Predigt vom 3. September 2023; Mt. 16,21-27; Nachfolge meint im Heiligen Geist „dein Wille geschehe“ tun und ist dynamisch. Da gibt es keine schnellen und leichten Antworten.
Erfolg und Niederlage können nahe beieinander liegen – und das selbst bei Reaktionen von Jesus von Nazareth. Letzten Sonntag hörten wir im Tagesevangelium Jesus dem Petrus sagen: «Selig bist du, Simon Barjona; denn nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart, sondern mein Vater im Himmel. Ich aber sage dir: Du bist Petrus – der Fels –, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirchen bauen, und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen.» (Mt 16,17-18) Für Petrus also einen Gross-Erfolg!
Heute hören wir denselben Jesus von Nazareth dem Petrus sagen: «Tritt hinter mich, du Satan! Ein Ärgernis bist du mir» (Mt 16,23) Und das im Matthäus-Evangelium nur wenige Verse später als das Lob. Jesus scheint ein echt emotionaler und gerader Mensch gewesen zu sein. So nahe liegen der Erfolg und die Zurückweisung des Petrus beieinander. Es scheint mir eine Erfahrung von emotionalen, glaubenden und mutigen Menschen zu sein. Hätte Petrus den Mund gehalten, so hätte er weder das Eine noch das Andere erlebt. Doch Petrus geht mit und bringt sich ein und ist engagiert. Und da fällt man manchmal auf die Nase. Das geht auch mir manchmal so.
Aber was ist dem Petrus im heutigen Evangelium zum Verhängnis geworden? Seine Angst? Sein Sicherheitsbedürfnis? Vielleicht auch seine falschen theologischen Vorstellungen? Die Vorstellung nämlich, dass das Leben das Höchste sei und in jeder Situation zu schützen sei. Dem ist nicht so.
Lassen Sie mich eine Begegnung der letzten Tage erzählen. Ein Kollege erzählte mir, von einer Pflegesituation. Eine über neunzigjährige Frau lebt im Altersheim, leidet und hat genug vom Leben. Sie ist lebenssatt – wie es so schön im Alten Testament heisst – sie will nur noch sterben. Exit kommt für sie nicht in Betracht. Sie beschliesst ab sofort nicht mehr zu essen und zu trinken. Es ist dies eine Methode, die in Heimen bekannt ist und den Sterbenden wenig Schmerzen bereitet. Doch nun kommen Ihre Verwandten auf den Plan und sagen, dass dies unchristlich sei und die Frau wieder essen und trinken müsse. Vielleicht sogar künstlich ernährt. Das Leben sei unantastbar. Der Kollege ist überrascht. Was soll ein Theologe raten? Muss ein Seelsorger nicht stets für das Leben einstehen?
Da ich gerade mit dem heutigen Tages-Evangelium beschäftigt war, sagte ich ihm: «Selbst für Jesus von Nazareth war das Leben nicht der höchste Wert im Leben.» Ein zweiter Kollege meinte energisch: «Aber für den Gott des Lebens ist das Leben der höchste Wert und kein Mensch darf dieses Leben geringschätzen! Auch eine Sterbende nicht!» Mit dem Evangelist Matthäus im Hintergrund antwortete ich: «Wäre das Leben alles gewesen, dann wäre Jesus nicht ans Kreuz gegangen und hätte die Warnung von Petrus ernstgenommen. Jesus wäre nicht am Kreuz gelandet und hätte weitergelebt. Ja, Jesus hätte vielleicht wie in einen berühmten Jesusfilm noch eine Familie gegründet und lange gelebt.»
Vier fragende und empörte Augen schauten mich an. Plötzlich meinte der zweite Kollege. «Stimmt. Und all die christlichen Märtyrer. Sie gingen in den Tod und hätten nur ihrer Überzeugung, ihrem Glauben und so weiter absprechen müssen, und sie wären nicht umgekommen. Und selbst heute gibt es Menschen, die für ihren Glauben in den Tod gehen, die modernen Märtyrer. Christen gelten heute weltweit als eine der am stärksten verfolgte religiöse Gruppe weltweit. Wir sehen. Das Leben ist für Glaubende nicht absolut. Jesus von Nazareth und die Märtyrer sind ein Zeugnis davon.»
Liebe Gottesdienstbesucher:innen
Ich habe mich bei dem bekannten katholischen Ethiker Eberhard Schockenhoff versucht schlau zu machen, wie heute der Essens- und Trinkverzicht ethisch eingestuft wird. In seiner «Ethik des Lebens» habe ich nach einer einfachen Lösung für die alte sterbensmüde Frau gesucht. Leider ist die Frage sehr komplex und Ethiker interessieren sich eher dafür, wann andere die künstliche Ernährung einstellen dürfen, denn wie das nicht mehr Essen und Trinken-Wollen von Sterbenden zu beurteilen ist. Nachdem Schockenhoff die lange katholische Tradition abgehandelt hat, schreibt er:
«Auch die anderen erwähnten Autoren beziehen ihre Überlegungen zur Begrenzung der Lebenserhaltungspflicht auf ordentliche und verhältnismäßige Mittel ausdrücklich auf die Frage, ob es immer und ausnahmslos geboten ist, Nahrung und Flüssigkeit zu sich zu nehmen. Ihre Antworten zeigen, dass die Pflicht zur Nahrungsaufnahme grundsätzlich nicht anders als die Pflicht zur Anwendung sonstiger Mittel der Lebensbewahrung bewertet wurde. Das bedeutet: Lebenserhaltende Maßnahmen sind grundsätzlich geboten, jedoch bedarf es im Einzelfall der Prüfung, ob sie im Blick auf ihren tatsächlichen Nutzen und die möglichen Belastungen für den Patienten verhältnismäßig sind.»
Auch katholische ethische Antworten sind nicht immer sehr einfach und wie Gesetze anwendbar. Bei der lebenssatten und leidenden Frau ist deshalb auch ihr Einzelfall zu prüfen und zu beurteilen, was verhältnismässig ist. Tatsächlichen Nutzen und mögliche Belastungen müssen geklärt werden. Entscheiden darf und muss sie wohl selber, ob sie weiterhin essen und trinken will.
Liebe Glaubende
Jesus von Nazareth hat also das im Sinn, das Gott will, und nicht was Menschen wollen. Darum wird Petrus mit seiner Sorge um Jesus energisch zurückgewiesen. Jesus will sein Kreuz auf sich nehmen, selbst wenn das Kreuz den Tod bedeutet. Er lebt in der Perspektive auf seinen Vater hin und auf die Zukunft durch den Tod hindurch. Das heisst konkret in den Tod gehen und keine faulen Kompromisse machen. Sein Leben ist nicht der höchste Wert.
Vielleicht noch eine Übersetzungsfrage zum heutigen Tagesevangelium. Früher wurde im katholischen Gottesdienst gelesen: «Weg mit dir, Satan, geh mir aus den Augen!» In der neuen römisch-katholischen Übersetzung steht: «Tritt hintermich, du Satan! Ein Ärgernis bist du mir, …» Das Kraftwort «Satan» bleibt. Aber Petrus soll nicht verschwinden, sondern hinter Jesus nachfolgen und dem Willen Gottes folgen, auch wenn das eines Tages seinen Tod bedeuten könnte. Eben, «dein Wille geschehe». Der Wille Gottes zählt und will mit dem Geist Gottes gelebt werden, wie Petrus diesen und letzten Sonntag gelernt hat. Amen.