Wiederkäuen – ein Gebet

DU
lichtvoll
lichte mich
locke mich

schenke mir
Glauben, der öffnet (für die Gottes-, Nächsten-, Selbstliebe)
Hoffnung, die trägt (in den Stürmen des Lebens und der Weltpolitik)
Liebe, die sich solidarisiert und versöhnt

lass mich spüren und erkennen
DEIN Reich am Kommen

In der mittelalterlichen Spiritualität nennt man es „ruminare“, wiederkäuen wie eine Kuh – und ein Franz von Assisi war ein Spezialist darin in seiner Kantemplation. Niklaus Kuster hat ein Gebet des Poverello übertragen und ich es in der Stille wieder und wieder verinnerlicht. Bevor ich zum Schweigen kam, entstanden obige Worte.

Einladung abgelehnt

Predigt vom 15. Oktober 2023: Jes 25,6-10a; Mt 22,1-14

Welch eine Wucht, mit der Jesaja hier auffährt: «für alle Völker ein Festmahl … der Tod wird beseitigt … An jenem Tag wird man sagen: Seht das ist unser Gott, auf ihn haben wir unsere Hoffnung gesetzt, er wird uns retten»! (Jes 25,6-10a) Solche Worte mag ich sehr und solche Hoffnung wünsche ich mir, Tag für Tag. Es ist dies eine Vision für die Zukunft und ich wünschte, sie würde heute werden. Komm Gott, rette uns!

Und was mir hier zusätzlich auffällt. Gott handelt und nicht ich. Gott ist die Hoffnung, nicht ich oder andere Heilsbringer. Es ist der eine Gott, der für alle Völker einsteht, und so für alle Völker. Nein, nicht ich muss der Welt das Heil bringen. Das darf ich im Glauben getrost Gott überlassen. Er übernimmt die Vollendung der Welt, wie auch jedes einzelnen von uns. Und da meint Jesaja nur noch: «Wir wollen jubeln und uns freuen über seine rettende Tat.»

Auch das Jesus-Gleichnis nimmt das Bild des Mahles auf und führt den Text des Jesaja weiter und situiert diesen geschickt in unserem Alltag, nicht in die Zukunft, wie dies Jesaja tut. Das Mahl ist im Gleichnis bereitet und die Gäste werden eingeladen. Doch welch eine Enttäuschung für den Einladenden!

Die Geladenen «kümmerten sich nicht darum, der eine ging auf seinen Acker, der andere in seinen Laden, wieder andere fielen über seine Diener her, misshandelten sie und brachten sie um.» (Mt 22,5-6) Ja, mein Alltag ist voll und der Aufgaben und Pflichten viele. Manchmal frage ich mich auch, ob es auch die Gewohnheiten sind, die den Tag ausfüllen und mir so den Blick auf das Heilige, auf Gottes schöpferische Wirken verstellen. Es muss doch so und so sein. Das müsste auch noch erledigt werden. Nein, Menschen haben darin oft keinen Platz mehr. Lade ich mich manchmal nicht selbst vom Fest des Lebens aus? Lasse ich Gott und seinen heiligen, belebenden Geist an mir vorbeiziehen?

Mit der Kurzfassung vom Evangelium könnten wir hier hören und hätten meines Erachtens schon vieles für unseren Alltag mitbekommen. Hoffnung auf Gottes Retten, und Aufmerksamkeit für Gottes Wirken im Alltag wären die beiden Punkte, die wir für die kommende Woche mitnehmen könnten: Hoffnung auf Gottes Retten und Aufmerksamkeit für Gottes Wirken.

Die Verse 11 bis 14 bei Matthäus 10 haben mich zuerst geärgert und so wollte ich diese weglassen. Der Vers 10 hat ja schon ein wunderbares Happy-End:

«Die Diener gingen auf die Strasse hinaus und holten alle zusammen, die sie trafen, Böse und Gute, und der Festsaal füllte sich mit Gästen.» Jetzt könnte das Gelage von Jesaja doch beginnen?!

Wieso nun noch eine Negativschlaufe im heutigen Tagesevangelium? «Mein Freund, wie konntest du hier ohne Hochzeitsgewand erscheinen?» Warum muss nun das harmonische Mahl noch gestört werden. Auch für die Zurückbleibenden bleibt doch ein schaler Geschmack zurück. Da gibt es am Ende einen Ausgeschlossen, einen Hinausgeworfenen!

Stichwort für den Rauswurf ist das Hochzeitsgewand. Gäste sollen an die Feier nicht kommen wie im Alltag. Sie sollen wissen und ausdrücken, dass da etwas Spezielles, Heiliges geschieht. Im ersten Teil des Gleichnisses haben wir gesehen, dass die Geladenen nicht ans Mahl gehen, weil die täglichen Aufgaben und Sorgen des Alltages vom gemeinsamen Mahl ablenken. Vielleicht nimmt die zwei Rauswurf-Schlaufe dieses Thema auf und verdeutlicht. Gottes Begegnung reisst aus dem Alltag heraus und führt in eine spezielle, heilige, transzendente Begegnung mit IHM. Da wird und ist alles anders. Da ist eben nicht mehr nur Alltag. Da wird der Alltag überstiegen, transzendiert.

Mir kommen eigene erhebende Gottesbegegnungen, Gipfelergebnisse in den Sinn und auch mystische Erfahrungen. Da muss man sich herausreissen lassen und andere Werte, Gottes überraschende Gegenwart zulassen. Da gilt die Liebe, Harmonie, Versöhnung, Gottes erfahrbare Wirklichkeit. Franz von Assisi hat das in der Begegnung mit Aussätzigen erlebt, andere Heilige im Gebet, in der Meditation oder in der Liturgie. Wenn ich an viele Kapuziner-Heilige denke, dann sind das Erfahrungen an der Pforte, beim Betteln oder auch im Beichtstuhl. Im Tun des Guten wird das Bittere süss, würde Franziskus sagen.

Lassen wir uns von Gott einladen zu seinem Mahl und ziehen wir dazu unsere Hochzeitskleider an. Geniessen wir die göttlichen «Mähler». Und es wird dies nicht nur eine persönliche Erfahrung sein. Jesaja verheisst uns am Ende eine umfassende, erlösende und offenlegende Erfahrung für alle:

«6 Auf diesem Berg aber wird der HERR der Heerscharen allen Völkern ein fettes Mahl zubereiten, ein Mahl mit alten Weinen, mit fettem Mark, mit alten, geläuterten Weinen. 7 Und verschlingen wird er auf diesem Berg die Hülle, die Hülle über allen Völkern, und die Decke, die über alle Nationen gedeckt ist.»

Und Jesus zeigt uns, dass das Reich Gottes schon in unserem konkreten Leben Einzug halten will. Ziehen wir also unsere Hochzeitskleider an. Lasst uns einladen und Zeit haben für Menschen, Gott und sein Wirken. Und da darf dann auch gefeiert werden. Immer wieder und am Ende der Tage. Amen!

Vom Glauben erzählen

Predigt zum Welttag der sozialen Kommunikationsmittel

Für heutige Christen und Christinnen ist ein Buch, nämlich die Bibel mit dem Alten und Neuen Testament für den Glauben sehr wichtig. Dem war nicht immer so. Das Christentum ist heute eine sogenannt sekundäre Buchreligion. Unser heiliges Buch, die Bibel, wurde von vielen Menschen – von Gott inspiriert – aufgeschrieben. Doch ist nicht Gott selbst der Schreiberling, sondern Menschen sind mit ihren Glaubens-Erfahrungen die Autoren der Bibel. Bei primären Buchreligionen wäre die Heilige Schrift von Gott selbst aufgeschrieben worden.

Jesus von Nazareth kannte noch kein heiliges Buch, geschweige denn eine Bibel. Auch seine Jünger nicht. In der Synagoge wurde aus Rollen vorgelesen, vor allem die fünf Mose-Rollen sowie einige Rollen mit Prophetenbücher waren damals in der Synagoge von grosser Bedeutung. In den Evangelien wird uns ein Jesus gezeigt, der mit Menschen diskutiert und von seiner engen Beziehung mit Gott erzählt. «Denn die Worte, die du mir gabst, habe ich ihnen gegeben und sie haben sie angenommen», so hörten wir im Tages-Evangelium (Joh. 17,8). Jesus von Nazareth kommunizierte vor allem mit Worten sowie Taten und zitierte ab und zu ein Wort aus den Schriften, Rollen. Dabei scheinen es zumeist nicht langweilige Monologe gewesen zu sein, sondern oft heisse Diskussionen, Streitgespräche. Und nicht zu vergessen sind Jesu Taten, Hungrige speisen, Kranke heilen, Sünden vergeben, usw… Davon haben sich die Menschen erzählt.

Die Urgemeinde, wie wir sie in der Apostelgeschichte hörten, verharrte einmütig im Gebet (Apg. 1,14) und erinnerte sich an den verstorbenen und in ihrem Glauben auferstandenen Jesus Christus. Bücher kannten sie keine, schon gar nicht eine Bibel, wie christliche Kirchen sie heute hochhalten. Die Urchristen lebten Bibel-los. Mit der Zeit gab es Briefe zu lesen, die von Paulus und Co. geschrieben wurden. Später Evangelien usw. Noch später wurde kanonisiert.

Interessanterweise lebten die Christen und Christinnen im Mittelalter lange ziemlich Buch- und Bibel-los. Ja, bis ins 12. Jh. war es Laien verboten in der Bibel zu lesen. Zur Zeit eines Franz von Assisi, im 13. Jahrhundert, kostete eine damals noch handgeschriebene Bibel gleich viel wie ein Landwesen eines Adligen und selbst Klöster hatten nicht für jeden Mönch eine Bibel, wenn überhaupt. Alle nicht steinreichen Menschen sowie so nicht.

Apostel und Menschen des Mittelalters haben sich an Jesus von Nazareth erinnert und erzählt, Bilder betrachtet, selten gelesen. Zur Zeit eines Franz von Assisi wurden im Gottesdienst Bibelstellen vorgelesen, doch hatten Pfarrer kaum vollständige, handgeschriebene Bibelausgaben. Das wäre zu teuer gewesen. Erst mit dem Buchdruck konnten Bücher gedruckt werden. Normale Menschen lernten jedoch oft erst im 19. Jahrhundert lesen.

Nachdem im letzten Jahrhundert Radio und Fernsehen unsere Kultur sehr geprägt haben, hat sich nach 2007 mit dem Beginn des Smartphone Zeitalters einiges geändert. Radio und Fernsehen sind lineare Medien. Einer oder wenige erreichen mit ihre Botschaft viele Menschen, die nicht antworten können. Im Smartphone Zeitalter ist Interaktion zwischen vielen Menschen möglich. In Chatgruppen kann diskutiert und kommentiert werden. Einige haben mehr Erfolg gehört zu werden, andere weniger. Die soziale Kommunikation, wie man das heute nennt, kennt viele Wege und viele Arten von Kommunikation, auch von Glaubenskommunikation. Und auch die Kirchen, Kirchgemeinden und einzelne Gläubige sind aktiv und versuchen sich Gehör zu verschaffen im Markt der Religionen.

Oft wird auf religiösen Plattformen der sozialen Kommunikationsmittel an Jesus von Nazareth und an die Urchristen erinnert. Die religiöse Erfahrung der Menschen und nicht Geschriebenes, Bibel oder Dogmen stehen im Zentrum dieser Kommunikation. Christliche Influencer und Influencerinnen erzählen von ihrem Leben, ihrer Gottesbeziehung und ihrem Handeln. «Gott hat in meinem Leben gewirkt, und wie!» das scheint mir oft deren Credo. Für Kirchen gibt das einerseits Chancen, andererseits werden sie für ihre menschlichen und institutionellen Versagen auch an den Pranger gestellt. Denn auch Übergriffe werden ungefiltert und ungeschönt erzählt und kommentiert.

Erfolg ist in den sozialen Kommunikationsmittel weniger planbar und für Kirchen auch herausfordernd. Ein theologisches Diplom oder eine kirchliche Beauftragung bedeutet noch keine Breitenwirkung in den sozialen Medien. Denn die ZuhörerInnen oder der Markt der Aufmerksamkeit entscheiden über Erfolg und Misserfolg in der Verkündigung. Wirst du gepostet, gelikt oder eben nicht.

Und in all dem ermutigen mich das heutige Tagesevangelium und die Lesung. So oder so geht es zuerst nicht um Medien und Kommunikationsmittel. Zuinnerst meint Glauben eine echte und tragende Gottesbeziehung sowie das Gebet; manchmal alleine, manchmal in Gemeinschaft. Und diese Erfahrungen können kommuniziert werden. Sei das in Worten, Schriften, sozialen Kommunikationsmitteln und vor allem in Taten.

Im Zentrum stehen Menschen und deren religiösen Erfahrungen. Zuvorderst einmal ein Jesus von Nazareth, dann viele Menschen, die glaubhaft von ihrem Glauben Zeugnis geben. Und das lieber in Taten, denn in vielen Worten. Aber eben, auch Jesus von Nazareth hat in seiner Welt durch Heilungen, Vergebungen, Versöhnungen und spannende Geschichten / Gleichnisse gepunktet. Damals und heute wird vor allem über gute und religiös motivierte Taten erzählt, sei das mündlich in der Familie, am Arbeitsplatz oder eben in den sozialen Medien. Und auch kirchlich-religiöse Menschen haben das begriffen, auch Papst Franziskus oder Bischof Joseph von Chur. Zuerst geht es einmal um gute Taten, Nächstenliebe – dies auch für eine zerbeulte Kirche.

Amen.

Barmherzigkeit erweisen

Sonntag der Barmherzigkeit; 1. Petrus 1,3-9; Joh 20,19-31

«Selig sind, die nicht sehen und doch glauben» sagt Jesus im Johannes-Evangelium. Gehören Sie, liebe Menschen, zu den Seligen oder zu den ungläubigen Thomassen? Nun, bei mir hat es sich wohl etwas verändert. Mit dem Alter bin ich ruhiger und vorsichtiger geworden. Ich erinnere mich, als ich als junger Mann mit einer Psychologin telefonierte. Sie fragte mich plötzlich: «Sind Sie Theologe?». Etwas verdattert antwortete ich «Ja». Und fragte, wieso sie auf diese Frage komme. Sie meinte, dass Theologen stets nach dem «Warum?» fragen. Sie versuchen den Glauben zu verstehen. Ertappt also.

Als Theologe habe ich Vieles an Glaubens-Wissen gelernt, doch auch gemerkt, dass Glauben und Glaubenswissen nicht dasselbe ist. Glaubens-Wissen ist rational und nüchtern. Der schwärmerische Glauben war und ist nicht meine Sache. Ja, allzu kurze und bestimmte Glaubens-Bekenntnisse stossen mich ab. Die Andersartigkeit Gottes und Sein Geheimnis müssen für mich gewahrt bleiben. Gott ist kein Gegenstand, den man besitzen und wissen kann!

Der Apostel Thomas ist kritisch, aber er verweigert sich dem Glauben nicht. Er sagt nicht vorschnell, «Gott gibt es gar nicht» oder einfach «Jesus ist nicht auferstanden». Aus einer Nicht-Erfahrung kann und will er kein Nicht-Möglich machen. Er überlegt und formuliert, was er bräuchte, damit er Jesu Auferstehung glauben könnte. Interessanterweise will er keinen Heiligenschein, kein Wunder sehen, sondern die Wunden des Gekreuzigten. Nicht etwas Jenseitiges, himmlisches, sondern etwas ganz Irdisches, echt menschliches: «Wenn ich nicht das Mal der Nägel und meine Hand nicht in seine Hände lege, glaube ich nicht», sagt er.

Nicht irgendetwas fantastisches, schwärmerisches, weltfremdes, billiges wird Theologen, Realisten und nüchternen Menschen angeboten. Im Gegenteil, der Blick auf Leid, auf Ungerechtigkeit lässt den Glauben wachsen. Mit dem Blick auf Wunden, Schmerz wird das Leben echt und tiefgründend. Da muss nichts beschönigt werden. Jesus von Nazareth hatte schon in seinem Wirken diesen speziellen Blick. Darum konnte er in seinem Leben Wunden heilen und Schuld vergeben, versöhnen. Es stimmt, Jesu erstes Wunder war das Wandeln von Wasser in Wein. Feiern und glücklich sein konnte Jesus auch. Trotzdem, die Evangelien erzählen nicht primär vom Feiern, sondern von Jesu Blick für das Verwundete, Verletzte, Gestörte, sowie von seinem heilvollem Handeln und Wirken in seiner Umgebung.

Für viele Menschen ist der Glaube vermutlich eine innere Gewissheit, die langsam wächst. Ich erinnere mich an einen Buchtitel, der hiess: Glaube ist eine Pflanze, die wächst. Und dieses Glaubens-Wachsen begleitet mich seit meiner Jugend. Und es gibt Momente, wo ich richtig glücklich bin, festzustellen, dass auch mein Glaube in all den Jahren gewachsen und gediehen ist. Alles Gnade!

Diese Sichtweise lernte ich bei Franz von Assisi. Sein stetes Gehen zu den Aussätzigen vor der Stadt, liess ihn zum Glauben, zum inneren Wandel seines Herzens finden.

Franziskus schreibt in seinem geistlichen Testament:

So hat der Herr mir, dem Bruder Franziskus, gegeben, das Leben der Buße zu beginnen: denn als ich in Sünden war, kam es mir sehr bitter vor, Aussätzige zu sehen. 2Und der Herr selbst hat mich unter sie geführt, und ich habe ihnen Barmherzigkeit erwiesen. 3Und da ich fortging von ihnen, wurde mir das, was mir bitter vorkam, in Süßigkeit der Seele und des Leibes verwandelt. Und danach hielt ich eine Weile inne und verließ die Welt.

Franz von Assisi, Testament

Die Umkehr «in Süßigkeit der Seele und des Leibes» gelingt dem Heiligen durch seine Begegnungen mit den Aussätzigen seiner Zeit. «Barmherzigkeit erweisen» nennt er seine Art des Heilens und Vergebens. Durch sein Tun und Leben wird Franziskus fähig eine begrenzte Weltsicht zu verlassen und gewandelt. Auch uns wünsche ich in dieser Osterzeit diese stete Wandlung in Gott hinein. Dies mit offenen Sinnen für die Not unserer Mitmenschen, unserer Mitwelt, mit tätigen Händen und liebendem Geist für alle Not um uns herum, damit wir die Enge unserer kleinen, begrenzten und ängstlichen Welt verlassen und uns öffnen für das österliche Heil und Leben, für die «Süßigkeit der Seele und des Leibes». Amen.