudenken. Da kann es immer wieder Perioden des gemeinsamen Schweigens und Suchens geben. Doch auch immer wieder neu ein Hören auf Gott, den Geist und seine Schöpfung hin. Und eben auch das richtige Handeln ist nicht zu vergessen. Dazu wünsche ich uns ein offenes Hören, das Schema IsraEL, Achtsamkeit und auch den heiligen Geist, der uns vorwärts treibt auf das Reich Gottes hin. Vielleicht hören wir dann Jesus Christus sagen: Ihr seid nicht fern vom Reich Gottes. Amen.
Perfektionismus ist ein Persönlichkeitsmerkmal, das in erster Linie durch sehr hohe Massstäbe, einer Rigidität der Massstäbe und einem leistungs-abhängigen Selbstwert charakterisiert ist, sagt Nils Spitzer. Vgl. Wikipedia, Perfektionismus (Psychologie). Nach meiner Einschätzung sind religiöse Menschen oft moralische Perfektionisten. Auch Franz von Assisi wusste dies und gab Gegensteuer. So ging der Heilige einen Monat auf die Isola Maggiore im Trasimenischen See meditieren und fasten. Doch nahm der Heilige ein Brot mit und begann vor dem Ende des Aufenthalts dieses Brot zu Essen. Dies aus Respekt vor Jesus von Nazareth. Denn Franziskus wollte Jesus mit dem vierzig Tage Fasten den Vortritt lassen. Der Heilige kannte Bescheidenheit in religiösen Dingen. Ein anderer hätte 41 Tage gefastet und sich gerühmt, länger als Jesus gefastet zu haben!
Eine weitere
Franziskus-Fastengeschichte erzählt, wie der Heilige mit Brüdern am Fasten war.
In der Nacht schrie ein Mitbruder vor Hunger auf. Franziskus hörte den
leidenden Mitbruder, stand auf und war der Erste, welcher das Fasten brach und
dem leidenden Mitbruder das Brot brach und zum Geniessen aufforderte.
Im heutigen
Tagesevangelium (Mk 10,17-30) begegnet Jesus einem Mann, der das ewige Leben
will. Dabei baut dieser auf eigene Leistung. Er hält Gottes Gesetze durch und
durch. Interessanterweise weist selbst Jesus das Gutsein zurück und verweist
auf Gott, der allein gut sei. Gutsein ist keine menschliche Leistung oder
Eigenschaft, die man sich durch das Beobachten von Geboten und Vorschriften
verdienen kann.
Jesus sieht
den Mann verstehend an und umarmt ihn. Jesus attestiert dem Mann, dass er
Gottes Gesetze auch wirklich erfüllt hat. Doch um solchen Perfektionismus geht
es im religiösen Leben nicht, oder vielleicht auch nicht zuerst. Dem Mann fehlt
die Solidarität mit den Menschen, mit den Armen. Das ewige Leben
verdient man nicht für sich selbst, sondern in Gemeinschaft mit Menschen, vor
allem mit den Menschen am Rande, mit denen die Leiden, mit denen, die nichts
haben. Der religiös perfekte Mann geht traurig von Jesus weg. Trotz seinem
ethischen Perfektionismus bleibt ihm das ewige Leben verwehrt, vielleicht auch
vordergründig verwehrt. Denn eben, Gott kann alles. Wer weiss das schon?
Die Jünger
bleiben bei Jesus und sind schockiert. Im Gegensatz zum nun enttäuschten Mann
wissen sie, dass sie auch schon versagt haben. Vor allem Petrus wird uns in den
Evangelien als kein perfekter Mensch geschildert. Er versteht Jesus nicht
immer, vor allem die gefährliche Reise nach Jerusalem nicht. Erinnern wir uns
an Markus 8,33: «Jesus aber wandte sich um und sah seine Jünger an und ermahnte
den Petrus ernstlich und sprach: Tritt hinter mich, Satan! Denn du denkst nicht
göttlich, sondern menschlich!»
Auch im
heutigen Tagesevangelium werden wir aufgefordert, denk göttlich und nicht
menschlich, lebe Nächstenliebe, Selbstliebe und Gottesliebe. Aber eben das ewige
Leben ist und bleibt ein Geschenk Gottes an den Menschen. Da helfen uns weder
unsere religiösen und moralischen Leistungen noch unser Geld, unser irdischen
Reichtum – und vor allem nicht diese in perfekter Reinkultur. Zuerst geht es
einmal um Solidarität und Dankbarkeit.
Und eben,
auch das gläubige Leben bringt wunderbare Früchte der Gemeinschaft und der
Solidarität: «Jetzt in dieser Zeit wird er Häuser, Schwestern und Mütter,
Kinder und Äcker erhalten, wenn auch unter Verfolgungen, und in der kommenden
Welt das ewige Leben.» Mk 10,30
Dazu braucht es keinen Perfektionismus und auch nicht die ihm zugehörige Angst alles richtig zu machen, sondern Freude und Gewissenhaftigkeit – als positiver Begriff an Stelle des Perfektionismus – im Tun. Und vor allem einen liebenden Gott im Himmel, der möglich macht, was uns Menschen unmöglich und vermutlich auch unvorstellbar ist. Amen.
Vom 1. bis zum 15. Oktober bin ich mit der Zürcher Telebibel unterwegs. Meine Impulse lassen sich vom Buch der Weisheit (Altes Testament) und dem Markus-Evangelium inspirieren.
Das griechische Wort «Theo-rie» heisst wörtlich «Gottes-schau». So sind wir gespannt, welche Entdeckungen uns das Buch der Weisheit machen lässt.
«Niemand ist gut, ausser Gott», so sagt es Jesus von Nazareth. Und glücklicherweise ergänzt er: «Für Gott ist alles möglich».
Die
Habsburger, die ursprünglich aus der Schweiz kommen, kannten eine getrennte
Bestattung. Nach dem Tod wurde der Körper vom Herz getrennt und an
unterschiedlichen Orten bestattet. Man ging damals davon aus, dass im Herz das
Zentrum des Menschen ist und dass im Herz der Ort der menschlichen Identität,
sein Willenszentrum liegt. Ohne Herz kein Leben. Deshalb hat man früher vom
Herztod gesprochen. Heute ist der Herztod keine verlässliche Todes-Indikation
mehr. Wir wissen es anders. Bei Herzoperationen kann das Herz stillgelegt und
durch Maschinen ersetzt werden. Später lässt man das Herz wieder arbeiten und
das Leben geht weiter. Ein stillstehendes Herz bedeutet nicht mehr den sicheren
Tod. Auch können Herzen transplantiert werden, ohne dass das neue Herz seine
Identität in den fremden Körper mitnehmen würde. Das Herz gilt nicht mehr als
das geheimnisvolle und unbekannte Zentrum des Menschen. Kardiologen und
Kardiologinnen haben das Herz als Organ erforscht.
Heute gehen
viele Menschen davon aus, dass das Hirn der entscheidende Ort des Menschen ist.
Deshalb wurde der Hirntod zu einer Indikation für Leben und Tod. Gibt es im
Hirn keine Energie mehr, dann ist der Mensch tot, so sagt diese Vorstellung. Ob
dem so ist und wann der Mensch wirklich tot ist, das ist eine schwierige,
medizinische und umstrittene Frage. Vor allem bei der Organtransplantation ist
diese Einschätzung wichtig. Wann ist der Mensch tot und wann darf man ihm
Organe entwenden. Eine knifflige Frage.
Es gibt
Menschen, die lassen sich einfrieren und hoffen, eines Tages wieder aufgetaut
und zum Leben erweckt zu werden. Und eben, heute gibt es Menschen, die es
ähnlich machen wie die Habsburger. Sie lassen den Körper beerdigen und
verwesen, aber den Kopf einfrieren und aufbewahren. Das Hirn müsste im neuen
Leben reichen, um wieder ins Leben zu kommen. Da sind die wichtigen Daten eines
menschlichen Lebens gespeichert, wie auf einer Computer-Festplatte. Der Körper
scheint austauschbar, wie in einigen Computerspielen, wo ein Spieler, eine
Spielerin mehrere Leben in unterschiedlichen Körpern leben kann. Aber das
Gehirn bleibt.
Wenn Jesus im
heutigen Tagesevangelium sagt, «von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen
die bösen Gedanken» usw., dann hat er die Vorstellung, dass das Herz den
Menschen ausmacht. «All dieses Böses kommt von innen und macht den Menschen
unrein». Jesus von Nazareth hat vor zwei tausend Jahren gelebt und gewirkt.
Dabei hat er sich mit seinen Worten in den damaligen Vorstellungen bewegt,
welche nicht mehr unsere sind. Damals war das Herz das Zentrum des Menschen.
Während dem
Studium der Erziehungswissenschaften hat einer meiner Psychologie-Professoren
Wert daraufgelegt, dass der Mensch auch in der Psychologie ein Geheimnis ist
und bleibt. Die Psychologie gibt Hilfen für die Analyse des Menschen und kann
manchmal Heilung bewirken. Aber sie belässt auch vieles offen und
unbeantwortet. Was den Menschen im innersten ausmacht, das lässt sie offen, das
ist und bleibt Geheimnis. Ein anderer Psychologie-Professor meinte jeweils,
dass diese Frage von den Theologen und Theologinnen beantwortet werden müsste. Für
uns Christen und Christinnen ist Gott ein Geheimnis – und sein Ebenbild, der
Mensch ist und bleibt auch ein Geheimnis, Gottes Geheimnis.
Aber wie
Jesus, kann die Psychologie einiges zu «bösen Gedanken, Unzucht, Diebstahl,
Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Hinterlist, Ausschweifungen, Neid, Lästerung,
Hochmut und Unvernunft» sagen. Doch lässt sich auch hier kritisieren: Ihr gebt
die Wahrheit (Gottes Gebot) preis und haltet euch an die Theorien
(Überlieferung) früherer Zeiten und vergangener psychologischer Grössen. Auch
heute müssen wir uns wie vor zweitausend Jahren fragen, was trägt noch und was
ist bloss Augenwischerei vergangener Zeiten. Was sind die Themen unserer Zeit?
Nicht
Äusserlichkeiten sagt Jesus. Ich würde in heutiger Sprache sagen, der Mensch
ist keine Maschine, sondern ein Geheimnis, das entscheidungsfähig ist, das oft
zwischen gut und böse unterscheiden muss, auch wenn es manchmal Zeit braucht
und Geduld, die Wahrheit und die echten Lösungen zu ergründen. Und auch heute
sind wir Menschen aufgefordert rein zu sein, vielleicht in unserer Sprache
gesagt, integer, vertrauens- und glaubwürdig, authentisch und wahr; konstruktiv
und mit Verantwortung für unsere Nächsten wie für uns selbst.
Ab dem ersten September, heute also, rufen die Kirchen zur Schöpfungszeit auf, die bis zum vierten Oktober, dem Franziskustag, dauert. Auch heute geht es um die zwischenmenschliche Verantwortung, wie sie Jesus von Nazareth im Tagesevangelium einfordert. Doch für uns Menschen heute kommen neue Themen und Sorgen hinzu. Wir haben plötzlich eine enorme Verantwortung für die Natur, Tiere und Pflanzen, für die ganze Erde in unseren Händen. Wir haben diesbezüglich eine enorme Kraft, auch Zerstörungsmacht entwickelt. Das ergibt eine neue Verantwortungen für unser persönliches, wie für unser christliches als auch gesellschaftliches Leben.
Wir sind gefordert uns für das Leben, für die Schöpfung Gottes stark zu machen. Dabei müssen wir – wie Jesus die Pharisäer und Schriftgelehrten auffordert – stets neu ergründen, was Gottes Wille sei. Oftmals tragen alte Antworten nicht mehr. Zu dieser Suche und immer wieder neu entdecken, wünsche ich uns Fantasie, die richtigen Ideen und gute Absichten; aber auch Freude mit Gott an seinem Schöpfungswerk teilzuhaben.
Predigt Mariä Himmelfahrt; 1 Kor 15,20-27a; Lk 1,39-56
Liebe Menschen, bei meinem Mitbruder Anton Rotzetter habe ich gelesen, dass man im Gebet und in der Frömmigkeit «Maria» mit «Mensch» ergänzen oder ersetzen darf. So feiern wir heute Mariä Aufnahme in den Himmel und dürfen uns mitdenken. Menschen werden in den Himmel aufgenommen – und ob Tiere, Pflanzen, ja die ganze Schöpfung im Himmel landen werden, ist theologisch zu erwarten, aber diese Fragen sollen nicht das Thema dieser Predigt sein.
Das heutige
Fest sagt also etwas über uns, unserer Zukunft und unserer Hoffnung aus. Auch
wir werden eines Tages bei Gott sein. Paulus formuliert dies den Korinthern
folgendermassen: «Denn wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle
lebendig gemacht werden.» Wie wir uns dieses Sterben und Auferstehen vorstellen
dürfen, bleibt ein Geheimnis – und das scheint mir gut so. Es kommt wohl viel
besser, als wir Menschen erahnen können.
Doch lassen
wir nun die Himmels-Spekulationen. Zum Glück holt uns der Evangelist Lukas im
heutigen Festtagsevangelium wieder etwas auf den Boden zurück und in die Gegenwart.
Er erzählt uns von der Begegnung von zwei schwangeren Frauen. Dabei sind sie
zweifach schwanger. Einerseits tragen sie verheissungsvolle Jungs in ihren
Bäuchen, andererseits sind sie vom Heiligen Geist erfüllt. Was für eine
hoffnungsvolle Begegnung im Bergland von Judäa!
Elisabet
ruft Maria den Segen zu, nimmt wahr, dass sie beide einen ganz speziellen
Moment erleben, und ehrt die jüngere Frau freudig.
Und Maria?
Man könnte sie direkt bei der «letzten Generation» anmelden und mit heutigen jungen
Menschen auf die Strasse schicken. Maria – nicht etwa fromm verzückt, wie man
es bei Heiligenbildern oft sieht – steht mit beiden Beinen auf dem Boden und
stellt im Namen Gottes die Welt auf den Kopf!
Gott «zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind; er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen.» Leider müsste ich mich da wohl eher bei den enttronten und leer ausgehenden einordnen.
Wie geht es Ihnen, liebe Menschen, mit solchen Worten, mit dieser Wucht von göttlicher Macht? Als junger Mensch war ich Fan vom Magnifikat. Bei der einfachen Profess war das Magnifikat das Fest-Evangelium und meine fünf Mitnovizen und ich waren gespannt, wie der Provinzial mit solchen Umsturzgedanken umgehen wird. Nun, er hat damals sein Amt nicht niedergelegt.
Gott «stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen.» Maria formuliert eine Umkehr der Verhältnisse. Kann es keine guten und menschenfreundlichen Mächtige oder Reiche geben? Schiesst da die junge begnadete Frau aus Nazareth nicht übers Ziel hinaus, wie es heute meines Erachtens auch die letzte Generation tut? Zerstörung bringt doch nicht aus sich heraus das Gute in die Welt? Revolutionen fressen ja bekanntlich auch ihre eigenen Kinder.
Müsste es nicht eher einen gerechten Ausgleich, denn einen gewaltvollen Umsturz geben. Können gewaltvolle Revolutionen die Welt verändern? Ich selbst vertraue heute auf gute und gerechte Prozesse – und da braucht es immer wieder neu Versöhnung und Vergebung im gemeinsamen Weitergehen. Darum habe ich früher das Magnifikat zum Beten oft umgeschrieben.
Und trotzdem beten wir Brüder jeden Abend im inneren Chor des Klosters: «Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind; er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen.» Dies immer kurz vor dem Nachtessen. Und dann gehen wir ziemlich gut genährten und zumeist satten Menschen zum Znacht und geniessen die feinen Gaben der Schöpfung. Manchmal gedenken wir der Hungrigen und beten für sie. Noch nie bin ich hungrig vom Nachtessen gekommen.
Maria, junge prophetische Frau, wie konntest du nur so radikal sein?! Wie hast du im Alter über Revolutionen und Umstürze gedacht? Was ging dir unter dem Kreuz durch den Sinn?
«Als Jesus
ausstieg, sah er die vielen Menschen und hatte Mitleid mit Ihnen.» Aussteigen,
sehen und Mitleid haben sind die drei Verben, die Jesu Handeln im
Markus-Evangelium motivieren. Und die drei passen meines Erachtens exakt zu
einem Ferien-Evangelium.
1. Aussteigen, das vertraute Schiff verlassen, das
können Ferien bedeuten. Ich werde frei für neue Begegnungen, für andere
Menschen. Dazu muss ich einen ersten Schritt tun. Dazu können Ferien auch
einladen.
2. Sehen, die Augen öffnen und wach hinsehen,
was sich da zeigt und sich vielleicht auch mir in den Weg stellt. Dazu braucht
es Musse und Zeit. Jesus sieht die vielen Menschen, die sich am Ufer tummeln.
Er nimmt sie wahr.
3.
Mitleid haben, was
bedeutet das? Ehrlicherweise habe ich nach einer einprägsamen und klaren
Antwort gesucht, diese aber nicht gefunden. Einerseits gibt es auch das Wort
Selbstmitleid – und das ist kein positives Gefühl.
In der
Theologie ist vielmehr der Begriff «Barmherzigkeit» von grosser Bedeutung. Diese
wird in den Weltreligionen mit Gott selbst in Verbindung gebracht – und im
Christentum kennen wir dann die sieben Werke der Barmherzigkeit.
Als
neutraler Begriff ist auch noch Mitgefühl zu nennen. Man kann sich Mitfreuen,
aber auch Mittrauern, je nach Situation.
Mit/Leid
besteht aus zwei Worten. Das «Mit» verbinden auf gleicher Ebene. Mitleiden kann
man nicht von oben herab. Bildhaft geht man in denselben Schuhen wie der andere.
Das «Leid» beschreibt negativ erlebte Gefühlsqualitäten.
Aussteigen, Sehen und Mitleid haben
ermöglichen Jesus eine Situation zu begreifen, zu erfühlen und dann der
Situation entsprechend zu handeln. Ich erinnere mich an einen Gebetsschluss von
Franz von Assisi:
«Gib mir,
Gott, das rechte Empfinden und Erkennen, damit ich deinen heiligen und
wahrhaften Auftrag erfülle. Amen.»
Sehen und
Mitleid haben, Erkennen und Empfinden laden zum Handeln ein. Und das tut dann
Jesus auch. Er nimmt die Menschen in ihren Leiden und Nöten wahr und gibt die
passende Antwort. «Und Jesus lehrte die Menschen lange.» Das war Jesu Antwort
auf die Not der Menschen, denen er am See begegnet ist, den Schafen ohne Hirten.
Vielleicht
können wir uns heute, diesen Sommer die Frage stellen, wenn wir Ferien machen,
aus unserem Trubel aussteigen und etwas Ruhe und Kraft finden, welche Menschen
sehen wir und zu welchem Handeln treibt uns unser Mitleiden? Und dann
entsprechend handeln.
Interessanterweise
spricht man heute nicht nur von Mitmenschen, sondern auch von Mitgeschöpfen
oder sogar der Mitwelt. Und auch mit Tieren beispielsweise kann man Mitleid
haben. Moderne Tier-Ethiken bauen gerne auf das Mitleiden mit vierbeinigen
Schwestern und Brüder auf.
Offene Augen
und die Fähigkeit zu echtem Mitleid, das wünsche ich uns in dieser Ferienzeit,
sowie viele weise Taten an den Ufern, die wir bereisen und besuchen. Und
vielleicht immer wieder das Gebet von Franziskus auf den Lippen:
«Gib mir,
Gott, das rechte Empfinden und Erkennen, damit ich deinen heiligen und
wahrhaften Auftrag erfülle. Amen.»
Vom 16. Juli bis zum 31. Juli 2024 bin ich wieder mit der Telebibel unterwegs. Gibt es denn für Jesus und die Jünger keine Ferien? Oder vielleicht Atempausen für die Jünger, weil Jesus aus Barmherzigkeit selber übernimmt? In diesen Tagen beschäftige ich mich mit Jeremia, Brief an die Epheser, Markus-Evangelium. Hier geht es zu den Predigten.
schenke mir Glauben, der öffnet (für die Gottes-, Nächsten-, Selbstliebe) Hoffnung, die trägt (in den Stürmen des Lebens und der Weltpolitik) Liebe, die sich solidarisiert und versöhnt
lass mich spüren und erkennen DEIN Reich am Kommen
In der mittelalterlichen Spiritualität nennt man es „ruminare“, wiederkäuen wie eine Kuh – und ein Franz von Assisi war ein Spezialist darin in seiner Kantemplation. Niklaus Kuster hat ein Gebet des Poverello übertragen und ich es in der Stille wieder und wieder verinnerlicht. Bevor ich zum Schweigen kam, entstanden obige Worte.
Predigt vom 23. Juni 2024; Ijob 38.1-11; Mk 4,35-41
Liebe Gottsucher, liebe Gottsucherinnen, das Buch Ijob hat mich von Jugend an begeistert. Da gibt es eine Rahmenerzählung und eingefügt Diskussionen von Hiob mit drei Freunden sowie Gottesreden.
Rahmen, erster Teil: Gott sitzt mit seinen Söhnen im Himmel und schaut glücklich auf die Erde hinunter. Gott hat Freude am gerechten und frommen Ijob. Da meint einer seiner Söhne, Satan genannt, dass Ijob nur so gottesfürchtig sei, weil er stets Glück habe und sehr reich sei. Gott solle doch mal Ijobs Besitz und Leben antasten; Ijob Unglück und Verderben bringen. Mal sehen, was dann passiert?!
Nachdem viel
Unglück über Ijob eingetroffen ist, gibt es auf Erden einen Dialog von Ijob mit
seinen Freuden. Diese wollen Ijob weise machen, dass er für sein Unglück selbst
verantwortlich sei. Ijob verneint vehement und beteuert seine Unschuld. Ijob
bleibt bei seiner Überzeugung und hat Glück, Gott wendet sich an ihn. Heute
hörten wir in der Lesung einen Teil dieser Gottesrede. Und Gottes Antwort zu
Ijob ist ganz anders als erwartet:
Ijob
28.8-11: 8 Wer
hat das Meer mit Toren abgesperrt, als es hervorbrach aus dem Schoß der Erde? 9
Ich war’s, ich hüllte es in dichte Wolken, als Windel
gab ich ihm den dunklen Nebel. 10 Ich gab ihm seine vorbestimmte Grenze,
schloss es mit Tor und Riegel sicher ein. 11 Ich sagte ihm: ›Bis hierher und nicht weiter! Hier hört der Hochmut deiner Wellen auf!‹
Gott
beschuldigt Ijob keiner Vergehen. Gott erklärt das Leid nicht und gibt auch
keine Begründung dafür. Nein, Gott verweist auf seine Schöpfung, seine
Schöpfermacht und wie er alles geordnet und begrenzt hat. Sie ist und bleibt in
seinen Händen. Doch auf die Frage des «Warum» erhält Ijob keine Antwort. Gott
ist dem Menschen keine Antworten schuldig, aber er versichert ihm, dass er
allem gebietet und für das Leben einsteht!
Im Tagesevangelium erhalten wir eine ähnliche Antwort durch Jesu Verhalten und Handeln. Jesus liegt auf einem Kissen und schläft im heftigen Wirbelsturm. Die verzweifelten Jünger wecken Jesus.
Mk
4,39-40: 39 Jesus
stand auf, sprach ein Machtwort zu dem Sturm und befahl dem tobenden See:
»Schweig! Sei still!« Da legte sich der Wind und es wurde ganz still. 40 »Warum habt ihr solche Angst?«, fragte Jesus. »Habt ihr denn immer noch kein
Vertrauen?«
Auch Jesus gebietet den zerstörerischen Gewalten, erklärt den Jüngern den Sturm oder die Gefahr nicht. Er zeigt ihnen, dass auch Wind und heftiger Wirbelsturm in seiner Verfügungsgewalt sind. Angstlos schläft er und vertraut dem Leben, dem Wirken und Gebieten Gottes.
Die Praxen von Psychologen sind heute überlastet. Kriege und Umweltängste belasten uns, machen Angst und fordern uns heraus. Antworten dazu gibt es von Gott her keine. So erging es auch Ijob und Jesu Jüngern. Die Gefahren sind real und werden uns nicht erspart oder weggenommen. Aber wir sind aufgefordert Gottes Wirken zu vertrauen; zu glauben, dass Gott über die Schöpfung, Menschen, gefahrvolle Mächte verfügt und alles in seinen «Händen» hält.
Gewiss sind wir auch gefordert unsere Verantwortung dem Leben, der Schöpfung gegenüber wahrzunehmen, unseren ökologischen Fussabdruck zu beachten wie auch für Gerechtigkeit und Frieden einzustehen. Im Buch Ijob hat Gott gefallen am gerechten Tun und frommen Verhalten des Ijob. Und trotzdem erhält Ijob – zumindest auf Erden – keine Antwort auf die Frage nach seinem Unglück und seiner Trauer. Sie sind Teil seiner Lebensrealität.
Obwohl wir vielleicht wie Ijob vieles richtig machen, kann es sein, das Unglück uns verfolgt und Leiden uns begleitet. Aber auch in solchen Situationen dürfen/müssen wir auf Gottes Macht und Wirken vertrauen. Gott ist auch auf Erden der Gebieter und nicht nur im Himmel. Wie schon Ijob oder die Jünger Jesu – verstehen können und müssen wir Gott nicht. Wir dürfen aber auf die Angst verzichten, auf Gott Vertrauen und an Jesu Rettung/Erlösung glauben. Habt ihr noch keinen Glauben? Nein, nicht wirklich, solcher Glauben ist schwer.
Ps: Es gibt nicht nur die Erfahrung von Leid und Unglück, es gibt auch die Erfahrung von Schönheit, unerwartetem Glück sowie von Liebe.
Aktuell: Es gibt nicht nur die Erfahrung von Überschwemmungen und Zerstörung durch Naturgewalten; es gibt auch die Erfahrung von erfrischendem Wasser, von lebenspendendem Wasser. Und es gibt das wachsende Wissen, dass wir wegen Überbauungen und einseitiger Landwirtschaft dem Wasser keine Möglichkeit geben, zu sickern und so langsam abzufliessen. Naturgewalten können vom Menschen provoziert wie auch teilweise gezähmt werden.
Ach ja, das Buch Ijob erzählt am Schluss, nach all dem erlittenen Leid, Hiob 42,10-17: 10 Der HERR wendete das Geschick Ijobs, als er für seinen Freund Fürbitte einlegte, und der HERR mehrte den Besitz Ijobs auf das Doppelte. 11 Da kamen zu ihm alle seine Brüder, alle seine Schwestern und alle seine früheren Bekannten und speisten mit ihm in seinem Haus. Sie bezeigten ihm ihr Mitleid und trösteten ihn wegen all des Unglücks, das der HERR über ihn gebracht hatte. Ein jeder schenkte ihm eine Kesita und einen goldenen Ring. 12 Der HERR aber segnete die spätere Lebenszeit Ijobs mehr als seine frühere. Er besaß vierzehntausend Schafe, sechstausend Kamele, tausend Joch Rinder und tausend Eselinnen. 13 Auch bekam er sieben Söhne und drei Töchter. 14 Die erste nannte er Jemima, Turteltaube, die zweite Kezia, Zimtblüte, und die dritte Keren-Happuch, Schminkhörnchen. 15 Man fand im ganzen Land keine schöneren Frauen als die Töchter Ijobs. Ihr Vater gab ihnen Erbbesitz unter ihren Brüdern. 16 Ijob lebte danach noch hundertvierzig Jahre und er sah seine Kinder und Kindeskinder, vier Generationen. 17 Dann starb Ijob, hochbetagt und satt an Lebenstagen.