Predigt zu Ex 19,2-6a; Mt 936-10,8
Gott verblüfft mich immer wieder neu und lässt mich staunen. Natürlich haben wir in der Schule das Zeitalter der Ägypter durchgenommen und kennengelernt. Es ging dabei um Pharaonen, um meisterliche Bauwerke und eine spannende Kulturgeschichte. «Was diese Ägypter nicht alles konnten, berechneten und vollbrachten – und das schon vor dreitausend Jahren!» So würde ich den Geschichts-Unterricht von Lehrer Jauch in der fünften Klasse zusammenfassen. Viele Touristen reisen heute noch nach Ägypten und staunen über die untergegangene Kultur. Welch eine Kultur?! Und das schon vor dreitausend Jahren! Faszinierend und einmalig.
Doch Gott, oder zumindest die Bibel, haben einen ganz anderen Blick auf diese Zeit. Nicht der Pharao, seine Priester oder Gelehrten, stehen im Zentrum der Aufmerksamkeit. Der mächtige Pharao wird in der Bibel sogar zum verstockten und verblendeten Herrscher, Anti-Helden. Der Blick der Bibel ist auf die Kleinen, Unterdrückten, Heimatlosen gerichtet. Mit Ihnen und nicht mit den Mächtigen jener Zeit wird ein Bund geschlossen. Dem Haus Jakob und den Israeliten lässt Gott sagen: «Mir gehört die ganze Erde, 6 ihr aber sollt mir als ein Königreich von Priestern und als ein heiliges Volk gehören.» (Ex 19,5c-6a) Davon hat uns Lehrer Jauch in der Schule nichts erzählt, in der Geschichte der Mächtigen und der Angesehenen des Geschichtsunterricht. Und eben, die Erde gehört Gott und nicht einem Sonnenkönig.
Mindestens drei Mal wurden in meiner Schulzeit die Römer im Geschichts-Unterricht durchgenommen. Römer konnten organisieren und regieren – okay, dass damit Unterdrücken und Ausbeuten gemeint war, wurde uns nicht gesagt. Die Römer wurden eher als Retter vieler Völker dargestellt. Von den vielen gekreuzigten Menschen dieser Zeit kein Wort. Auf Schulreisen haben wir römische Orte der Schweiz besucht. Und später im Lateinunterricht: Der Krieg mit den Galliern. Monate, ja jahrelang. Pater Disler war im Element und man merkte, dass er von einer wichtigen, ja heiligen Zeit erzählte. Und all die Dichter mit ihren wunderbaren Versformen; und für mich der Höhepunkt: die römischen Philosophen. Ein wahrhaft gebildetes und kultiviertes Volk, die Römer! Selbst heute noch müssen Juristen während dem Studium das römische Recht lernen. Und viele sind ganz fasziniert davon. Doch die Namen Jesus von Nazareth oder Paulus von Tarsus kommen dabei nicht vor.
Die Evangelien, das Neue Testament erzählen von Jesus von Nazareth. Und dieser sagt zu seinen Jüngern: «Geht nicht den Weg zu den Heiden und betretet keine Stadt der Samariter, 6 sondern geht zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel!» (Mt 10,5-6) Jesus empfiehlt die Römer den Jüngern also nicht. Da wird in den Evangelien nichts von den erfolgreichen Römern, ihrer Lyrik oder ihrer Philosophie erzählt. Nicht einmal etwas von den berühmten römischen Strassen und Bäder. Nein, ein erobertes und unterdrücktes Volk wird von Jesus von Nazareth angesprochen – und dieses wird von anderen Völkern ferngehalten. Selbst die Samariter oder Samaritaner, die ja wie die Juden aus dem Volk Israel hervorgegangen sind, werden aussen vor gelassen.
Was für ein Gott?! Was für ein Glaube?! Und wir Christinnen und Christen in seinen Spuren? Schauen wir nicht eher auf die Mächtigen unserer Zeit, auf grosse Politiker, Medien-Stars und vor allem Reiche, heute oft auch Oligarchen genannt! Und je lauter einer ist, desto mehr Aufmerksamkeit ist ihm gewiss.
Jesus lädt uns nicht zur Unterwürfigkeit und zum Staunen über die Grossen, Lauten unserer Tage ein. Nein: «Geht und verkündet: Das Himmelreich ist nahe! 8 Heilt Kranke, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus!» (Mt 10,7-8)
Leben ist nicht zuschauen und warten. Das Heil kommt nicht von den Mächtigen und Reichen. Auch nicht vom Bekehren und freundlichen Umgang mit diesen. Sondern ganz konkret. Auf Augenhöhe dürfen wir leben und wirken. «Heilt Kranke, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus!» Heilen, erwecken und austreiben kann ich leider nicht. Doch ich kann mich Kranker annehmen, Sterbende begleiten, an den Rand gedrängte Menschen in unsere Gemeinschaft integrieren und dem Bösen, Beleidigenden, Zerstörerischen, Schlechten widerstehen. Keine grosse Show, kein Glamour, kein Imperium, aber ganz alltäglich, unaufgeregt und aus Liebe motiviert: «Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben.» (Mt 10,8b). Zu einem solchen heilsamen, konkreten und wohlwollenden Leben sind wir eingeladen. Auch heute. Und so dürfen wir uns als Jünger und Jüngerinnen Christi fühlen. Dazu wünsche ich uns allen innere Kraft und gutes Gelingen. Amen.