Hörend – mitgehend – handeln

Predigt vom 3. November 2024, Mk 12,28-34; Dtn 6,2-6

«Und es trat zu Jesus einer der Schriftgelehrten, der zugehört hatte, wie Jesus und die Sadduzäer miteinander stritten. Als der Schriftgelehrte sah, dass Jesus den Sadduzäern gut geantwortet hatte, fragte er Jesus: Welches ist das höchste Gebot von allen?» So beginnt der Evangelist Markus das heutige Sonntagsevangelium bei Mk 12,28. Der Schriftgelehrte zeichnet sich durch Zuhören und Aufmerksamkeit aus. Das Streiten der anderen schreckt ihn nicht ab. Im Gegenteil. Darin liegt das gemeinsame Suchen. Gutes, offenes, ja verstehendes Zuhören ist dem Evangelist Markus ein Anliegen. Mehrmals kommt das in seinem Evangelium vor. Beispielsweise der Satz «Wer Ohren hat zu hören, der höre!» (Mk 4,9 und 4,23)
Das gute aufmerksame Hören ist in der jüdischen Spiritualität verankert. In der heutigen Lesung hörten wir das bekannte und wichtige «Schema IsraEL»: «Höre Israel» (Dtn 6,4). Oder einen Satz früher die Aufforderung von Gott an sein Volk: «Deshalb sollst du hören» (Dtn 6,3). Hören meint Aufmerksamkeit, Achtsamkeit und entsprechendes Handeln. Hören kann verändern. Wer hinhört weiss anschliessend oft mehr als vorher. Hören ist eine Haltung des Interessens, des Lernens und vor allem der Liebe.
Im heutigen Tagesevangelium kommt ein Schriftgelehrter zu Jesus, der hingehört hat und darum etwas von Jesus hören, wissen will. Dies weil er in Jesus von Nazareth Vertrauen und Achtung gefunden hat. Der Schriftgelehrte hat Fragen; er ist offen und empfänglich!
Bei solchen biblischen Texten müssen wir Christen und Christinnen aufpassen. Oft haben wir das Gefühl, dass Pharisäer, Sadduzäer und Schriftgelehrte Jesus nur Fangfragen gestellt haben, um ihn bloss zu stellen und ihn zu bekämpfen. Im heutigen Evangelium kommt der Schriftgelehrte zu Jesus, weil er diesen echt hören will und ihn etwas herumtreibt. Der Schriftgelehrte sucht Dialog und hört hin.
«Welches Gebot ist das erste von allen?» (Mk 8,28) ist die kurze und klare Frage. Der Schriftgelehrte weiss um die jüdischen 613 Gebote und Verbote der Tora. Er kennt die Schrift und gewiss auch das Schema IsraEL. Und der Schriftgelehrte will tiefer gehen und mehr verstehen. Er will seinen Glauben vertiefen. Er ist bereit hinzuhören. Jesus antwortet pointiert.
Der hörende und verstehende Schriftgelehrte denkt mit und weiter. Es geht nicht primär um Brandopfer und andere Opfer, sondern um die Gottes-, Nächsten wie Selbstliebe. Diese Antwort des Fragestellers und Weiterdenkers wird von Jesus kommentiert: «Du bist nicht fern vom Reich Gottes. Und keiner wagte mehr Jesus eine Frage zu stellen» (Mk 12,34).
Mir persönlich gefällt diese Erzählung aus dem Markusevangelium. Da finden zwei Hörende zum Dialog, ergänzen sich und finden zueinander und zu Gott. Sie haben sich gegenseitig bereichert und ihren Glauben genährt. Und auch die Umgebung spürt das und spielt mit. Wenn alles gesagt ist, dann ist Ruhe angesagt und diese wird nicht zerredet und gestört. Manchmal landet man beim gemeinsamen Schweigen vor Gott, auch eine Art Hören auf Gott hin. Da braucht es keine Worte mehr, sondern nur noch ein gemeinsames Hören und Verweilen bei Gott. Der menschlichen Worte waren genug, jetzt darf man gemeinsam auf Gott hören und handeln.
In den letzten Wochen fand der Abschluss eines langen und für viele Menschen intensiven Hörens und Austauschens der Weltkirche statt. Eine synodale Kirche hat auf Gott und auf ihre Getauften gehört. Die in Chur lehrende Theologin Eva Maria Faber meint: Auf der Weltsynode wurde über vieles diskutiert. Der Reformbedarf in der Kirche ist erkannt und wurde offen angesprochen. Umso mehr ist die Kirche in der Schweiz nun gefordert, die «weichen» Formulierungen des Synodendokuments in den konkreten kirchlichen Alltag auszubuchstabieren. Vgl. Redaktion kath.ch vom 28.10.2024.
Die Weltkirche hat nun auf das Leben der Ortskirchen und das Wirken des Geistes gehört und weitergedacht. Nun sind wir, die Kirche von Schwyz, dran auf die Weltkirche und unsere Lebensrealität zu hören und weiterzudenken. Da kann es immer wieder Perioden des gemeinsamen Schweigens und Suchens geben. Doch auch immer wieder neu ein Hören auf Gott, den Geist und seine Schöpfung hin. Und eben auch das richtige Handeln ist nicht zu vergessen. Dazu wünsche ich uns ein offenes Hören, das Schema IsraEL, Achtsamkeit und auch den heiligen Geist, der uns vorwärts treibt auf das Reich Gottes hin. Vielleicht hören wir dann Jesus Christus sagen: Ihr seid nicht fern vom Reich Gottes. Amen.

Solidarität statt Perfektionismus

Predigt vom 13. Oktober 2024, Mk 10, 17-30

Perfektionismus ist ein Persönlichkeitsmerkmal, das in erster Linie durch sehr hohe Massstäbe, einer Rigidität der Massstäbe und einem leistungs-abhängigen Selbstwert charakterisiert ist, sagt Nils Spitzer. Vgl. Wikipedia, Perfektionismus (Psychologie). Nach meiner Einschätzung sind religiöse Menschen oft moralische Perfektionisten. Auch Franz von Assisi wusste dies und gab Gegensteuer. So ging der Heilige einen Monat auf die Isola Maggiore im Trasimenischen See meditieren und fasten. Doch nahm der Heilige ein Brot mit und begann vor dem Ende des Aufenthalts dieses Brot zu Essen. Dies aus Respekt vor Jesus von Nazareth. Denn Franziskus wollte Jesus mit dem vierzig Tage Fasten den Vortritt lassen. Der Heilige kannte Bescheidenheit in religiösen Dingen. Ein anderer hätte 41 Tage gefastet und sich gerühmt, länger als Jesus gefastet zu haben!

Eine weitere Franziskus-Fastengeschichte erzählt, wie der Heilige mit Brüdern am Fasten war. In der Nacht schrie ein Mitbruder vor Hunger auf. Franziskus hörte den leidenden Mitbruder, stand auf und war der Erste, welcher das Fasten brach und dem leidenden Mitbruder das Brot brach und zum Geniessen aufforderte.

Im heutigen Tagesevangelium (Mk 10,17-30) begegnet Jesus einem Mann, der das ewige Leben will. Dabei baut dieser auf eigene Leistung. Er hält Gottes Gesetze durch und durch. Interessanterweise weist selbst Jesus das Gutsein zurück und verweist auf Gott, der allein gut sei. Gutsein ist keine menschliche Leistung oder Eigenschaft, die man sich durch das Beobachten von Geboten und Vorschriften verdienen kann.

Jesus sieht den Mann verstehend an und umarmt ihn. Jesus attestiert dem Mann, dass er Gottes Gesetze auch wirklich erfüllt hat. Doch um solchen Perfektionismus geht es im religiösen Leben nicht, oder vielleicht auch nicht zuerst. Dem Mann fehlt die Solidarität mit den Menschen, mit den Armen. Das ewige Leben verdient man nicht für sich selbst, sondern in Gemeinschaft mit Menschen, vor allem mit den Menschen am Rande, mit denen die Leiden, mit denen, die nichts haben. Der religiös perfekte Mann geht traurig von Jesus weg. Trotz seinem ethischen Perfektionismus bleibt ihm das ewige Leben verwehrt, vielleicht auch vordergründig verwehrt. Denn eben, Gott kann alles. Wer weiss das schon?

Die Jünger bleiben bei Jesus und sind schockiert. Im Gegensatz zum nun enttäuschten Mann wissen sie, dass sie auch schon versagt haben. Vor allem Petrus wird uns in den Evangelien als kein perfekter Mensch geschildert. Er versteht Jesus nicht immer, vor allem die gefährliche Reise nach Jerusalem nicht. Erinnern wir uns an Markus 8,33: «Jesus aber wandte sich um und sah seine Jünger an und ermahnte den Petrus ernstlich und sprach: Tritt hinter mich, Satan! Denn du denkst nicht göttlich, sondern menschlich!»

Auch im heutigen Tagesevangelium werden wir aufgefordert, denk göttlich und nicht menschlich, lebe Nächstenliebe, Selbstliebe und Gottesliebe. Aber eben das ewige Leben ist und bleibt ein Geschenk Gottes an den Menschen. Da helfen uns weder unsere religiösen und moralischen Leistungen noch unser Geld, unser irdischen Reichtum – und vor allem nicht diese in perfekter Reinkultur. Zuerst geht es einmal um Solidarität und Dankbarkeit.

Und eben, auch das gläubige Leben bringt wunderbare Früchte der Gemeinschaft und der Solidarität: «Jetzt in dieser Zeit wird er Häuser, Schwestern und Mütter, Kinder und Äcker erhalten, wenn auch unter Verfolgungen, und in der kommenden Welt das ewige Leben.» Mk 10,30

Dazu braucht es keinen Perfektionismus und auch nicht die ihm zugehörige Angst alles richtig zu machen, sondern Freude und Gewissenhaftigkeit – als positiver Begriff an Stelle des Perfektionismus – im Tun. Und vor allem einen liebenden Gott im Himmel, der möglich macht, was uns Menschen unmöglich und vermutlich auch unvorstellbar ist. Amen.

Geheimnis Mensch

Predigt vom 1. September 2024; Mk 7,1-23

Die Habsburger, die ursprünglich aus der Schweiz kommen, kannten eine getrennte Bestattung. Nach dem Tod wurde der Körper vom Herz getrennt und an unterschiedlichen Orten bestattet. Man ging damals davon aus, dass im Herz das Zentrum des Menschen ist und dass im Herz der Ort der menschlichen Identität, sein Willenszentrum liegt. Ohne Herz kein Leben. Deshalb hat man früher vom Herztod gesprochen. Heute ist der Herztod keine verlässliche Todes-Indikation mehr. Wir wissen es anders. Bei Herzoperationen kann das Herz stillgelegt und durch Maschinen ersetzt werden. Später lässt man das Herz wieder arbeiten und das Leben geht weiter. Ein stillstehendes Herz bedeutet nicht mehr den sicheren Tod. Auch können Herzen transplantiert werden, ohne dass das neue Herz seine Identität in den fremden Körper mitnehmen würde. Das Herz gilt nicht mehr als das geheimnisvolle und unbekannte Zentrum des Menschen. Kardiologen und Kardiologinnen haben das Herz als Organ erforscht.

Heute gehen viele Menschen davon aus, dass das Hirn der entscheidende Ort des Menschen ist. Deshalb wurde der Hirntod zu einer Indikation für Leben und Tod. Gibt es im Hirn keine Energie mehr, dann ist der Mensch tot, so sagt diese Vorstellung. Ob dem so ist und wann der Mensch wirklich tot ist, das ist eine schwierige, medizinische und umstrittene Frage. Vor allem bei der Organtransplantation ist diese Einschätzung wichtig. Wann ist der Mensch tot und wann darf man ihm Organe entwenden. Eine knifflige Frage.

Es gibt Menschen, die lassen sich einfrieren und hoffen, eines Tages wieder aufgetaut und zum Leben erweckt zu werden. Und eben, heute gibt es Menschen, die es ähnlich machen wie die Habsburger. Sie lassen den Körper beerdigen und verwesen, aber den Kopf einfrieren und aufbewahren. Das Hirn müsste im neuen Leben reichen, um wieder ins Leben zu kommen. Da sind die wichtigen Daten eines menschlichen Lebens gespeichert, wie auf einer Computer-Festplatte. Der Körper scheint austauschbar, wie in einigen Computerspielen, wo ein Spieler, eine Spielerin mehrere Leben in unterschiedlichen Körpern leben kann. Aber das Gehirn bleibt.

Wenn Jesus im heutigen Tagesevangelium sagt, «von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen die bösen Gedanken» usw., dann hat er die Vorstellung, dass das Herz den Menschen ausmacht. «All dieses Böses kommt von innen und macht den Menschen unrein». Jesus von Nazareth hat vor zwei tausend Jahren gelebt und gewirkt. Dabei hat er sich mit seinen Worten in den damaligen Vorstellungen bewegt, welche nicht mehr unsere sind. Damals war das Herz das Zentrum des Menschen.

Während dem Studium der Erziehungswissenschaften hat einer meiner Psychologie-Professoren Wert daraufgelegt, dass der Mensch auch in der Psychologie ein Geheimnis ist und bleibt. Die Psychologie gibt Hilfen für die Analyse des Menschen und kann manchmal Heilung bewirken. Aber sie belässt auch vieles offen und unbeantwortet. Was den Menschen im innersten ausmacht, das lässt sie offen, das ist und bleibt Geheimnis. Ein anderer Psychologie-Professor meinte jeweils, dass diese Frage von den Theologen und Theologinnen beantwortet werden müsste. Für uns Christen und Christinnen ist Gott ein Geheimnis – und sein Ebenbild, der Mensch ist und bleibt auch ein Geheimnis, Gottes Geheimnis.

Aber wie Jesus, kann die Psychologie einiges zu «bösen Gedanken, Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Hinterlist, Ausschweifungen, Neid, Lästerung, Hochmut und Unvernunft» sagen. Doch lässt sich auch hier kritisieren: Ihr gebt die Wahrheit (Gottes Gebot) preis und haltet euch an die Theorien (Überlieferung) früherer Zeiten und vergangener psychologischer Grössen. Auch heute müssen wir uns wie vor zweitausend Jahren fragen, was trägt noch und was ist bloss Augenwischerei vergangener Zeiten. Was sind die Themen unserer Zeit?

Nicht Äusserlichkeiten sagt Jesus. Ich würde in heutiger Sprache sagen, der Mensch ist keine Maschine, sondern ein Geheimnis, das entscheidungsfähig ist, das oft zwischen gut und böse unterscheiden muss, auch wenn es manchmal Zeit braucht und Geduld, die Wahrheit und die echten Lösungen zu ergründen. Und auch heute sind wir Menschen aufgefordert rein zu sein, vielleicht in unserer Sprache gesagt, integer, vertrauens- und glaubwürdig, authentisch und wahr; konstruktiv und mit Verantwortung für unsere Nächsten wie für uns selbst.

Ab dem ersten September, heute also, rufen die Kirchen zur Schöpfungszeit auf, die bis zum vierten Oktober, dem Franziskustag, dauert. Auch heute geht es um die zwischenmenschliche Verantwortung, wie sie Jesus von Nazareth im Tagesevangelium einfordert. Doch für uns Menschen heute kommen neue Themen und Sorgen hinzu. Wir haben plötzlich eine enorme Verantwortung für die Natur, Tiere und Pflanzen, für die ganze Erde in unseren Händen. Wir haben diesbezüglich eine enorme Kraft, auch Zerstörungsmacht entwickelt. Das ergibt eine neue Verantwortungen für unser persönliches, wie für unser christliches als auch gesellschaftliches Leben.

Wir sind gefordert uns für das Leben, für die Schöpfung Gottes stark zu machen. Dabei müssen wir – wie Jesus die Pharisäer und Schriftgelehrten auffordert – stets neu ergründen, was Gottes Wille sei. Oftmals tragen alte Antworten nicht mehr. Zu dieser Suche und immer wieder neu entdecken, wünsche ich uns Fantasie, die richtigen Ideen und gute Absichten; aber auch Freude mit Gott an seinem Schöpfungswerk teilzuhaben.

Lieber keine Revolution

Predigt Mariä Himmelfahrt; 1 Kor 15,20-27a; Lk 1,39-56

Liebe Menschen, bei meinem Mitbruder Anton Rotzetter habe ich gelesen, dass man im Gebet und in der Frömmigkeit «Maria» mit «Mensch» ergänzen oder ersetzen darf. So feiern wir heute Mariä Aufnahme in den Himmel und dürfen uns mitdenken. Menschen werden in den Himmel aufgenommen – und ob Tiere, Pflanzen, ja die ganze Schöpfung im Himmel landen werden, ist theologisch zu erwarten, aber diese Fragen sollen nicht das Thema dieser Predigt sein.

Das heutige Fest sagt also etwas über uns, unserer Zukunft und unserer Hoffnung aus. Auch wir werden eines Tages bei Gott sein. Paulus formuliert dies den Korinthern folgendermassen: «Denn wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden.» Wie wir uns dieses Sterben und Auferstehen vorstellen dürfen, bleibt ein Geheimnis – und das scheint mir gut so. Es kommt wohl viel besser, als wir Menschen erahnen können.

Doch lassen wir nun die Himmels-Spekulationen. Zum Glück holt uns der Evangelist Lukas im heutigen Festtagsevangelium wieder etwas auf den Boden zurück und in die Gegenwart. Er erzählt uns von der Begegnung von zwei schwangeren Frauen. Dabei sind sie zweifach schwanger. Einerseits tragen sie verheissungsvolle Jungs in ihren Bäuchen, andererseits sind sie vom Heiligen Geist erfüllt. Was für eine hoffnungsvolle Begegnung im Bergland von Judäa!

Elisabet ruft Maria den Segen zu, nimmt wahr, dass sie beide einen ganz speziellen Moment erleben, und ehrt die jüngere Frau freudig.

Und Maria? Man könnte sie direkt bei der «letzten Generation» anmelden und mit heutigen jungen Menschen auf die Strasse schicken. Maria – nicht etwa fromm verzückt, wie man es bei Heiligenbildern oft sieht – steht mit beiden Beinen auf dem Boden und stellt im Namen Gottes die Welt auf den Kopf!

Gott «zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind; er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen.» Leider müsste ich mich da wohl eher bei den enttronten und leer ausgehenden einordnen.

Wie geht es Ihnen, liebe Menschen, mit solchen Worten, mit dieser Wucht von göttlicher Macht? Als junger Mensch war ich Fan vom Magnifikat. Bei der einfachen Profess war das Magnifikat das Fest-Evangelium und meine fünf Mitnovizen und ich waren gespannt, wie der Provinzial mit solchen Umsturzgedanken umgehen wird. Nun, er hat damals sein Amt nicht niedergelegt.

Gott «stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen.» Maria formuliert eine Umkehr der Verhältnisse. Kann es keine guten und menschenfreundlichen Mächtige oder Reiche geben? Schiesst da die junge begnadete Frau aus Nazareth nicht übers Ziel hinaus, wie es heute meines Erachtens auch die letzte Generation tut? Zerstörung bringt doch nicht aus sich heraus das Gute in die Welt? Revolutionen fressen ja bekanntlich auch ihre eigenen Kinder.

Müsste es nicht eher einen gerechten Ausgleich, denn einen gewaltvollen Umsturz geben. Können gewaltvolle Revolutionen die Welt verändern? Ich selbst vertraue heute auf gute und gerechte Prozesse – und da braucht es immer wieder neu Versöhnung und Vergebung im gemeinsamen Weitergehen. Darum habe ich früher das Magnifikat zum Beten oft umgeschrieben.

Und trotzdem beten wir Brüder jeden Abend im inneren Chor des Klosters: «Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind; er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen.» Dies immer kurz vor dem Nachtessen. Und dann gehen wir ziemlich gut genährten und zumeist satten Menschen zum Znacht und geniessen die feinen Gaben der Schöpfung. Manchmal gedenken wir der Hungrigen und beten für sie. Noch nie bin ich hungrig vom Nachtessen gekommen.

Maria, junge prophetische Frau, wie konntest du nur so radikal sein?! Wie hast du im Alter über Revolutionen und Umstürze gedacht? Was ging dir unter dem Kreuz durch den Sinn?

Aussteigen – Sehen – Mitleid

Predigt vom 21. Juli 2024; Jer 23,1-6; Mk 6,30-34

«Als Jesus ausstieg, sah er die vielen Menschen und hatte Mitleid mit Ihnen.» Aussteigen, sehen und Mitleid haben sind die drei Verben, die Jesu Handeln im Markus-Evangelium motivieren. Und die drei passen meines Erachtens exakt zu einem Ferien-Evangelium.

1. Aussteigen, das vertraute Schiff verlassen, das können Ferien bedeuten. Ich werde frei für neue Begegnungen, für andere Menschen. Dazu muss ich einen ersten Schritt tun. Dazu können Ferien auch einladen.

2. Sehen, die Augen öffnen und wach hinsehen, was sich da zeigt und sich vielleicht auch mir in den Weg stellt. Dazu braucht es Musse und Zeit. Jesus sieht die vielen Menschen, die sich am Ufer tummeln. Er nimmt sie wahr.

3. Mitleid haben, was bedeutet das? Ehrlicherweise habe ich nach einer einprägsamen und klaren Antwort gesucht, diese aber nicht gefunden. Einerseits gibt es auch das Wort Selbstmitleid – und das ist kein positives Gefühl.

In der Theologie ist vielmehr der Begriff «Barmherzigkeit» von grosser Bedeutung. Diese wird in den Weltreligionen mit Gott selbst in Verbindung gebracht – und im Christentum kennen wir dann die sieben Werke der Barmherzigkeit.

Als neutraler Begriff ist auch noch Mitgefühl zu nennen. Man kann sich Mitfreuen, aber auch Mittrauern, je nach Situation.

Mit/Leid besteht aus zwei Worten. Das «Mit» verbinden auf gleicher Ebene. Mitleiden kann man nicht von oben herab. Bildhaft geht man in denselben Schuhen wie der andere. Das «Leid» beschreibt negativ erlebte Gefühlsqualitäten.

Aussteigen, Sehen und Mitleid haben ermöglichen Jesus eine Situation zu begreifen, zu erfühlen und dann der Situation entsprechend zu handeln. Ich erinnere mich an einen Gebetsschluss von Franz von Assisi:

«Gib mir, Gott, das rechte Empfinden und Erkennen, damit ich deinen heiligen und wahrhaften Auftrag erfülle. Amen.»

Sehen und Mitleid haben, Erkennen und Empfinden laden zum Handeln ein. Und das tut dann Jesus auch. Er nimmt die Menschen in ihren Leiden und Nöten wahr und gibt die passende Antwort. «Und Jesus lehrte die Menschen lange.» Das war Jesu Antwort auf die Not der Menschen, denen er am See begegnet ist, den Schafen ohne Hirten.

Vielleicht können wir uns heute, diesen Sommer die Frage stellen, wenn wir Ferien machen, aus unserem Trubel aussteigen und etwas Ruhe und Kraft finden, welche Menschen sehen wir und zu welchem Handeln treibt uns unser Mitleiden? Und dann entsprechend handeln.

Interessanterweise spricht man heute nicht nur von Mitmenschen, sondern auch von Mitgeschöpfen oder sogar der Mitwelt. Und auch mit Tieren beispielsweise kann man Mitleid haben. Moderne Tier-Ethiken bauen gerne auf das Mitleiden mit vierbeinigen Schwestern und Brüder auf.

Offene Augen und die Fähigkeit zu echtem Mitleid, das wünsche ich uns in dieser Ferienzeit, sowie viele weise Taten an den Ufern, die wir bereisen und besuchen. Und vielleicht immer wieder das Gebet von Franziskus auf den Lippen:

«Gib mir, Gott, das rechte Empfinden und Erkennen, damit ich deinen heiligen und wahrhaften Auftrag erfülle. Amen.»

Habt ihr keinen Glauben?

Predigt vom 23. Juni 2024; Ijob 38.1-11; Mk 4,35-41

Liebe Gottsucher, liebe Gottsucherinnen, das Buch Ijob hat mich von Jugend an begeistert. Da gibt es eine Rahmenerzählung und eingefügt Diskussionen von Hiob mit drei Freunden sowie Gottesreden.

Rahmen, erster Teil: Gott sitzt mit seinen Söhnen im Himmel und schaut glücklich auf die Erde hinunter. Gott hat Freude am gerechten und frommen Ijob. Da meint einer seiner Söhne, Satan genannt, dass Ijob nur so gottesfürchtig sei, weil er stets Glück habe und sehr reich sei. Gott solle doch mal Ijobs Besitz und Leben antasten; Ijob Unglück und Verderben bringen. Mal sehen, was dann passiert?!

Nachdem viel Unglück über Ijob eingetroffen ist, gibt es auf Erden einen Dialog von Ijob mit seinen Freuden. Diese wollen Ijob weise machen, dass er für sein Unglück selbst verantwortlich sei. Ijob verneint vehement und beteuert seine Unschuld. Ijob bleibt bei seiner Überzeugung und hat Glück, Gott wendet sich an ihn. Heute hörten wir in der Lesung einen Teil dieser Gottesrede. Und Gottes Antwort zu Ijob ist ganz anders als erwartet:

Ijob 28.8-11: 8 Wer hat das Meer mit Toren abgesperrt, als es hervorbrach aus dem Schoß der Erde? 9 Ich wars, ich hüllte es in dichte Wolken, als Windel gab ich ihm den dunklen Nebel. 10 Ich gab ihm seine vorbestimmte Grenze, schloss es mit Tor und Riegel sicher ein. 11 Ich sagte ihm: Bis hierher und nicht weiter! Hier hört der Hochmut deiner Wellen auf!

Gott beschuldigt Ijob keiner Vergehen. Gott erklärt das Leid nicht und gibt auch keine Begründung dafür. Nein, Gott verweist auf seine Schöpfung, seine Schöpfermacht und wie er alles geordnet und begrenzt hat. Sie ist und bleibt in seinen Händen. Doch auf die Frage des «Warum» erhält Ijob keine Antwort. Gott ist dem Menschen keine Antworten schuldig, aber er versichert ihm, dass er allem gebietet und für das Leben einsteht!

Im Tagesevangelium erhalten wir eine ähnliche Antwort durch Jesu Verhalten und Handeln. Jesus liegt auf einem Kissen und schläft im heftigen Wirbelsturm. Die verzweifelten Jünger wecken Jesus.

Mk 4,39-40: 39 Jesus stand auf, sprach ein Machtwort zu dem Sturm und befahl dem tobenden See: »Schweig! Sei still!« Da legte sich der Wind und es wurde ganz still. 40 »Warum habt ihr solche Angst?«, fragte Jesus. »Habt ihr denn immer noch kein Vertrauen?«

Auch Jesus gebietet den zerstörerischen Gewalten, erklärt den Jüngern den Sturm oder die Gefahr nicht. Er zeigt ihnen, dass auch Wind und heftiger Wirbelsturm in seiner Verfügungsgewalt sind. Angstlos schläft er und vertraut dem Leben, dem Wirken und Gebieten Gottes.

Die Praxen von Psychologen sind heute überlastet. Kriege und Umweltängste belasten uns, machen Angst und fordern uns heraus. Antworten dazu gibt es von Gott her keine. So erging es auch Ijob und Jesu Jüngern. Die Gefahren sind real und werden uns nicht erspart oder weggenommen. Aber wir sind aufgefordert Gottes Wirken zu vertrauen; zu glauben, dass Gott über die Schöpfung, Menschen, gefahrvolle Mächte verfügt und alles in seinen «Händen» hält.

Gewiss sind wir auch gefordert unsere Verantwortung dem Leben, der Schöpfung gegenüber wahrzunehmen, unseren ökologischen Fussabdruck zu beachten wie auch für Gerechtigkeit und Frieden einzustehen. Im Buch Ijob hat Gott gefallen am gerechten Tun und frommen Verhalten des Ijob. Und trotzdem erhält Ijob – zumindest auf Erden – keine Antwort auf die Frage nach seinem Unglück und seiner Trauer. Sie sind Teil seiner Lebensrealität.

Obwohl wir vielleicht wie Ijob vieles richtig machen, kann es sein, das Unglück uns verfolgt und Leiden uns begleitet. Aber auch in solchen Situationen dürfen/müssen wir auf Gottes Macht und Wirken vertrauen. Gott ist auch auf Erden der Gebieter und nicht nur im Himmel. Wie schon Ijob oder die Jünger Jesu – verstehen können und müssen wir Gott nicht. Wir dürfen aber auf die Angst verzichten, auf Gott Vertrauen und an Jesu Rettung/Erlösung glauben. Habt ihr noch keinen Glauben? Nein, nicht wirklich, solcher Glauben ist schwer.

Ps: Es gibt nicht nur die Erfahrung von Leid und Unglück, es gibt auch die Erfahrung von Schönheit, unerwartetem Glück sowie von Liebe.

Aktuell: Es gibt nicht nur die Erfahrung von Überschwemmungen und Zerstörung durch Naturgewalten; es gibt auch die Erfahrung von erfrischendem Wasser, von lebenspendendem Wasser. Und es gibt das wachsende Wissen, dass wir wegen Überbauungen und einseitiger Landwirtschaft dem Wasser keine Möglichkeit geben, zu sickern und so langsam abzufliessen. Naturgewalten können vom Menschen provoziert wie auch teilweise gezähmt werden.

Ach ja, das Buch Ijob erzählt am Schluss, nach all dem erlittenen Leid, Hiob 42,10-17: 10 Der HERR wendete das Geschick Ijobs, als er für seinen Freund Fürbitte einlegte, und der HERR mehrte den Besitz Ijobs auf das Doppelte. 11 Da kamen zu ihm alle seine Brüder, alle seine Schwestern und alle seine früheren Bekannten und speisten mit ihm in seinem Haus. Sie bezeigten ihm ihr Mitleid und trösteten ihn wegen all des Unglücks, das der HERR über ihn gebracht hatte. Ein jeder schenkte ihm eine Kesita und einen goldenen Ring. 12 Der HERR aber segnete die spätere Lebenszeit Ijobs mehr als seine frühere. Er besaß vierzehntausend Schafe, sechstausend Kamele, tausend Joch Rinder und tausend Eselinnen. 13 Auch bekam er sieben Söhne und drei Töchter. 14 Die erste nannte er Jemima, Turteltaube, die zweite Kezia, Zimtblüte, und die dritte Keren-Happuch, Schminkhörnchen. 15 Man fand im ganzen Land keine schöneren Frauen als die Töchter Ijobs. Ihr Vater gab ihnen Erbbesitz unter ihren Brüdern. 16 Ijob lebte danach noch hundertvierzig Jahre und er sah seine Kinder und Kindeskinder, vier Generationen. 17 Dann starb Ijob, hochbetagt und satt an Lebenstagen.

In anderen Sprachen sprechen

Pfingstpredigt; Apg 2,1-11; Joh 15,26-27; Joh 16,12-15

Liebe Zeugen und Zeuginnen, Schwyzer und Schwyzerinnen sowie Menschen von vielen Orten; herzlich willkommen zum heutigen Pfingst-Gottesdienst. Lassen wir uns begeistern, mitreissen und Gott preisen. Seine grosse Taten dürfen wir verkünden – so ermuntert uns die Apostelgeschichte.

«Und es erschienen ihnen Zungen, wie von Feuer, die sich verteilten, / auf jede und jeden von ihnen liess sich eine nieder. Und alle wurden vom Heiligen Geist erfüllt und begannen in anderen Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab.»

Welch eine Wucht von Text, von Geschehen, von Erfahrung, die uns hier geschildert und verkündet wird. Aber auch überraschend, finde ich. Denn

  1. Alle wurden vom Heiligen Geist erfüllt! Nicht nur die Apostel, oder nur die Juden oder nur eine bestimmte auserwählte Gruppe. Nein, alle. Auch du und ich.
  2. Und dann: Sie begannen in anderen Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab. Jeder und jede springt über seinen eigenen kulturellen Schatten und öffnet sich für den anderen, den Fremden, den Unbekannten. Nicht der Fremde, die Fremde muss sich mir anpassen. Ich spreche seine Sprache und öffne mich für ihn, für sie – in anderen Sprachen reden.

Lieber Gläubige, liebe Gläubige, überfordert uns hier die Apostel-Geschichte? Gerne wird gesagt, dass die Apostelgeschichte Ideale schildert, wie sie auch vor zweitausend Jahren nicht zu finden waren. Vielleicht würden wir bei der Apostelgeschichte besser von Visionen sprechen, wie sie uns vom Heiligen Geist her geweckt werden?

Ich erinnere mich an den Hinweis von Walter Ludin in der Predigt an Christi Himmelfahrt. Im Vaterunser beten wir «dein Reich komme» und meinen hoffentlich auch, was wir beten. Das Reich Gottes kommt zu uns auf Erden und meint nicht einen fernen, ja sogar himmlischen Zustand andernorts; «dein Reich komme». Auch an Pfingsten kommt der Heilige Geist zu den Menschen – und zwar im Hier und Jetzt, nicht im Irgendwo.

Pfingsten war das erklärte Lieblingsfest von Johannes XXIII. Der Papst verband mit dem Pfingstereignis die Hoffnung auf eine heilsame Erneuerung der Kirche. Ich verbinde mit Pfingsten zusätzlich eine gerechte Befriedung und Erneuerung der Welt – denn auch da muss und darf einiges heilsamer und lebenswerter werden. Die Vision der Apostelgeschichte: Alle werden vom Heiligen Geist erfüllt. Alle verstehen sich und sprechen fremde Sprachen. Menschen unterschiedlicher Kulturen, Sprachen, und vermutlich auch unterschiedlicher Religionen verstehen sich.

Im Johannesevangelium spricht Jesus vom Beistand und vom Geist der Wahrheit, der uns gesendet wird. Und was mich überrascht: «Noch vieles habe ich euch zu sagen, aber ihr könnt es nicht tragen». Wie sage ich es meinem Kinde, tönt da an. Ja vielmehr noch Wann sage ich es meinem Kinde! Gott wirkt in der Geschichte. Wir sind wie erwachsene Kinder mit ihm auf dem Weg und lernen stets Neues und Überraschendes hinzu.

Gott gestaltet Heilsgeschichte. Diese basiert auf der Vergangenheit und ist stets auf Zukunft, Entwicklung, hoffentlich auf heilsame und heilige Verbesserung angelegt. An Pfingsten werde ich daran erinnert, dass wir Menschen nicht allein auf diesem Weg, in diesem Entwicklungsprozess sind. Gott, der Geist Gottes ist mit uns, begleitet und leitet uns. Nach Pfingsten sind wir bereit, die Welt und die Schöpfung so zu gestalten, dass Leben für alle und die ganze Schöpfung möglich ist.

Der Heilige Geist wird uns in der Wahrheit leiten und erziehen, dass „Dein Wille geschehe“ und wir aufrichtig beten können: «Dein Reich komme». Und auf diesem Geist-begleiteten Weg, in diesem unserem Leben wünsche ich uns immer wieder neu Geist-erfüllte Erfahrungen des Miteinanders von Menschen wie auch von Gott mit uns Menschen.

Wenn ich die Apostelgeschichte und das Bild der fremden Sprachen ernst nehme, dann geht es nicht um eine Einheits-Sprache, ein Gleichwerden aller Menschen, sondern: «Alle wurden vom Heiligen Geist erfüllt und begannen, in anderen Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab». Vielfalt und Diversität höre ich in diesen Worten. Nicht nur in der Natur, sondern auch unter uns Menschen: Vielfalt und Diversität. Und so möchte ich wie folgt beten: «Dein Heiliger Geist lasse sich auf jeden und jede von uns nieder; dein Reich komme, dein Wille geschehe wie an Pfingsten so auch alle Zeit.» Amen.

Früchte der Nächstenliebe

Predigt vom 28. April 2024; Apg 9,26-31; Joh 15,1-8

Das Tagesevangelium mit Weinstock, Winzer und Reben oder eben Jesus, Vater und Menschen, ist eine wunderbare Meditation zu den Beziehungen von uns Menschen mit Jesus und seinem, unserem Vater. Dieses Nachdenken zielt auf unser praktisches und konkretes Leben ab: «Mein Vater wird dadurch verherrlicht, dass ihr reiche Frucht bringt und meine Jünger und Jüngerinnen werdet.» (Joh 15,8)

Dieses Fruchtbringen nimmt die heutige Lesung, die Apostelgeschichte, konkret auf. Damit möchte ich mich in dieser Predigt auseinandersetzen. Saulus, Jünger, Barnabas, Apostel, Hellenisten, Brüder und die Kirche in ganz Judäa, Galiläa und Samaria werden im Text der Apostelgeschichte genannt. Thema ist die Fruchtbarkeit eines Saulus, die verschiedentlich ausgebremst wird. Zuerst wird Saulus von den Jüngern an seinem Handeln gehindert. Die Jünger fürchten sich vor Saulus, der sie ja noch vor Kurzem verfolgt hat. Auch wissen sie gut um den nicht gerade zimperlichen und konfliktfreudigen Charakter eines Saulus.

Auch in unserem Leben oder im Leben anderer kann die Biografie und der Charakter ein Hindernis fürs Fruchtbarwerden sein. Manchmal wird gerne von Glaubwürdigkeit und Authentizität gesprochen. Sowohl Kirchen wie auch einzelne Christen haben im Lauf der Geschichte und besonders in den letzten Jahren viel an Glaubwürdigkeit verloren. Kreuzzüge und Missbrauch sind da die grellsten Stichworte dazu. Doch gäbe es noch viele andere Versagen kirchlicher Menschen aufzuzählen. Menschen erzählen Erfahrungen von gewalttätigen Gottesbildern und unethischem Verhalten kirchlicher Amtsträger und Amtsträgerinnen. Vor allem ältere Menschen haben manchmal in der Jugend schlechte und unfaire Erfahrungen mit Pfarrern oder Katechetinnen gemacht.

Interessanterweise kann in der Apostelgeschichte Saulus seinen Wandel nicht selbst glaubhaft machen. Ein anderer, Barnabas, macht sich auf, sieht sich Saulus und sein neues, reformiertes Selbstverständnis genauer an und kann, nachdem er sich selbst überzeugt hat, Saulus zu den Apostel führen und diesen die Angst nehmen. Das Zeugnis des Barnabas kann Saulus den Aposteln glaubwürdig machen. Ich denke, dass das solches Zeugnis auch unseren Alltag sehr prägt. Menschen können uns schlechtreden wie auch fördern. Auch wir können über Menschen negativ oder positiv sprechen.

Für die Glaubwürdigkeit des Zeugen oder Förderers muss das Reden der Wahrheit und der Realität entsprechen. Schönreden kann nicht die Antwort sein. Informationen müssen wahr sein. Tu Gutes und dann sprich davon.

In den Medien spricht man oft vom wohlwollenden Blick auf die Fakten, der zusätzlich gefordert ist. Als ich im Linthgebiet bei der Tageszeitung gearbeitet habe, da sagten die Veranstalter oft: «Wir begrüssen auch die Presse und danken für eine wohlwollende Berichterstattung.» Barnabas sagt den Aposteln nicht einfach, seid nett mit Saulus, sondern er kann von eigenen Erfahrungen mit Saulus erzählen und so die Apostel vom glaubwürdigen Lebenswandel des Saulus überzeugen.

Was bedeutet das heute für die Kirchen und Christen, Christinnen? Interessanterweise zeigen viele Untersuchungen, dass nicht Liturgie oder Dogmen die Lösung für die heutige Kirchenkrise sind. Menschen schauen genau, wie Christen und Christinnen sich gegenüber Armen und Randständigen, alten und behinderten Menschen verhalten. Kirchen, Christen und Christinnen werden heute glaubwürdig durch ihre soziale Aufgeschlossenheit und Solidarität.

Wenn ich den Seitenblick auf Saulus wage, dann lese ich in der Apostelgeschichte, dass Saulus freimütig im Namen des Herrn auftrat und Streitgespräche führte. Nein, Christen und Christinnen sollen nicht unscheinbar werden, sie dürfen für ihre gesunden Werte einstehen. Erst dann werden sie in ihrem Glauben gefestigt und können in Frieden leben und Früchte bringen. Und vielleicht ist das auch ein überzeugendes Verhalten gegen die gegenwärtige Austrittswelle von enttäuschten Kirchenmitgliedern? Denn sie fragen ja oft: «Wieso soll ich in der Kirche bleiben?» Christen und Christinnen brauchen ehrliche und sichtbare Antworten auf Fragen und Probleme unserer Zeit.

In der Apostelgeschichte lesen wir: «Die Kirche in ganz Judäa, Galiläa und Samárien hatte nun Frieden; sie wurde gefestigt und lebte in der Furcht des Herrn. Und sie wuchs durch die Hilfe des Heiligen Geistes.» (Apg 9,31) Das wünsche ich auch uns, der Schwyzer, der Helvetischen Kirche. Und eben, wie sagt Jesus : «Mein Vater wird dadurch verherrlicht, dass ihr reiche Frucht bringt und meine Jünger und Jüngerinnen werdet.» (Joh 15,8) Amen.

Halleluja, Jesus lebt

Ostermorgen vom 31. März 2024, Apg 10, 34a.37-43, Joh 20,1-18

Wie schön, dass wir nun wieder Halleluja sagen und vor allem singen dürfen. Ich habe das Halleluja in der Fastenzeit vermisst. Beim Beten ohne Halleluja fehlt mir etwas Wichtiges und Vertrautes. «Preiset Gott»; «Lobet Gott»; so kann Halleluja übersetzt werden. Innerhalb des Alten Testamentes kommt Halleluja vor allem im liturgischen Kontext vor. Bevorzugt in den Lobpsalmen. Und besonders an Ostern dürfen wir Gott loben von ganzem Herzen, denn «Jesus lebt». Der tot geglaubte lebt und ist auferstanden. Welch eine Hoffnung! Welch eine Freude! Welch ein Glaube!

Die Osterzeit dauert fünfzig Tage bis Pfingsten. Und in dieser Zeit dürfen wir einige Geschichten hören und meditieren, die von Ostererfahrungen handeln. Schon heute haben wir mehrere Möglichkeiten. Da kennt die Apostelgeschichte ein Dreistufen-Modell. Im Tages-Evangelium könnten wir die Erfahrungen von Petrus oder vom anderen Jünger, den Jesus liebte, genauer ansehen und betrachten. Es sind dies persönliche Oster-Erfahrungen. Ich möchte mich heute mit der Ostererfahrung von Maria von Mágdala etwas genauer auseinandersetzen. Ich sehe bei ihr fünf Phasen:

  1. Sich dem Tod, dem Negativen, dem Traurigen, der Realität stellen
  2. Offene Fragen in die Gemeinschaft tragen, teilen und mitteilen
  3. Bei sich und bei seinen Gefühlen bleiben, jedoch offen für Überraschungen, für das andere bleiben
  4. Sich vom Göttlichen ansprechen lassen und erkennen
  5. Verkünden, der Gemeinschaft Zeugnis geben

Sich dem Tod, dem Negativen, dem Traurigen, der Realität stellen

Ich habe es oft wie die Jünger und ziehe mich in schwierigen Situationen zurück, brauche Ruhe und Zeit zum Denken sowie Sortieren. Maria von Mágdala hingegen stellt sich dem Leid und sucht aktiv das Grab auf. Sie verschliesst die Augen vor dem Leid, dem Tod nicht. Sie geht zum Leichnam – und meine Erfahrung zeigt, dass bei Toten oft ein einzigartiger Frieden ist. Die Situation ist jedoch ganz anders als erwartet! Verstörend und beängstigend. Der Leichnam ist weg. Das Grab offen. Geplündert?

Offene Fragen in die Gemeinschaft tragen

Maria von Mágdala bleibt mit dem Schrecken nicht allein. Sie geht zu Freunden und teilt ihren Schreck und ihre Sorge. Dies auch auf die Gefahr hin, nicht verstanden zu werden. Und prompt, die beiden Männer lassen die Frau stehen, ohne auf ihre Not zu achten. Maria teilt ihre Erfahrung mit.

Bei sich und bei seinen Gefühlen bleiben, jedoch offen für Überraschungen, für das andere bleiben

Die beiden Männer gehen hastig ins Grab und verschwinden scheinbar schnell wieder. Sie wollen sich möglichst nicht lange an diesem traurigen Ort aufhalten. Maria von Mágdala kommt an den Ort des Grauens zurück. Interessanterweise geht sie nicht wie die Jünger ins Grab hinein, sondern sie bleibt draussen und weint, sortiert ihre Gefühle. Hat das draussen bleiben mit Respekt vor dem Heiligen, vor dem Unaussprechbaren zu tun? Ich weiss es nicht. Doch der Blick nach drinnen offenbart zwei Engel, Boten Gottes, die mit ihr sprechen, interessanterweise ohne eine Antwort zu geben. Sie lassen Maria von Mágdala ihre Sorge formulieren: Sie haben meinen Herrn weggenommen und ich weiss nicht, wohin sie ihn gelegt haben. So geht es mir oft im Gebet, dass ich da meine Ängste und Sorgen formulieren kann.

Sich ansprechen lassen

Der Blick in die Welt, nach draussen erst gibt ihr Antwort. Als sie im Gärtner Jesus erkennen kann, erkennt Maria von Mágdala ihren Rabbúni, ihren Meister. Dabei lernt sie, dass sie den Auferstandenen nicht festhalten kann. Der Auferstandene passt in kein Schema, aber er gibt ihr einen Auftrag: Geh zu meinen Brüdern und verkündige ihnen: Ich gehe hinauf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott. Oft zeigt mir nach dem Gebet der Blick in die Realität, ins Leben meine konkreten Aufgaben auf. Das Gebet kann dazu vorbereiten.

Verkünden, der Gemeinschaft Zeugnis geben, weitererzählen

Die Bibel verliert mit der Verkündigung der Maria von Mágdala wenige Worte. Sie, die Apostelin der Apostel braucht weder viele Worte noch Fussnoten. Die Erfahrung, das persönliche Angesprochen-Sein sind bedeutungsvoll. Sie ist ihrem Rabbúni treu und erfüllt den erhaltenen Auftrag. Marias Oster-Erfahrungs-Modell ist also:

  1. Sich dem Tod, dem Negativen, dem Traurigen, der Realität stellen
  2. Offene Fragen in die Gemeinschaft tragen, teilen und mitteilen
  3. Bei sich und bei seinen Gefühlen bleiben, jedoch offen für Überraschungen, für das andere, geheimnisvolle, das Göttliche bleiben
  4. Sich von Jesus, dem Auferstandenen ansprechen lassen
  5. Verkünden, der Gemeinschaft Zeugnis geben, weitererzählen

Halleluja, Jesus lebt, halleluja. Amen.

Geläutert und gestärkt

Predigt vom 18. Februar 2024; Gen 9,8-15; Mk 1,12-15

Wir erleben Überschwemmungen, Zunamis und wir erfahren Wüsten, Verödung. Die Erfahrungen des Noah und des Jesus von Nazareth lassen uns wissen, dass Gott sowohl während der Überschwemmung wie auch in der Wüste gegenwärtig war. Weder die Wasserwüste noch die Sandwüste sind gottlos. Gott ist mit Menschen und Tieren, auch in Extremsituationen. Auch sind sie nicht End-, sondern Übergangs-Situationen.

Die beiden heutigen Tages-Texte stehen am Beginn, am Beginn des Alten Testaments sowie am Beginn des Markus-Evangeliums. Sie thematisieren einen Neubeginn. Nach der Geschichte der Sintflut beginnen Mensch und Tiere die Erde neu zu bevölkern. Nach der Wüstenerfahrung wird der vermutlich dreissigjährige, frisch von Johannes getaufte Jesus mit seinem Wirken beginnen und einen Neuanfang setzen.

Interessanterweise kennt nicht nur das Alte Testament, sondern auch die Erdgeschichte schon Massensterben auf der Erde. Oft werden in der Wissenschaft deren fünf genannt. Da wird beispielsweise über das Aussterben der Dinosaurier gerätselt und es gibt mehrere Erklärungs-Modelle dafür. Ein Beispiel:

«Vor 66 Millionen Jahren schlug im Golf von Mexiko, nahe der heutigen Ortschaft Chicxulub Pueblo, ein Asteroid mit rund zehn Kilometer Durchmesser ein. Der Treffer löste wohl augenblicklich kilometerhohe Tsunamis aus, die ganze Kontinente unter sich begruben. Verheerende Brände folgten, Rauch und Staub verdunkelten über Monate den Himmel. Infolgedessen starben etliche Tiere aus, darunter die Dinosaurier und Ammoniten, die rund 190 beziehungsweise 340 Millionen Jahre lang die Erde bevölkert hatten.» (https://www.spektrum.de/magazin/erdgeschichte-nach-dem-weltuntergang/1875796)

Wie bei der Noah-Geschichte starben bei diesem Massensterben nicht alle Lebewesen aus. So wird beispielsweise heute vermutet, dass das Huhn in seiner genetischen Entwicklung ein überlebender Dinosaurier sei. Doch ich will hier nicht naturwissenschaftliche Fragen und Theorien weiterbehandeln – auch wenn ich sie höchst spannende finde –, sondern zu unseren beiden biblischen Texten zurückkehren.

Die Noah-Geschichte im Buch Genesis erzählt vermutlich von einer lokalen Sintflut und nicht von einem erdgeschichtlichen Massensterben. Doch geht es der Erzählung von Noah nicht um naturwissenschaftliche Beschreibungen, sondern um die religiöse Erfahrung eines Unterganges und eines Neuanfanges mit Gott. Es soll im Buch Genesis besseres Leben entstehen und Gott formuliert einen Bund mit Menschen und Tieren: «Nie wieder sollen alle Wesen vom Wasser der Flut ausgerottet werden; nie wieder soll eine Flut kommen und die Erde verderben.» (Gen 9,11) Gott tut hier seine Lebens-Bejahung wie seine Selbst-Beschränkung kund. Er will nicht mehr zerstörerisch auftreten; keine Wasserflut mehr verantworten.

Das Markus-Evangelium nennt den Inhalt der Versuchungen nicht, die Jesus durchlaufen hat. Wichtiger scheint dem Evangelisten die Hilfe, die Jesus in der Wüste erfahren hat: Wilde Tiere sind anwesend (auch der Genesis-Text spricht zwei Mal von wilden Tieren und nicht von Haustieren) und Engel dienten ihm. Weder Noah noch Jesus sind allein im Leben. Spannend finde ich, dass in beiden Geschichten die Tiere eine wichtige Bedeutung haben. Nein, Mensch, du bist nicht allein auf Erden. Das wäre wohl ein guter Startpunkt, um unser Verhältnis mit Tieren genauer zu betrachten. Selbst wilde Tiere sind in den beiden Erzählungen Begleiter des Menschen und auch mit Gott auf dem Weg. Das kann auch für uns Bedeutung haben …

Liebe Christen und Christinnen

Heute ist der erste Fastensonntag. Die biblischen Texte stellen weder Verzicht noch Fasten ins Zentrum. Auch halten sie sich nicht lange mit dem Untergang oder mit der Moral auf. Sie erzählen uns einen von Gott gegeben – nicht menschengemachten – Neuanfang. Sei das als Bund bei Noah; sei das mit der Verkündigung von Gottes guter Nachricht durch Jesus von Nazareth: «Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!» (Mk 1,15).

Neu-Ausrichtung auf Gott, einen guten Neu-Anfang des Lebens und den Glauben an die gute Botschaft Gottes wünsche ich uns für diese Fastenzeit. Und vielleicht dürfen wir in diesen Tagen erleben, wie Kriege ein Ende finden, wie persönlicher Streit gelöst wird – wie sich einiges zum Guten wendet. Darin scheint mir Gott mit uns auf dem Weg zu sein, wenn ich den Erfahrungen eines Noahs oder eines Jesus von Nazareth vertrauen darf.

Neu-Ausrichtung auf Gott, einen guten Neu-Anfang des Lebens und den Glauben an die gute Botschaft Gottes – eben, geläutert und gestärkt in eine neue Zukunft. Amen.