Ein vollkommen neues Feuer

Aus ITE 2025/1; Feuer: geliebt – gedeutet – gefürchtet

Die Liturgie der Osternacht lebt vom Entzünden des Osterfeuers, das wiederum als Start für weitere Handlungen dient. Interessanterweise wurde früher an einigen Orten das Feuer durch das Schlagen von Steinen entfacht. Damit sollte deutlich gemacht werden, dass mit dem Osterfeuer etwas ganz Neues entsteht. Da wird nicht nur – wie beim Olympischen Feuer – das brennende und lebendige Licht weitergetragen und weitergegeben. Nein, beim Steinschlagen entsteht ein neuer Funke und ein neues Feuer. Es ist dies ein Zeichen der Auferstehung, eines wahrlich neuen Anfangs. Es ist dies nicht bloss Übergang oder das neu entfachen einer Glut.


Die Jahreszeiten sind ein Symbol des Werdens, Vergehens und wieder neu Werdens.


In unseren Breitengraden kennen wir vier – auf einander folgende – Jahreszeiten. Auf das Absterben des Herbstes und den Tod des Winters kommt bei vielen Pflanzen das Neu-Werden des Frühlings. Es ist ein Bild des Kommens und Gehens. Selbst Menschen erleben manchmal einen weiteren, zweiten Frühling und handeln entsprechend. Die Jahreszeiten sind ein Symbol des Werdens, Vergehens und wieder neu Werdens.


Mit der Auferstehung feiern Christen und Christinnen ein echtes und einmaliges Neu-Werden in Jesus Christus: Sterben, Tod und Auferstehung.

Es geht nicht um das Gleiche im Alten, sondern um eine echte Neu-Schöpfung, um ein neues Werden. Ostern zeigt nicht die Fruchtbarkeit des Frühlings nach dem Winter, sondern das neue göttliche Leben nach dem Tod. Zuerst einmal für den verstorbenen Jesus von Nazareth, dann aber auch für alle Menschen, für die ganze Schöpfung, Erde und Himmel. Darin liegt die Hoffnung für uns Christen und Christinnen.


Weg von Draussen nach Drinnen
Normalerweise wird das Osterfeuer draussen, vor der Kirche, angezündet. Es ist dies ein sinnlicher und stiller Moment, wie er in der Liturgie eher selten vorkommt. Man steht im Kreis um das Feuer, an der Kälte sowie in der Dunkelheit, und sieht die ersten Funken springen. Die Gläubigen warten, bis das Feuer richtig brennt. Dieser Vorgang kann kaum beschleunigt werden – und wer dies mit Petroleum versuchte, würde sich selbst disqualifizieren. Die Gemeinschaft schweigt und hört dem Knistern der Holzscheite zu. Dunkelheit und Kälte können sich ausbreiten – das gilt auch für das Feuer. Licht und Wärme breiten sich nun aus.
Wenn alles Holz brennt und lodert – das Osterfeuer soll die dunkle Nacht erleuchten! –, wird das Feuer gesegnet und die Osterkerze daran entzündet. An der brennenden Kerze entzünden die Mitfeiernden ihre eigenen Kerzen. Anschliessend wird die Osterkerze mit dem Ruf «Licht Christi» in die möglichst dunkle Kirche getragen. Was nützt eine Kirche, wenn sie nicht vom Licht Gottes erhellt wird?! Die brennende Osterkerze symbolisiert Christus als Licht für die Menschen und die Welt.


Vom Frühlings- zum Osterfeuer
Das Christentum ist nicht im religionsfreien Raum entstanden. Und es ist nicht nur das Judentum, welches das Christentum und seine Feiern geprägt hat. Im Judentum sind mehrarmige Leuchter von grosser Bedeutung. Der siebenarmige Leuchter ist eines seiner wichtigsten religiösen Symbole. Für das achttägige Lichterfest wird ein acht- oder neunarmiger Leuchter verwendet. Im Christentum ist die Osterkerze in Rom seit dem fünften Jahrhundert nachgewiesen.
Christliche Missionare nahmen den germanischen Brauch des Frühlingsfeuers auf und integrierten das Osterfeuer in die christliche Liturgie.
Zu Ehren Wodans, des Hauptgottes in der nordischen und kontinentalgermanischen Mythologie, wurden Frühlingsfeuer entzündet. Wodan ist der bestbezeugte Gott bei den germanischen Stämmen und Völkern der Wanderungszeit. Christliche Missionare nahmen vermutlich diesen Brauch auf und integrierten im achten Jahrhundert das Osterfeuer in die christliche Liturgie. Seit dem zehnten Jahrhundert kennt man Segensgebete für das Osterfeuer.

Brüderlichkeit ohne Grenzen

Edito zu ITE 2024/5

Das Mittelbild von ITE zeigt diesmal Kapuziner auf einem Baugerüst. Ja, eine Brüdergemeinschaft ist eine stete Baustelle. Einerseits muss immer wieder renoviert und saniert werden. Doch manchmal braucht es mehr. Dann muss abgerissen oder aufgebaut werden. Das ist auch der Lauf der menschlichen Geschichte. Jeder und jede von uns kennt unterschiedliche Lebensalter und am Ende den Tod – für Christen und Christinnen die Hoffnung auf die ungetrübte Gegenwart Gottes.
Auch die Schweizer Kapuziner haben sich seit Beginn stets verändert und sich neuen Situationen angepasst. Dabei war es oft kein Spass, sondern äusserlicher Zwang, der diese Entgrenzung einforderte. Bruder Niklaus Kuster zeichnet diese fünfhundertjährige Kapuziner-Geschichte der steten Aufbrüche und Veränderungen nach. Die beiden in der Schweiz geborenen Kapuziner Paul Hinder und Mauro Jöhri schildern ihre Erfahrungen mit dem Weltorden der minderen Brüder Kapuziner und der Weltkirche – neben der geschichtlichen auch eine geografische Entgrenzung. Der aus Indien stammende Guardian vom Kloster Wesemlin in Luzern, Bruder George Francis Xavier erzählt von kulturübergreifenden Erfahrungen im In- und im Ausland für jüngere Brüder. Tobias Rauser zeigt uns, was im deutschsprachigen Norden der Schweiz bei den Kapuzinern am Entstehen ist und vielleicht auch bald die Schweizer Kapuzinerprovinz beeinflussen könnte.
Doch die grössten Veränderungen des Chefredaktors in den kommenden Monaten sind noch ganz andere: Wohlverdiente Gestalter unseres Magazins sind pensioniert und wechseln in einen neuen Lebensabschnitt. Ich denke an unseren Redaktionsassistenten Stefan Rüde und unseren Grafiker Stefan Zumsteg. Für sie, die stets professionell und ruhig im Hintergrund gewirkt haben, ist dies die letzte ITE-Nummer, die sie gestaltet haben. Ende August wurde zudem unsere Redaktionsassistentin der Westschweiz, Nadine Crausaz, pensioniert. Die drei werden im Kaleidoskop würdig verabschiedet. ITE wird im 2025 in einer anderen Druckerei gedruckt und neue Personen werden das Magazin gestalten. Doch möchte ich hier Stefan Rüde, Stefan Zumsteg und Nadine Crausaz ganz herzlich danken für ihre oft mit Herzblut und Begeisterung getane Arbeit. Chapeau!!! Es war schön. Danke.

Indonesien

Edito zu ITE 2024/4 Indonesien – Ein franziskanischer Rückblick

Als mir vor dreissig Jahren Br. Adjut Mathis (2023 gestorben) erstmals von seiner indonesischen Pfarrei und den vielen Gläubigen erzählte, da staunte ich. Vielleicht zwei Mal im Jahr konnte er die vielen Dörfer seiner Pfarrei besuchen. Und dazu war er stets weite Strecken auf dem Weg. Berühmt ist eine Foto des Missionars: Adjut sitzt lässig auf einem Töff, am Rücken trägt er eine Holzbränte und daran ist ein Velo festgezurrt. Solange die Strassen es erlaubten, fuhr Adjut mit dem Töff. Dann ging es zu Fuss oder mit dem Velo weiter.

Ähnliches höre ich im Moment von Br. Jakob Willi, der heute mit mir im Kloster Schwyz lebt. Sein Hauptverkehrsmittel war in Indonesien das Schiff. 2005 gehörten 226 Dörfer zu seiner Pfarrei. Sowohl bei Br. Adjut als auch bei Br. Jakob waren einheimische Katecheten, die vor Ort lebten und wirkten von sehr grosser Bedeutung.

Solche Seelsorge-Situationen scheinen eine Wirklichkeit für die Zukunft in Europa zu werden. In www.katholisch.de war am 6. Mai 2024 der Artikel «Anonym, aber notwendig: Über Sinn und Unsinn von Grosspfarreien» publiziert. Im Bistum Freiburg (DE) arbeitet man an einer Pfarreienreform, «die die Zahl der Einheiten dramatisch verringern soll: von 1000 Einzelpfarreien in 200 Seelsorgeeinheiten auf nur noch 36 Pfarreien ab 2026 – mit zum Teil über 100’000 Katholiken pro Pfarrei».

Ähnliche Fragen beschäftigen die Diözesen und die Landeskirchen in der Schweiz. Es fehlen Theologen und Theologinnen sowie Priester für die Seelsorge. Als Lösung erhofft man sich viele engagierte Freiwillige, die die Kirche in die Zukunft tragen. Vielleicht hilft uns der Blick nach Indonesien, Lösungen für schweizerische Pfarreien und Kirchenprobleme zu finden?

Als ich Br. Jakob nach seinen positiven Missionserfahrungen in Indonesien fragte, meinte er schmunzelnd, dass einer seiner grössten Erfolge als Missionar der Druck von Kirchengesangbüchern war. Viele wollten ein solches Buch – selbst wenn sie nicht lesen konnten – ergänzte er lachend. Überraschende und kreative Sichtweisen wünsche ich uns mit Blick auf die indonesische Kirche in dieser ITE-Ausgabe und dann eben solche Lösungen für die Schweiz.

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Lasset uns beten …

ITE 2024/1: Die intime Vielfalt der Gottesbeziehung.

Exerzitien-Meister raten, vor dem Gebet ans Fenster zu stehen und den Blick in die Weite schweifen zu lassen. Und erst nach dieser Weitung des Blicks sich ins Herz zurückzuziehen, um bei Gott zu verweilen. Weite und Tiefe als ein möglicher Prozess des Betens. «Beten ist nicht nur denken oder reden, sondern es ist lieben», vertritt der Kapuziner Marcel Durrer mit Blick auf Jesus von Nazareth. Auch die Psalmen haben das Beten von Jesus geprägt. Da lässt sich feststellen: «Die Psalmen sparen nicht mit Gefühlen: Freude, Traurigkeit, Angst und sogar Zorn.»

ITE 2024/1 berichtet über zahlreiche Formen des Gebets: Von der franziskanischen Gebetskunst bis hin zur Gebetsapp von Papst Franziskus. Sarah Gaffuri hat diese App ein Jahr lang getestet und äussert ein vorläufiges Fazit. Nicht zuletzt darf neben dem kapuzinischen Beten auch der Weg des Gebets der Sufi-Meister nicht fehlen. Die Vielfalt des Betens ist enorm und bereichert.

Gratis-Probenummern bei: Missionsprokura Schweizer Kapuziner, Postfach 1017, 4601 Olten. Telefon: 062 212 77 70. E-Mail: abo@kapuziner.org

Weitere Informationen unter www.ite-dasmagazin.ch

Wo wie wohnen?

Edito zu ITE 2023/2

Als Kind schien mir das Wichtigste in der Klause von Bruder Klaus im Ranft der Stein, das Kopfkissen zu sein. Der Ort, die Schlucht mit dem singenden Wasser, hatte auch eine grosse Bedeutung. Später wurde mir beigebracht, dass das Wichtigste dieser Klause die beiden Fenster sind. Das eine führt in die Kirche, zu Gott, das andere ist für die Menschen gemacht, die mit dem Heiligen sprechen wollten. Und heute betone ich gerne, dass diese Klause nicht weit von seinem Bauernhof entfernt ist; da wo Frau und Kinder weitergelebt und als Bauern ihr Leben gestaltet haben. Ach ja, wie war es mit dem WC?

Es geht in dieser ITE-Ausgabe um Orte, Umgebung, Einrichtung und Lebensformen. Dabei soll die Geschichte, das Nachdenken, unterschiedliche Kulturen sowie die Religion ihren Platz erhalten. Was ist Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, wichtig beim «Wie, wo wohnen»? Solche Fragen sind nicht erst heute wichtig, sondern haben auch das religiöse Leben geprägt. Denken sie an Paulus, den Zeltemacher, der von Stadt zu Stadt gezogen ist. Dann die Wüstenväter und -mütter in Ägypten. In der Schweiz zogen die Benediktiner in die Berge oder in die grossen Wälder: Disentis, Engelberg, Einsiedeln oder Romainmôtier. Die Mönche – mono heisst einzig, einzeln, allein – wollten sich von der Welt zurückziehen, sammelten sich aus Sicherheitsgründen in Kolonien, Klöstern. Sie waren wirtschaftlich oft erfolgreich und es entstanden kleine Städte vor ihren Toren.

Der Ort beeinflusste nicht nur die Lebenskultur, sondern auch den Gebetsrhythmus. So kennt die katholische Liturgie nicht nur den Stadtrhythmus – das Gebet fängt abends an und geht mit Unterbruch bis in den Morgen (kennen wir vor allem von Osternacht und Weihnachtsabend) –, sondern auch den Mönchsrhythmus vom Morgen bis am Abend. Gefühlsmässig beginnt wohl für die meisten von uns der Tag am Morgen und endet am Abend. Bei Jugendlichen, am Wochenende oder in der Fasnachtszeit, werden wohl einige vom Abend bis am Morgen leben. Spannende Lektüre wünsche ich Ihnen.

Zehn Jahre Bischof

ITE 2023.1; Edito zu: Franziskus – zehn Jahre Bischof von Rom

Ja, es sind schon bald zehn Jahre her, als ein frischgewählter Papst den Apostolischen Palast links liegen liess und sich stattdessen im Gästehaus Santa Marta einquartierte. Er trägt ein Brustkreuz aus Eisen und nicht aus Edelmetall. Und nicht zuletzt: Als erster Bischof von Rom trägt er den Namen des heiligen Franz von Assisi: Papst Franziskus.

Vieles hat man vom neuen Bischof von Rom erhofft und erwartet. Einen anderen Stil kann man gewiss feststellen. Mit einem geschenkten und gebrauchten Renault 4 kurvt er zwischen kugelsicheren Limousinen der Grossen in der Welt herum. Doch hat er auf grosse und schwierige Fragen unserer Zeit Antworten gefunden? Sicherlich: Zum Thema Kirche und Pädophilie hat Franziskus starke Worte geäussert. Und trotzdem hat die katholische Kirche diese (System-)Krise noch nicht überwunden.

Papst Franziskus ist Lateinamerikaner mit italienischen Wurzeln. In seiner Amtszeit ist er allerdings noch nicht nach Argentinien, seinem Geburtsland, gereist. Diese a-Ausgabe stellt Fragen und gibt einige Antworten. a1/2023 ist eine echte Kapuzinernummer. Die Brüder Paul Hinder, Mauro Jöri, Niklaus Kuster, Adrian Holderegger sowie ich, Adrian Müller, haben ihren franziskanisch-kapuzinischen Blick auf den Jesuiten-Papst Franziskus geworfen. Dankbar sind wir Thomas Wallimann und Odilo Noti für ihre weite und soziale Blickrichtung.

Gespannt sind wir auch auf den synodalen Prozess in Deutschland und seine Auswirkungen auf die römisch-katholische Kirche. Doch da sind wir im Moment noch am Kaffeesatz-Lesen. Diese a-Nummer zeigt aus unterschiedlichen Perspektiven, was in den letzten zehn Jahren unter Papst Franziskus aufgebrochen und realisiert worden ist. Papst Franziskus wünschen wir weitere gute Jahre, und dass er noch einiges, was er angerissen hat, zu einem guten Ende führen kann.

Frieden feiern – Gerechtigkeit

Grundsatzartikel in ITE 2022/5

Franziskanisches Handeln kennt drei Dimensionen: Einerseits gut hinschauen und dann mit Elan handeln. Nötig dafür sind spirituelle Grundlagen, die dem Handeln Orientierung geben. Dieser Artikel vermittelt auf erzählerische Weise franziskanische Grundlagen fürs konkrete Handeln, das in den nachfolgenden Artikeln im Zentrum steht.

Kalt ist es draussen, es liegt matschiger Schnee auf dem Boden. Ein hellgelb erleuchteter Weg führt gerade zum nahen Hotel – und ein steiler dunkler Weg, mit Kerzen ausgeleuchtet, hinunter in den Ranft. Eine Gruppe Menschen macht sich auf den Weg in die tiefe Schlucht. In der Kapelle unten bei Bruder Klaus wollen sie für den Frieden beten. Jeder Schritt muss bedächtig gesetzt werden, es ist rutschig. Dieser Weg ist gelebte Friedensmeditation: Zu rasch entgleitet manchmal der Fuss, der Friede und wir Menschen haben das Nachsehen.

Auf dem dunklen Weg in die Schlucht hinunter halten die Menschen immer wieder an und gedenken schwieriger Situationen, Menschen, denen das weihnächtliche Licht zu wünschen ist. Unten angekommen, wendet man sich mit der Bitte um Frieden an Gott und feiert Gottes Friedensvisionen, wie sie beispielsweise im Psalm 85 aufleuchten: Es küssen sich Gerechtigkeit und Friede. Vielleicht trägt man konkrete Erfahrungen mit sich? Oft bleiben diese Visionen jedoch ein Wunsch für die Zukunft – und da gibt es noch Einiges zu tun! Auch für Gott. Darum: Komm Heiliger Geist …

Eine Friedensgeschichte

Diese Geschichte möchte ich frei nacherzählen:

Franz von Assisi keucht den Bergweg hoch. Durch die wunderbaren Kastanienwälder erreicht er das kleine Klösterlein Montecasale. Ruhig und beschaulich ist die Landschaft. Ideal für das Leben in Abgeschiedenheit und Gebet. Doch wehe dem Ankömmling. An dem abgelegenen Ort erwarten Brüder Franziskus in grosser Aufregung! «Franz, das kannst du dir nicht vorstellen», zischt ein erster Bruder, «da waren wir am Montag in der nahen Stadt arbeiten und trugen Brot und Früchte in unsere Einsiedelei hinauf. Am Mittwoch, während des Morgengebets, haben uns Räuber die ganze Vorratskammer geplündert und wir starteten den Tag mit Hunger.» «Lieber Franziskus», bittet ein anderer, «ich will weg von hier. In der Stadt unten sagen sich die Bürger, wir seien völlig verfressen. Seit Wochen bestehlen uns die Räuber. Wir müssen stets von neuem zu den Menschen gehen und um Nachschub fragen. Das ist peinlich, das halte ich nicht aus!» Kaum hat der zweite geendet, findet der dritte Bruder: «Weg müssen sie, diese Diebe. Einfach weg. Ich bin hierhergekommen, meinen Frieden zu finden und in Stille bei Gott zu sein. Aber das ist Schnee von gestern.»

Franziskus hatte sich seinen Aufenthalt in der Einsiedelei etwas beschaulicher vorgestellt. Doch wird von ihm eine Antwort erwartet und er will diese auch geben. Seine Mitbrüder, aber auch die Brüder Räuber, tun ihm leid. Nach stillem Beten und Nachdenken ruft Franz seine Mitbrüder zu sich und rät ihnen zu folgendem Vorgehen: «Liebe Brüder, wenn ihr das nächste Mal von der Stadt in die Einsiedelei kommt, dann nehmt die Hälfte der Esswaren für euch. Mit der anderen Hälfte geht ihr in den Wald, breitet in der Lichtung oben die Gaben auf dem Boden sorgfältig aus, zieht euch zurück und ruft den Räubern: Liebe Leute, ein Geschenk für euch›. Ab dem dritten Mal bleibt ihr in der Nähe der Lichtung stehen, ab dem fünften Mal bedient ihr selber die Räuber. Und dann sehen wir weiter. Gebt mir Bescheid.»

Die Brüder schlucken schwer, als Franziskus aufbricht. Aber man kann ja einen Heiligen nicht um Hilfe fragen und dann nicht nach seinen Ratschlägen handeln. Und so tun die Brüder in den kommenden Wochen, wie Franz es ihnen geraten hat. Beim ersten Versuch zittern die Brüder wie Espenlaub, oder waren es vielleicht die Räuber, die innerlich verängstigt zittern? Je öfter man die Räuber trifft, desto mutiger und kecker wird das Auftreten der Brüder. Mit der Zeit kennt man sich und beginnt zu scherzen. Die Brüder realisierten: Die Räuber waren aus der Stadt vertrieben worden, geächtet und fanden im Wald wenig Essen und keine Arbeit. Sie lebten als Vertriebene und hinter jedem von ihnen verbarg sich eine leidvolle Lebensgeschichte.

Die Legende endet damit, dass einige Räuber menschenfreundliche Franziskaner wurden, die anderen anständige Bürger der Stadt. Stadt und Umgebung erlebten wirtschaftlichen Aufschwung und niemand musste mehr Angst haben, in den Wald zu gehen. Selbst kleine Kinder konnten im Wald Pilze sammeln gehen und riefen sie nach den Räubern, kamen Brüder.

Bilder und Deutungen

Brasilianische Mitbrüder deuten diese Franziskuslegende wie folgt: Menschen, die das Nötige fürs Leben haben, müssen nicht gefürchtet werden. Vor allem gerecht integriert müssen sie sein. Wie Jesus oder Franziskus sollen die Christinnen und Christen sich besonders für Aussenseiter einsetzen und so dürfen sie manchmal die Erfahrung von Montecasale machen, dass Räuber gar nicht zu fürchten sind. Im Gegenteil. Gottes Geist wirkt auch in ihnen Grosses.

Ein anderes Bild des Franz von Assisi, das auch Papst Franziskus aufgegriffen hat, ist jenes der Geschwisterlichkeit: Christen und Christinnen, ja alle Menschen, haben einen gemeinsamen Vater, eine gemeinsame Mutter im Himmel. Das macht Menschen unter sich, aber auch mit Tieren und Pflanzen zu Brüdern und Schwestern, zu Geschwistern. Und das verbindet familiär. Stimmt, auch Geschwister gehen nicht immer friedlich miteinander um. Aber die Vorstellung der Geschwisterlichkeit stellt uns auf die gleiche Stufe. Gut, auf Erden fehlt uns manchmal der Vater oder die Mutter, die die Gaben der Gerechtigkeit und des Versöhnens haben. Dann sollen die älteren und vor allem die weiseren Geschwister für Gerechtigkeit und Frieden sorgen.

Ausblick

Heute ist Gerechtigkeits- und Friedensarbeit komplex und anspruchsvoll. Diese ITE-Ausgabe erzählt von unterschiedlichen franziskanisch Engagierten. Der Schweizer Kapuziner Adrian Holderegger arbeitet bei der UNO als «Ambassador for Peace». «Franciscans International» engagiert sich seit mehr als dreissig Jahren als NGO bei den Vereinten Nationen. Unser Westschweizer Mitbruder und Missiologe Bernard Maillard erzählt von seinen Erfahrungen mit ACAT (Action Chrétienne pour l’Abolition de la Torture) in ausländischen Gefängnissen. Ach ja, kennen sie die «Roten Kapuziner» der Westschweiz? Beat Baumgartner weiss mehr …

Zeit und Raum

Edito zu ITE 2022.2: Immer schneller dreht das Rad des Lebens

In den Ferien pflegen viele einen anderen Lebensstil als zu Hause während ihres Alltags. Meistens ändert sich in den Ferien der Lebensort und der Tagesablauf. Ich gehe dann gerne irgendwo in der Schweiz wandern und bin froh, wenn ich keinen Wecker mitnehmen muss. Viele Menschen fahren gerne in den Süden, an die Wärme, und hoffen, am Strand und im Wasser Erholung und Musse zu finden – was Ihnen und uns allen immer wieder zu wünschen ist.

Franz von Assisi war ein kreativer Mensch, und so wird ihm einiges nachgesagt. Ich behaupte hier einmal, dass Franziskus der erste konsequente Ferientechniker war und er mir diesbezüglich ein grosses Vorbild ist. Ich kenne keinen anderen Ordensgründer, der für seine Brüder zwei Ordensregeln geschrieben hat: Eine für den Alltag in der Nähe der Stadt und eine weitere für die «Ferien» im Grünen, in der Stille. Und nach meinem Wissen hat sich der engagierte Bruder oft zwei Mal im Jahr für einen Monat in ein Eremo zurückgezogen: einmal vor Ostern und einmal vor Weihnachten.

«Jene, die als Ordensleute in Einsiedeleien verweilen wollen, sollen zu drei oder höchstens zu vier Brüdern sein … und sie sollen ein umzäuntes Stück Land haben … und sie sollen ihre Tagzeiten beten …», so ist in der Regel für Einsiedeleien zu lesen. Gedacht ist dieser alternative Lebensstil als Gegenstück zum aktiven Leben und Wirken in der Stadt. Interessant ist die klare Begrenzung für die Anzahl Brüder wie auch die Begrenzung auf einen abgelegenen Ort. Viel Raum nimmt in der Regel – hier nicht wiedergegeben – die zeitliche Planung und Durchstrukturierung des Tages ein.

Diese Regel für die Einsiedeleien kann auch heute für die Ferienplanung genutzt werden. Mit wem – Familie, lieben Menschen – mache ich wo – einem Ort anderswo – wie – mit einer klaren Tagesstruktur – Ferien. ITE 2/2022 ist keine Feriennummer, doch beschäftigt sich diese Ausgabe mit Zeit und Raum in einer Kultur der Veränderung. Das Leben, die Gesellschaft und Kultur entwickeln sich immer schneller, die Menschen begegnen sich weltweit. Davon handelt diese Ausgabe.

Gratis-Probenummern bei: Missionsprokura Schweizer Kapuziner, Postfach 1017, 4601 Olten. Telefon: 062 212 77 70. Oder www.ite-dasmagazin.ch

100 Jahre ITE

ite 1/22: Vor einem Jahrhundert publizierten die Kapuziner ihren ersten Missionsboten. Dieser wurde später in ITE umgetauft. «Tu Gutes und sprich davon.» war der Grundsatz. Dabei lernten die Brüder immer mehr, dass es auch kritische und vielfältige Blicke auf die Welt, die Kirche und das eigene Tun braucht. Im Verzeichnis der Schweizer Kapuziner finden sich 2022 fünf «Publikationen der Provinz»: Helvetia Franciscana, ITE, frère en marche, Franziskuskalender und Missionskalender. Mag sein, dass es auf der Kanzel etwas ruhiger geworden ist, doch sind die Brüder medial vielfältig präsent. ITE 2022.1 hält Rückschau und macht eine Bestandesaufnahme der Gegenwart. Die Brüder und die Redaktion sind motiviert in die Zukunft zu schreiben und fotografieren. Viel Vergnügen!

Gratis-Probenummern bei: Missionsprokura Schweizer Kapuziner, Postfach 1017, 4601 Olten. Telefon: 062 212 77 70. Oder www.ite-dasmagazin.ch

Editorial ITE 2021/5

Offene, freudige Kinderaugen, das ist ein Bild für Weihnachten. Beim Wandern eine Eselin zu sehen, erinnert mich an Weihnachten. Aber auch eine schöne bereichernde Überraschung im Alltag verbinde ich mit Weihnachten. Und erleben wir dies in unserem Alltag, dann empfinden wir vielleicht einen heiligen Schauer, ein innerliches Jauchzen, dankbar und glücklich.
«… jeder Tag ein wenig Weihnachten», so lautet der Untertitel dieser ITE-Ausgabe. Auch Mutter Teresa hat sich von Weihnachten bewegen lassen, wenn sie sagt: «Jeder Tag ist Weihnachten auf der Erde, jedes Mal, wenn einer dem anderen seine Liebe schenkt, wenn Herzen Glück empfinden, ist Weihnachten, dann steigt Gott wieder vom Himmel herab und bringt das Licht.» Liebe Leserin, lieber Leser, wie würde Ihr «Weihnachtssatz» aussehen? Oder würden Sie lieber zu einem Bild greifen?
Weihnachten spielt mit Stimmungen und greift das Licht in der Dunkelheit auf, den grünen Tannenbaum im kahlen Laubwald, das schutzlose Kind in der kalten Welt. Es sind dies Grundstimmungen, die alle Menschen prägen und Christen mit dem Menschwerden Gottes in Verbindung bringen, dem hilflosen Kind in der ärmlichen Futterkrippe, das der ganzen Welt Hoffnung bringt und in den Erzählungen Heerscharen von Engeln vom Himmel zur Erde kommen lässt. Und dann stehen da die Hirten und über ihnen frohlocken die Engel. Licht, Liebe, Gerechtigkeit und Frieden sollen werden und uns erfüllen.
«… jeder Tag ein wenig Weihnachten», war die Ursprungsidee unserer Redaktion für diese Weihnachtsnummer. Nicht vergessen haben wir dabei jedoch auch «Gott wurde Mensch», einer von uns und solidarisch mit uns. Dabei wird er von Maria und Josef ernährt. Er ist von zwei Menschen abhängig und auf Fürsorge und Liebe angewiesen. Wenn der eine oder andere Text Sie weihnächtlich verzaubert, Licht, Freude sowie Hoffnung in Ihren Alltag bringt – selbst wenn dieser nicht nur lichtvoll ist –, dann ist Weihnachten geworden. Frohe Weihnachten und Gottes menschliche Nähe, dies wünsche ich Ihnen in den kommenden Wochen.