Geheimnis Mensch

Predigt vom 1. September 2024; Mk 7,1-23

Die Habsburger, die ursprünglich aus der Schweiz kommen, kannten eine getrennte Bestattung. Nach dem Tod wurde der Körper vom Herz getrennt und an unterschiedlichen Orten bestattet. Man ging damals davon aus, dass im Herz das Zentrum des Menschen ist und dass im Herz der Ort der menschlichen Identität, sein Willenszentrum liegt. Ohne Herz kein Leben. Deshalb hat man früher vom Herztod gesprochen. Heute ist der Herztod keine verlässliche Todes-Indikation mehr. Wir wissen es anders. Bei Herzoperationen kann das Herz stillgelegt und durch Maschinen ersetzt werden. Später lässt man das Herz wieder arbeiten und das Leben geht weiter. Ein stillstehendes Herz bedeutet nicht mehr den sicheren Tod. Auch können Herzen transplantiert werden, ohne dass das neue Herz seine Identität in den fremden Körper mitnehmen würde. Das Herz gilt nicht mehr als das geheimnisvolle und unbekannte Zentrum des Menschen. Kardiologen und Kardiologinnen haben das Herz als Organ erforscht.

Heute gehen viele Menschen davon aus, dass das Hirn der entscheidende Ort des Menschen ist. Deshalb wurde der Hirntod zu einer Indikation für Leben und Tod. Gibt es im Hirn keine Energie mehr, dann ist der Mensch tot, so sagt diese Vorstellung. Ob dem so ist und wann der Mensch wirklich tot ist, das ist eine schwierige, medizinische und umstrittene Frage. Vor allem bei der Organtransplantation ist diese Einschätzung wichtig. Wann ist der Mensch tot und wann darf man ihm Organe entwenden. Eine knifflige Frage.

Es gibt Menschen, die lassen sich einfrieren und hoffen, eines Tages wieder aufgetaut und zum Leben erweckt zu werden. Und eben, heute gibt es Menschen, die es ähnlich machen wie die Habsburger. Sie lassen den Körper beerdigen und verwesen, aber den Kopf einfrieren und aufbewahren. Das Hirn müsste im neuen Leben reichen, um wieder ins Leben zu kommen. Da sind die wichtigen Daten eines menschlichen Lebens gespeichert, wie auf einer Computer-Festplatte. Der Körper scheint austauschbar, wie in einigen Computerspielen, wo ein Spieler, eine Spielerin mehrere Leben in unterschiedlichen Körpern leben kann. Aber das Gehirn bleibt.

Wenn Jesus im heutigen Tagesevangelium sagt, «von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen die bösen Gedanken» usw., dann hat er die Vorstellung, dass das Herz den Menschen ausmacht. «All dieses Böses kommt von innen und macht den Menschen unrein». Jesus von Nazareth hat vor zwei tausend Jahren gelebt und gewirkt. Dabei hat er sich mit seinen Worten in den damaligen Vorstellungen bewegt, welche nicht mehr unsere sind. Damals war das Herz das Zentrum des Menschen.

Während dem Studium der Erziehungswissenschaften hat einer meiner Psychologie-Professoren Wert daraufgelegt, dass der Mensch auch in der Psychologie ein Geheimnis ist und bleibt. Die Psychologie gibt Hilfen für die Analyse des Menschen und kann manchmal Heilung bewirken. Aber sie belässt auch vieles offen und unbeantwortet. Was den Menschen im innersten ausmacht, das lässt sie offen, das ist und bleibt Geheimnis. Ein anderer Psychologie-Professor meinte jeweils, dass diese Frage von den Theologen und Theologinnen beantwortet werden müsste. Für uns Christen und Christinnen ist Gott ein Geheimnis – und sein Ebenbild, der Mensch ist und bleibt auch ein Geheimnis, Gottes Geheimnis.

Aber wie Jesus, kann die Psychologie einiges zu «bösen Gedanken, Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Hinterlist, Ausschweifungen, Neid, Lästerung, Hochmut und Unvernunft» sagen. Doch lässt sich auch hier kritisieren: Ihr gebt die Wahrheit (Gottes Gebot) preis und haltet euch an die Theorien (Überlieferung) früherer Zeiten und vergangener psychologischer Grössen. Auch heute müssen wir uns wie vor zweitausend Jahren fragen, was trägt noch und was ist bloss Augenwischerei vergangener Zeiten. Was sind die Themen unserer Zeit?

Nicht Äusserlichkeiten sagt Jesus. Ich würde in heutiger Sprache sagen, der Mensch ist keine Maschine, sondern ein Geheimnis, das entscheidungsfähig ist, das oft zwischen gut und böse unterscheiden muss, auch wenn es manchmal Zeit braucht und Geduld, die Wahrheit und die echten Lösungen zu ergründen. Und auch heute sind wir Menschen aufgefordert rein zu sein, vielleicht in unserer Sprache gesagt, integer, vertrauens- und glaubwürdig, authentisch und wahr; konstruktiv und mit Verantwortung für unsere Nächsten wie für uns selbst.

Ab dem ersten September, heute also, rufen die Kirchen zur Schöpfungszeit auf, die bis zum vierten Oktober, dem Franziskustag, dauert. Auch heute geht es um die zwischenmenschliche Verantwortung, wie sie Jesus von Nazareth im Tagesevangelium einfordert. Doch für uns Menschen heute kommen neue Themen und Sorgen hinzu. Wir haben plötzlich eine enorme Verantwortung für die Natur, Tiere und Pflanzen, für die ganze Erde in unseren Händen. Wir haben diesbezüglich eine enorme Kraft, auch Zerstörungsmacht entwickelt. Das ergibt eine neue Verantwortungen für unser persönliches, wie für unser christliches als auch gesellschaftliches Leben.

Wir sind gefordert uns für das Leben, für die Schöpfung Gottes stark zu machen. Dabei müssen wir – wie Jesus die Pharisäer und Schriftgelehrten auffordert – stets neu ergründen, was Gottes Wille sei. Oftmals tragen alte Antworten nicht mehr. Zu dieser Suche und immer wieder neu entdecken, wünsche ich uns Fantasie, die richtigen Ideen und gute Absichten; aber auch Freude mit Gott an seinem Schöpfungswerk teilzuhaben.

Früchte der Nächstenliebe

Predigt vom 28. April 2024; Apg 9,26-31; Joh 15,1-8

Das Tagesevangelium mit Weinstock, Winzer und Reben oder eben Jesus, Vater und Menschen, ist eine wunderbare Meditation zu den Beziehungen von uns Menschen mit Jesus und seinem, unserem Vater. Dieses Nachdenken zielt auf unser praktisches und konkretes Leben ab: «Mein Vater wird dadurch verherrlicht, dass ihr reiche Frucht bringt und meine Jünger und Jüngerinnen werdet.» (Joh 15,8)

Dieses Fruchtbringen nimmt die heutige Lesung, die Apostelgeschichte, konkret auf. Damit möchte ich mich in dieser Predigt auseinandersetzen. Saulus, Jünger, Barnabas, Apostel, Hellenisten, Brüder und die Kirche in ganz Judäa, Galiläa und Samaria werden im Text der Apostelgeschichte genannt. Thema ist die Fruchtbarkeit eines Saulus, die verschiedentlich ausgebremst wird. Zuerst wird Saulus von den Jüngern an seinem Handeln gehindert. Die Jünger fürchten sich vor Saulus, der sie ja noch vor Kurzem verfolgt hat. Auch wissen sie gut um den nicht gerade zimperlichen und konfliktfreudigen Charakter eines Saulus.

Auch in unserem Leben oder im Leben anderer kann die Biografie und der Charakter ein Hindernis fürs Fruchtbarwerden sein. Manchmal wird gerne von Glaubwürdigkeit und Authentizität gesprochen. Sowohl Kirchen wie auch einzelne Christen haben im Lauf der Geschichte und besonders in den letzten Jahren viel an Glaubwürdigkeit verloren. Kreuzzüge und Missbrauch sind da die grellsten Stichworte dazu. Doch gäbe es noch viele andere Versagen kirchlicher Menschen aufzuzählen. Menschen erzählen Erfahrungen von gewalttätigen Gottesbildern und unethischem Verhalten kirchlicher Amtsträger und Amtsträgerinnen. Vor allem ältere Menschen haben manchmal in der Jugend schlechte und unfaire Erfahrungen mit Pfarrern oder Katechetinnen gemacht.

Interessanterweise kann in der Apostelgeschichte Saulus seinen Wandel nicht selbst glaubhaft machen. Ein anderer, Barnabas, macht sich auf, sieht sich Saulus und sein neues, reformiertes Selbstverständnis genauer an und kann, nachdem er sich selbst überzeugt hat, Saulus zu den Apostel führen und diesen die Angst nehmen. Das Zeugnis des Barnabas kann Saulus den Aposteln glaubwürdig machen. Ich denke, dass das solches Zeugnis auch unseren Alltag sehr prägt. Menschen können uns schlechtreden wie auch fördern. Auch wir können über Menschen negativ oder positiv sprechen.

Für die Glaubwürdigkeit des Zeugen oder Förderers muss das Reden der Wahrheit und der Realität entsprechen. Schönreden kann nicht die Antwort sein. Informationen müssen wahr sein. Tu Gutes und dann sprich davon.

In den Medien spricht man oft vom wohlwollenden Blick auf die Fakten, der zusätzlich gefordert ist. Als ich im Linthgebiet bei der Tageszeitung gearbeitet habe, da sagten die Veranstalter oft: «Wir begrüssen auch die Presse und danken für eine wohlwollende Berichterstattung.» Barnabas sagt den Aposteln nicht einfach, seid nett mit Saulus, sondern er kann von eigenen Erfahrungen mit Saulus erzählen und so die Apostel vom glaubwürdigen Lebenswandel des Saulus überzeugen.

Was bedeutet das heute für die Kirchen und Christen, Christinnen? Interessanterweise zeigen viele Untersuchungen, dass nicht Liturgie oder Dogmen die Lösung für die heutige Kirchenkrise sind. Menschen schauen genau, wie Christen und Christinnen sich gegenüber Armen und Randständigen, alten und behinderten Menschen verhalten. Kirchen, Christen und Christinnen werden heute glaubwürdig durch ihre soziale Aufgeschlossenheit und Solidarität.

Wenn ich den Seitenblick auf Saulus wage, dann lese ich in der Apostelgeschichte, dass Saulus freimütig im Namen des Herrn auftrat und Streitgespräche führte. Nein, Christen und Christinnen sollen nicht unscheinbar werden, sie dürfen für ihre gesunden Werte einstehen. Erst dann werden sie in ihrem Glauben gefestigt und können in Frieden leben und Früchte bringen. Und vielleicht ist das auch ein überzeugendes Verhalten gegen die gegenwärtige Austrittswelle von enttäuschten Kirchenmitgliedern? Denn sie fragen ja oft: «Wieso soll ich in der Kirche bleiben?» Christen und Christinnen brauchen ehrliche und sichtbare Antworten auf Fragen und Probleme unserer Zeit.

In der Apostelgeschichte lesen wir: «Die Kirche in ganz Judäa, Galiläa und Samárien hatte nun Frieden; sie wurde gefestigt und lebte in der Furcht des Herrn. Und sie wuchs durch die Hilfe des Heiligen Geistes.» (Apg 9,31) Das wünsche ich auch uns, der Schwyzer, der Helvetischen Kirche. Und eben, wie sagt Jesus : «Mein Vater wird dadurch verherrlicht, dass ihr reiche Frucht bringt und meine Jünger und Jüngerinnen werdet.» (Joh 15,8) Amen.