Predigt Mariä Himmelfahrt; 1 Kor 15,20-27a; Lk 1,39-56
Liebe Menschen, bei meinem Mitbruder Anton Rotzetter habe ich gelesen, dass man im Gebet und in der Frömmigkeit «Maria» mit «Mensch» ergänzen oder ersetzen darf. So feiern wir heute Mariä Aufnahme in den Himmel und dürfen uns mitdenken. Menschen werden in den Himmel aufgenommen – und ob Tiere, Pflanzen, ja die ganze Schöpfung im Himmel landen werden, ist theologisch zu erwarten, aber diese Fragen sollen nicht das Thema dieser Predigt sein.
Das heutige Fest sagt also etwas über uns, unserer Zukunft und unserer Hoffnung aus. Auch wir werden eines Tages bei Gott sein. Paulus formuliert dies den Korinthern folgendermassen: «Denn wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden.» Wie wir uns dieses Sterben und Auferstehen vorstellen dürfen, bleibt ein Geheimnis – und das scheint mir gut so. Es kommt wohl viel besser, als wir Menschen erahnen können.
Doch lassen wir nun die Himmels-Spekulationen. Zum Glück holt uns der Evangelist Lukas im heutigen Festtagsevangelium wieder etwas auf den Boden zurück und in die Gegenwart. Er erzählt uns von der Begegnung von zwei schwangeren Frauen. Dabei sind sie zweifach schwanger. Einerseits tragen sie verheissungsvolle Jungs in ihren Bäuchen, andererseits sind sie vom Heiligen Geist erfüllt. Was für eine hoffnungsvolle Begegnung im Bergland von Judäa!
Elisabet ruft Maria den Segen zu, nimmt wahr, dass sie beide einen ganz speziellen Moment erleben, und ehrt die jüngere Frau freudig.
Und Maria? Man könnte sie direkt bei der «letzten Generation» anmelden und mit heutigen jungen Menschen auf die Strasse schicken. Maria – nicht etwa fromm verzückt, wie man es bei Heiligenbildern oft sieht – steht mit beiden Beinen auf dem Boden und stellt im Namen Gottes die Welt auf den Kopf!
Gott «zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind; er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen.» Leider müsste ich mich da wohl eher bei den enttronten und leer ausgehenden einordnen.
Wie geht es Ihnen, liebe Menschen, mit solchen Worten, mit dieser Wucht von göttlicher Macht? Als junger Mensch war ich Fan vom Magnifikat. Bei der einfachen Profess war das Magnifikat das Fest-Evangelium und meine fünf Mitnovizen und ich waren gespannt, wie der Provinzial mit solchen Umsturzgedanken umgehen wird. Nun, er hat damals sein Amt nicht niedergelegt.
Gott «stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen.» Maria formuliert eine Umkehr der Verhältnisse. Kann es keine guten und menschenfreundlichen Mächtige oder Reiche geben? Schiesst da die junge begnadete Frau aus Nazareth nicht übers Ziel hinaus, wie es heute meines Erachtens auch die letzte Generation tut? Zerstörung bringt doch nicht aus sich heraus das Gute in die Welt? Revolutionen fressen ja bekanntlich auch ihre eigenen Kinder.
Müsste es nicht eher einen gerechten Ausgleich, denn einen gewaltvollen Umsturz geben. Können gewaltvolle Revolutionen die Welt verändern? Ich selbst vertraue heute auf gute und gerechte Prozesse – und da braucht es immer wieder neu Versöhnung und Vergebung im gemeinsamen Weitergehen. Darum habe ich früher das Magnifikat zum Beten oft umgeschrieben.
Und trotzdem beten wir Brüder jeden Abend im inneren Chor des Klosters: «Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind; er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen.» Dies immer kurz vor dem Nachtessen. Und dann gehen wir ziemlich gut genährten und zumeist satten Menschen zum Znacht und geniessen die feinen Gaben der Schöpfung. Manchmal gedenken wir der Hungrigen und beten für sie. Noch nie bin ich hungrig vom Nachtessen gekommen.
Maria, junge prophetische Frau, wie konntest du nur so radikal sein?! Wie hast du im Alter über Revolutionen und Umstürze gedacht? Was ging dir unter dem Kreuz durch den Sinn?